Haben Glukokortikoide noch einen Platz in der Therapie der IgA-Nephropathie? Neue Daten deuten auf gewissen Nutzen hin

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

21. Juni 2022

Patienten mit Immunglobulin-A-Nephropathie können offenbar einen Nutzen aus einer Glukokortikoid-Therapie ziehen, solange sie nicht zu hoch dosiert ist. Sowohl die Proteinurie als auch die Verschlechterung der Nierenfunktion reduzierten sich in einer Studie durch die Gabe von Methylprednisolon. Das signifikant erhöhte Risiko für schwere Komplikationen ließ sich durch eine Dosisreduktion ausreichend abmildern. Dies zeigte die TESTING-Studie, die im JAMA erschienen ist [1].

IgA-Nephropathie ist die häufigste primäre glomeruläre Erkrankung. Die ermittelte Inzidenz liegt bei 2,5 Fällen pro 100.000 Personen pro Jahr, gilt aber mit hoher Wahrscheinlichkeit als unterschätzt. Innerhalb von 10 Jahren schreiten 25% der Patienten zu einer Niereninsuffizienz fort. Eine krankheitsspezifische Therapie zur Verhinderung des Nierenversagens gibt es bislang nicht.

Rolle der Glukokortikoide bei IgA-Nephropathie ist umstritten

„Glukokortikoide werden schon lange in der Behandlung der IgA-Nephropathie eingesetzt, aber ihre Rolle ist umstritten, da Unsicherheit hinsichtlich des Nutzens und der Risiken herrscht“, so Erstautor Dr. Jicheng Lv vom Renal Division, Department of Medicine, Peking University First Hospital, Peking, und seine Kollegen.

 
Glukokortikoide werden schon lange in der Behandlung der IgA-Nephropathie eingesetzt, aber ihre Rolle ist umstritten. Dr. Jicheng Lv und Kollegen  
 

„2015 zeigte die im New England Journal of Medicine publizierte STOP-IgAN-Studie, dass eine zusätzliche Immunsuppression mit Glukokortikoiden die Nierenfunktion nicht besser stabilisiert als eine optimale Supportivtherapie“, berichtet Prof. Dr. Lutz Renders, Ko-Vorsitzender der Kommission Klinische Pharmakologie der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie, im Gespräch mit Medscape

Auch die 2020 veröffentlichte Nachbeobachtung über 10 Jahre habe keinen Nutzen der Immunsuppression auf den Langzeitverlauf der Erkrankung gezeigt, lediglich die Nebenwirkungsrate sei angestiegen, ergänzt der Leitende Oberarzt der Abteilung für Nephrologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München.

Dagegen kam ein ebenfalls 2020 veröffentlichter Cochrane-Review zu folgendem Schluss: „Eine Therapie mit Glukokortikoiden kann bei Erwachsenen und Kindern mit IgA-Nephropathie und Proteinurie eine Verschlechterung der GFR oder Verdopplung des Serumkreatinins wahrscheinlich verhindern.“

Dosisreduktion nach Zunahme von Infektionen

Lv und seine Kollegen untersuchten in der aktuellen TESTING-Studie den Effekt einer zusätzlich zur optimalen Supportivtherapie durchgeführten Behandlung mit Methylprednisolon bei 503 Patienten mit IgA-Nephropathie aus 67 Zentren in Australien, Kanada, China, Indien und Malaysia. Sie hatten eine Proteinurie ≥1g/Tag und eine eGFR von 20 bis 120 ml/min/1,73m2 nach mindestens 3 Monaten optimierter Therapie. Sie wurden zwischen 2012 und 2019 behandelt und bis 2021 nachbeobachtet.

Die Patienten erhielten randomisiert orales Methylprednisolon (initial 0,6-0,8 mg/kg/Tag, maximal 48 mg/Tag, Ausschleichen mit 8 mg/Tag/Monat) oder ein Placebo. Nachdem 262 Patienten randomisiert worden waren, stellte sich allerdings heraus, dass es zu einer Zunahme von Infektionen gekommen war. 

„Aufgrund des inakzeptablen Nebenwirkungsprofils hätte die Studie angebrochen werden müssen, aber die Autoren entschieden sich, sie mit einer reduzierten Dosis fortzuführen“, so Renders. Die Dosis wurde auf 0,4 mg Methylprdnisolon/kg/Tag reduziert (maximal 32 mg/Tag, Ausschleichen mit 4 mg/Tag/Monat). Außerdem erhielten die 241 nach der Dosisreduktion aufgenommenen Patienten eine antibiotische Prophylaxe, um pneumozystische Pneumonien zu verhindern.

 
Aufgrund des inakzeptablen Nebenwirkungsprofils hätte die Studie angebrochen werden müssen, aber die Autoren entschieden sich, sie mit einer reduzierten Dosis fortzuführen. Prof. Dr. Lutz Renders  
 

Vorteile von Methylprednisolon beim primären Endpunkt

Der primäre Endpunkt der Studie war eine Kombination aus eGFR-Abnahme um 40%, Nierenversagen (Dialyse, Transplantation) oder Tod durch die Nierenerkrankung. Darüber hinaus wurden 11 sekundäre Endpunkte, darunter Niereninsuffizienz für sich genommen, untersucht.

Von den im Schnitt 38 Jahre alten Patienten schlossen 493 die Studie ab. Im Verlauf der 4,2-jährigen Nachbeobachtung erreichten 74 Patienten (28,8%) in der mit Methylprednisolon behandelten Gruppe den primären Endpunkt. In der Placebogruppe waren es mit 106 (43,1%) signifikant mehr. 

Der Effekt auf den primären Endpunkt sei bei beiden Dosen zu beobachten gewesen, schreiben die Autoren. Bei der vollen Dosis betrug die Hazard Ratio (HR) 0,58, bei reduzierter Dosis 0,27, der Unterschied in der Effektgröße war statistisch nicht signifikant.

Abschneiden mit reduzierter Dosis unklar, aber Signal für günstigen Effekt

Von den 11 sekundären Endpunkten zeigten 9 signifikante Unterschiede zugunsten der Behandlung mit Methylprednisolon. Dazu gehörte auch der sekundäre Endpunkt Niereninsuffizienz, die mit 19,5% versus 27,2% in der Methylprednisolon-Gruppe signifikant seltener auftrat. Das Risiko in Relation zu Placebo war um gut 40% reduziert.

„Ob sich dieser Effekt von Methylprednisolon auf den sekundären Endpunkt der Niereninsuffizienz auch in der Untergruppe mit reduzierter Dosis bestätigt hat, bleibt unklar“, kritisiert Renders. Dennoch liefere die Studie Hinweise darauf, dass Methylprednisolon in reduzierter Dosis einen günstigen Effekt haben könnte.

Dosisreduktion lindert Nebenwirkungen

Schwere Nebenwirkungen waren zwar auch in der Gesamtauswertung unter Methylprednisolon noch signifikant häufiger als unter Placebo: 10,9% vs. 2,8%. Vor allem waren es Hospitalisierungen und schwere Infektionen. Doch dies galt primär für die noch mit einer vollen Dosis behandelten Patienten im Vergleich zu ihren gematchten Placebopatienten (16,1 vs. 3,2%).

4 der schweren Komplikationen verliefen tödlich, alle in der Methylprednisolon-Gruppe und alle hingen mit Infektionen zusammen (3 mit voller Dosis, 1 mit reduzierter Dosis)

„Das erhöhte Risiko konnte durch die Reduzierung der Dosis und die Gabe einer antibiotischen Prophylaxe mit Sulfamethoxazoletrimethoprim so weit reduziert werden, dass in der Untergruppe mit reduzierter Dosis eine niedrigere Inzidenz von schweren Komplikationen zu beobachten war“, schreibt die Forschungsgruppe um Lv.

Falls Glukokortikoide, dann niedrig reduziert

Die Autoren schlussfolgern, dass unter Patienten mit IgA-Nephropathie und hohem Progressionsrisiko eine Behandlung mit Methylprednisolon über 6 bis 9 Monate im Vergleich zu einem Placebo einen kombinierten Endpunkt aus Abnahme der Nierenfunktion, Nierenversagen und Tod durch Nierenerkrankung signifikant reduziert. Allerdings sei die Inzidenz schwerer Nebenwirkungen unter oralem Methylprednisolon erhöht gewesen, speziell bei hochdosierter Therapie.

„Eines ist klar“, so Renders, „die Behandlung mit Glukokortikoiden in hoher Dosierung ist raus.“ Das habe zwar einen Effekt, vor allem auf die Proteinurie, aber das Nebenwirkungsprofil sei inakzeptabel. Bei reduzierter Dosis dagegen scheint das Nebenwirkungsprofil akzeptabel und auch immer noch eine Effektivität vorhanden zu sein. Ob diese Erkenntnis für die klinische Praxis allerdings noch von Bedeutung sein wird, ist fraglich.

 
Eines ist klar, die Behandlung mit Glukokortikoiden in hoher Dosierung ist raus. Prof. Dr. Lutz Renders  
 

SGLT2-Hemmer laufen Glukokortikoiden den Rang ab

„Die klinische und wissenschaftliche Landschaft der IgA-Nephropathie hat sich rapide verändert, seit 2012 mit dem Einschluss von Patienten in die TESTING-Studie begonnen wurde“, schreibt Dr. Kirk Campbell von der Division of Nephrology an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York im Editorial zur Studie [2]. „Damals gab es praktisch keine laufende Forschung und Entwicklung zu IgA-Nephropathie und keine zugelassenen Therapiemöglichkeiten.“ 

 
Die klinische und wissenschaftliche Landschaft der IgA-Nephropathie hat sich rapide verändert. Dr. Kirk Campbell  
 

Das ist heute ganz anders, bestätigt Renders: „Heute stehen uns SGLT2-Hemmer zur Verfügung, von denen bekannt ist, dass sie das Überleben der Patienten und die Niereninsuffizienz verbessern“, so Renders. „Außerdem laufen derzeit mehrere Studien, die die Wirkung lokaler Glukokortikoide untersuchen, speziell einer Form von Budesonid, die die IgA1-Produktion in der Darmschleimhaut anvisiert.“ 

 
Heute stehen uns SGLT2-Hemmer zur Verfügung, von denen bekannt ist, dass sie das Überleben der Patienten und die Niereninsuffizienz verbessern. Prof. Dr. Lutz Renders  
 

„Das heißt: Bei einem Patienten mit IgA-Nephropathie setze ich heute erst einmal einen SGLT2-Hemmer an“, sagt Renders. „Und dann stellt sich die Frage, ob es Sinn macht, noch etwas dazuzugeben. Die reduzierte Dosis von Glukokortikoiden scheint hier eine Alternative zur hochdosierten Steroidgabe zu sein.“ 

Konkurrenz in der Therapielandschaft wird größer

Aber es könne ohne Weiteres sein, dass sich die lokale Glukokortikoidgabe gegen die systemischen Glukokortikoide durchsetzt, so Renders. In der NEFIGAN-Studie wurde Budesonid als Therapeutikum mit weniger systemischen Nebenwirkungen erfolgreich getestet. Im Mai erhielt es eine bedingte Marktzulassung zur Behandlung der primären IgA-Nephropathie von der European Medicines Agency (EMA), wie  Medscape  berichtete.

„Die Ergebnisse der TESTING-Studie erlauben es Ärzten und Patienten, eine besser informierte Entscheidung über den Einsatz von Glukokortikoiden bei IgA-Nephropathie zu treffen“, schlussfolgert Campbell. „Möglicherweise werden Fortschritte bei der Entwicklung von histologischen, serologischen und im Urin messbaren Biomarkern künftig dabei helfen, Patienten zu identifizieren, die in der sich ständig weiterentwickelnden Therapielandschaft der IgA-Nephropathie am meisten von einer Behandlung mit Glukokortikoiden profitieren werden.“

 

Kommentar

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