Die medizinischen Fachangestellten (MFA) arbeiten am Limit – nicht erst, seit Tausende von Patientinnen und Patienten die Hausarztpraxen geflutet haben, um sich gegen das Corona-Virus impfen zu lassen und damit die Praxisteams auf echte Bewährungsproben gestellt habe. Sondern auch, weil Kolleginnen und Kollegen fehlen.
Schon seit Langem suchen Praxis-Cheffinnen und -Chefs dringend MFA. Im Januar 2022 kamen auf 100 offenen Stellen 75 MFA, die einen Job suchten. Im vergangenen Jahr waren es noch 102 MFA auf 100 offene Stellen, die eine Stelle suchten, so die Bundesagentur für Arbeit (BA). Und im Jahr 2021 lag dieses Verhältnis noch bei 354 zu 100.
Dabei ist die Lage wahrscheinlich noch viel angespannter. Denn die offenen Stellen müssen nicht gemeldet werden, ihre Zahl ist unklar. Die BA schätzt, dass nur ein Drittel der offenen Stellen gemeldet werden. Es gibt also deutlich mehr offenen Stellen, als die offiziellen Zahlen zeigen. Bereits seit 2019 stuft die BA den Beruf der Medizinischen Fachangestellten als Engpass-Beruf ein.
„8 von 10 Praxen haben Probleme, MFA zu finden“
Inzwischen neiden die Versorgungsbereiche einander die MFAs. So protestierte kürzlich der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) gegen eine Empfehlung des ExpertInnenrats der Bundesregierung zur Bewältigung der Pandemie. Darin heißt es: „Der gravierende Pflegepersonalmangel der Kinderkliniken ist kurzfristig nicht behebbar. Daher sollten Kinderkliniken u.a. eine besondere Unterstützung durch pflegeentlastende Berufsgruppen erfahren.“
Hier fürchtet der BVKJ, dass mit pflegeentlastenden Berufsgruppen die MFA der niedergelassenen Kinderärztinnen und -ärzte gemeint sein könnten, und fordert Aufklärung. Der ambulante Bereich würde zusammenbrechen, wenn MFA aus den Praxen der Kinderärztinnen und -ärzte abgezogen würden, so der BVKJ.
In Bremen sind kürzlich die Niedergelassenen über eine Umfrage der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen (KVHB) zum Thema zu Wort gekommen. Die Situation an der Weser ist den Antworten zufolge teilweise so schlecht, dass viele niedergelassene Mediziner ans Aufgeben denken und die Praxistür für immer zuschließen wollen.
8 von 10 Praxen in Bremen und Bremerhaven haben Probleme, MFA zu finden, so die Erhebung unter 282 Mitgliedern der KV Bremen, die vom Zentralinstitut für die Kassenärztlichen Versorgung (ZI) ausgewertet wurde. 83% der befragten Mitglieder gaben an, in den zurückliegenden 12 Monaten Personal gesucht zu haben. „Der Markt ist wie leergefegt“, schreibt ein Praxischef in der Umfrage.
Die Folge: Ein Drittel der befragten KV-Mitglieder fahren ihre Tätigkeit zurück. Mehr noch: Viele Praxen an der Weser denken offenbar daran, die Praxistür für immer abzuschließen. „Ein Drittel der Befragten haben aufgrund der Nachbesetzungsschwierigkeiten die Praxistätigkeit eingestellt bzw. planen dies zu tun“, resümiert die KV Bremen.
Dabei ist die Ausbildung zur MFA in Bremen die populärste unter allen Lehrberufen für Frauen und liegt mit 252 Ausbildungsverträgen im Jahr 2021 zusammen mit der Ausbildung zur Kauffrau/ Büromanagement im kleinsten Bundesland auf dem 1. Platz. Trotzdem suchen Praxischeffinnen und -chefs händeringend nach MFA.
Zu wenig Geld, zu wenig Wertschätzung
Hannelore König, Präsidentin des Verbands medizinischer Fachberufe (VMF), sagte zu Medscape, der Engpass sei „dramatisch (…). Wir sehen als wichtigste Gründe dafür die völlig unzureichende Gehaltssituation, die enorme Stressbelastung im Arbeitsalltag und die fehlende Wertschätzung.“ Tatsächlich läge die Bezahlung der MFA mit unter 2.500 Euro brutto (Vollzeit) um 30% hinter vergleichbaren Berufen, so VMF-Präsidentin König.
Das bestätigt die Situation in Bremen:
Eines der großen Probleme im Praxisalltag scheinen die immer aggressiver werdenden Patientinnen und Patienten zu sein.
Außerdem locken die großen Kliniken der Stadt mit höheren Gehältern, erklären 68% der befragten Ärztinnen und Ärzte. MFA wandern ab.
58% der Praxischefs sehen die schlechte Qualifikation als großes Hemmnis,
55% beklagen eine zu geringe Wertschätzung des Berufs durch die Patienten.
Um den Mangel zu lindern, legen Ärztinnen und Psychotherapeuten mehr Geld auf den Tisch, „bzw. haben dies vor“, so die KV Bremen. So fordert eine Stimme: „Ärztliches Honorar steigern, damit wir entsprechend mehr finanzielle Anreize für MFA anbieten zu können!“ Andere Praxen, wenn auch eine Minderheit, wenden sich an Zeitarbeitsfirmen, um die Personallöcher zu stopfen. 63% stellen Quereinsteigerinnen ein. 80% werden selbst aktiv und bilden MFA aus.
In der Tat dürften sich Ärztinnen und Ärzte nicht nur finanziell nach der Decke strecken müssen, um überhaupt noch MFA für ihre Praxen zu interessieren. Denn die Arbeitsbedingungen der MFA verschlechtern sich offenbar zunehmend.
Bremen: „kväk“ soll helfen
Dies zeigen Dutzende von Briefen, die Mitglieder des VMF an ihren Verband geschrieben haben, der sie Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) übergeben hat. In den Briefen schildern die MFA ihren Unmut und ihren Ärger über die anstrengenden Arbeitsbedingungen und das kleine Geld:
„Wir impfen während der Sprechstunde, in unserer Mittagspause, an Sonntagen und nach Feierabend.“
„Der Beruf ist zum Albtraum geworden.“
„Über 2.000 Pat. im Quartal, Samstag Impfaktion 500 Pat., 200 Anrufe tägl. ist nichts + Email Kontakt. Manchmal weine ich schon um 9.00, weil ich nicht mehr kann.“
„Denkt bei dem vielen Geld, das Sie ausgeben, einmal an die MFA!“
In Bremen haben die sich nun die KV und die Ärztekammer Bremen (ÄKHB) an einen Tisch gesetzt und wollen gemeinsam per Instagram „schnelle und seriöse Informationen“ zum MFA-Beruf bieten. Der Name der Initiative: „kväk“ (Kürzel für „Kassenärztliche Vereinigung“ und „Ärztekammer“).
„Sowohl die Vertreterversammlung der KV als auch die Delegiertenversammlung der Kammer haben sich dafür ausgesprochen“, so die KVHB. Die Kammer wird vor allem Informationen über Aus- und Weiterbildungen posten, die KV steuert Material aus Abrechnung und Praxismanagement bei.
Der Titel: „kväk“. Der klinge zwar „schräg“, hieß es, sorge gerade deshalb aber für Aufmerksamkeit.
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Diesen Artikel so zitieren: Immer schlechtere Arbeitsbedingungen für Medizinische Fachangestellte – es fehlen MFA - Medscape - 22. Jun 2022.
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