4. Impfung gegen COVID-19: Was dafür spricht – und wer profitieren könnte

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

20. Juni 2022

Über die 4. Impfung gegen COVID-19 wird intensiv diskutiert. Die Immunflucht neuer Subvarianten von Omikron – aktuell BA.4 und BA.5 – wird immer stärker. Ist eine weitere Impfung mit den verfügbaren Vakzinen überhaupt noch sinnvoll?

 
Die COVID-19-Impfung wirkt auch noch bei Omikron. Prof. Dr. Leif Erik Sander
 

Für den Berliner Infektiologen Prof. Dr. Leif Erik Sander sprechen aktuelle Daten eine eindeutige Sprache: „Die COVID-19-Impfung wirkt auch noch bei Omikron. Nach 3 Impfdosen verhindert sie weiterhin schwere Erkrankungen, respiratorische Insuffizienzen und Tod“, berichtete er beim 62. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP) in Leipzig [1].

Neueste Daten aus dem Vereinigten Königreich zeigen, dass es schon nach wenigen Monaten zu einer Abnahme der Impfeffektivität gegen Omikron kommt, was für eine 4. Impfung spricht. „Omikron ist eine Entwicklung, die wir so früh nicht antizipiert haben“, sagte Sander, der auch Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie an der Charité Berlin ist.

Phylogenetisch ist Omikron weit von den bisherigen Variants of Concern (VOC) entfernt. Mehr als 30 Mutationen im Spike-Protein – dem Antigen, gegen das geimpft wird – begünstigen die Immunflucht.

Booster-Impfung verbreitert Immunantwort ausreichend

„Der Booster macht hier den Unterschied“, betonte Sander. Experimente an der Charité in Berlin zeigen: Impfseren von gesunden, jungen Menschen können nach der Zweifachimpfung Omikron nicht mehr neutralisieren. Gibt man aber eine 3. Impfung, erhält man einen sehr gut neutralisierenden Titer auch gegen Omikron.

 
Der Booster macht hier den Unterschied. Prof. Dr. Leif Erik Sander
 

„Durch die 3. Impfung verbreitert sich die humorale Immunantwort gegen das Spike-Protein so, dass konservierte Epitope adressiert werden, die auch in Omikron nicht verändert sind, so dass man wieder Neutralisationskapazität hat“, erklärte der Infektiologe.

Weiterhin Schutz vor Hospitalisierung und Tod

Allerdings zeigen Daten aus dem vereinigten Königreich zur Impfeffektivität, wo die Grenze liegt. Man beobachtet initial nach 3 Dosen eine sehr gute Impfeffektivität gegen Omikron, bezogen auf symptomatische Erkrankungen. Sie lässt im Laufe der nächsten Monate deutlich nach. „Viele Menschen machen trotz Booster eine Omikron-Infektion durch“, so Sander.

Dennoch haben hohe Inzidenzen von Omikron-Infektionen in der jüngsten Vergangenheit nicht zu einer Überlastung der medizinischen Versorgung geführt. „Das liegt daran, dass die Impfeffektivität gegen schwere Erkrankungen, die einer Hospitalisierung bedürfen, sowie gegen respiratorische Insuffizienz nach 3 Impfungen bei der Risikopopulation über 65 Jahren noch gut ist“, sagte Sander. Die Daten zeigten außerdem, dass auch beim Endpunkt Mortalität ein guter Schutz von über 90% bestehe.

Nach einigen Monaten ist ein Waning zu beobachten

Aktuell könne man sagen, dass die Impfung auch noch bei Omikron wirkt, so Sander. Sie verhindere schwere Erkrankungen, respiratorische Insuffizienzen und Todesfälle. Dennoch sei bereits jetzt bei allen 3 Endpunkten jenseits der 3 Monate ein leichtes Nachlassen (Waning) der Immunprotektion zu beobachten.

Deshalb stellt sich die Frage, ob eine 4. Impfung sinnvoll wäre. Wie so oft im Laufe der Corona-Pandemie lohnt auch hier wieder ein Blick in andere Länder. In Israel habe man sich „mit der 3. Impfung erfolgreich aus Delta rausgeimpft“ und jetzt werde dies erneut bei Omikron mit einer 4. Impfung versucht, berichtete Sander.

Israel: 4. Impfung kann Schutz vor schwerer Erkrankung noch steigern

Erste Begleituntersuchungen zeigen, dass man den Schutz vor schwerer Erkrankung tatsächlich noch einmal erhöhen kann. „Bei Über-60-Jährigen verbesserte er sich durch die 4. Impfung etwa um das Vierfache“, so Sander. „Allerdings ist dies noch mit großer Unsicherheit behaftet; wie stabil das ist, weiß man noch nicht.“

Hoffnung macht aber eine noch nicht begutachtete, bislang nur als Preprint erschienene Studie aus Schweden. Sie zeigt, dass eine 4. Impfung in einer Hochrisikopopulation von Pflegheimbewohnern und Über-80-Jährigen die Gesamtmortalität halbieren kann. „Sollte sich das erhärten und replizieren lassen, muss man das wirklich großflächig empfehlen für diese Hochrisikogruppe“, sagte Sander. Es gebe derzeit die Empfehlung der STIKO, Hochrisikogruppen ein 4. Mal gegen COVID-19 zu impfen. Diese werde aber bislang nur halbherzig umgesetzt.

Mutationsfreude von Omikron ist ungebremst

Allerdings entwickelt sich Omikron immer weiter. Nach BA-1 und der noch ansteckenderen Subvariante BA.2 verbreiten sich mittlerweile BA.4 und BA.5 in Deutschland. „Bislang gibt es keine Hinweise, dass sich der Impfschutz vor schweren Erkrankungen durch die Einbringung von BA.2 verändert“, sagte Sander.

 
Wer mit BA.1 infiziert war, ist nicht immun gegen BA.5 Prof. Dr. Leif Erik Sander
 

Allerdings ist die Immunflucht von BA.4 und BA.5 noch stärker ausgeprägt. „Wer mit BA.1 infiziert war, ist nicht immun gegen BA.5“, so Sander. Die beiden Kladen haben alle Mutationen im Spike-Protein, die auch BA.2 hat, aber noch zusätzliche Mutationen im Spike-Protein. Es könne gut sein, dass sie sich durchsetzen, da sie am besten der Immunität der Bevölkerung ausweichen können, so der Experte.

Sind adaptierte Impfstoffe ein Ausweg?

„An BA.1 adaptierte Impfstoffe sind sehr früh entwickelt worden und auch in die klinische Erforschung gegangen“, sagte Sander. Erste Daten deuten darauf hin, dass sich noch zusätzliche Antikörperantworten mobilisieren lassen, die die neuen Varianten neutralisieren können.

Aus Versuchen an Affen lasse sich aber ableiten, dass die verfügbaren Impfstoffe schon so gut seien, dass man nur kleine Verbesserungen erwarten könne, ergänzte der Infektiologe.

Moderna veröffentlicht Daten zu angepasstem Impfstoff

Erste Ergebnisse zu seinem bivalenten Omikron-Impfstoffs mRNA-1273.214, der auf Omikron BA.1 angepasst ist, legte der US-Pharmakonzern Moderna vergangene Woche vor. Daten von BioNTech werden zeitnah erwartet.

Moderna testete eine Auffrischungsdosis, die sowohl die Spike-mRNA des ursprünglichen Impfstoffs als auch eine neue an die Omikron-Variante BA.1 angepasste mRNA enthält. Das erxperimentelle Vakzin mRNA-1273.214 zeigte einen 8-fachen Anstieg der neutralisierenden geometrischen mittleren Titer gegen Omikron bei Studienteilnehmern, die zu Beginn seronegativ waren, verglichen mit dem bereits zugelassenen Impfstoff.

Moderna hat in seiner aktuellen Mitteilung keine Daten darüber veröffentlicht, wie der aktualisierte Impfstoff gegen die Virusvarianten BA.4 oder BA.5 wirkt. Daten zu klinischen Endpunkten, etwa der Hospitalisierung bzw. der Mortalität, liegen auch nicht vor.

Angepasste Impfstoffe müssen konservierte Epitope adressieren

Ist davon auszugehen, dass die Impfstoffentwicklung der Entwicklung neuer (Sub)Varianten immer hinterherhinken wird? Dahingehend zeigt sich Sander optimistisch: „Der immunologische Mechanismus ist offenbar, dass verschiedene B-Zellen und Antikörper gebildet werden, die gegen konservierte Epitope gerichtet sind, die verschiedene Varianten haben“, lautet seine Einschätzung. „Das sind gute Nachrichten, denn wir wollen uns nicht jetzt vor BA.1 schützen und wenn der Impfstoff auf den Markt kommt, ist BA.8 da. Wir wollen uns möglichst breit schützen – und das scheinen diese Impfstoffe leisten zu können.“

Doppel-Impfung gegen COVID-19 und Influenza im Herbst?

Ein 4. Impfung gegen COVID-19 antizipiert Sander für die nächste Coronawelle im September oder Oktober. Es sollte auch darüber nachgedacht werden, sie mit der Influenzaimpfung zu koppeln, merkte er an.

 
Ich würde dafür plädieren, dass die COVID-19-Impfzentren auch Influenza gleich mit impfen dürfen. Prof. Dr. Leif Erik Sander
 

Die Corona-Pandemie hat auch bei anderen saisonalen Erregerwellen zu Verschiebungen geführt. Im Sommer füllten sich die pädiatrischen Abteilungen ganz unerwartet mit Kindern mit RSV-Infektionen. Und während die Influenza-Saisons in den beiden letzten Jahren so gut wie ausgefallen sind, könnte die Influenzawelle dieses Jahr schon deutlich früher auftreten.

„In Australien ist die Influenzawelle in diesem Jahr viel früher dran als sonst, das kann uns natürlich auch blühen“, sagte Sander. „Vielleicht kriegen wir auch schon im September oder Oktober Influenza. Ich würde dafür plädieren, dass die COVID-19-Impfzentren auch Influenza gleich mit impfen dürfen. Vielleicht erreichen wir dann mal eine vernünftige Influenza-Impfquote“, ergänzte er.
 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....