„Anwalt der Patienten“ ist tot: Wie sich der Gesundheitswissenschaftler Gerd Glaeske für eine bessere Versorgung eingesetzt hat

Christian Beneker

Interessenkonflikte

15. Juni 2022

Der Bremer Gesundheitswissenschaftler und Pharmakologe Prof. Dr. Gerd Glaeske ist tot. Mit ihm starb ein engagierter Anwalt der Patienten, schreibt das SOCIUM - Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen, in seinem Nachruf. Glaeske war hier 23 Jahre lang Professor für Arzneimittelversorgungsforschung. Er wollte „mehr Licht bringen in das Dunkel der deutschen Arzneimittelversorgung“, schreibt das SOCIUM.

„Für die Universität Bremen ist das ein großer Verlust“, sagte Jutta Günther, Rektorin der Universität, dem Bremer TV-Regionalmagazin „buten un binnen“. „Die Universität ist tief traurig über den Tod von Herrn Glaeske.“ Er sei ein herausragender Wissenschaftler im Bereich der Gesundheitswissenschaften gewesen und habe es wie kein anderer verstanden, sein Wissen allgemeinverständlich in die Breite der Bevölkerung zu tragen.

 
Mit dem Gesundheitswissenschaftler Gerd Glaeske stirbt ein Pionier der Forschung zur Arzneimittelsicherheit. Prof. Dr. Karl Lauterbach
 

Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) schrieb auf dem Nachrichtendienst Twitter: „Mit dem Gesundheitswissenschaftler Gerd Glaeske stirbt ein Pionier der Forschung zur Arzneimittelsicherheit. Ich habe ihn als Persönlichkeit und Wissenschaftler geschätzt. Er hinterlässt eine große Lücke.“

Sein Ziel war immer die Optimierung der Versorgungsqualität

Die DAK-Gesundheit würdigte Glaeske als „Vorkämpfer für die Arzneimittelsicherheit“.

Auch vdek-Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner kondolierte: „Wir gedenken des viel zu früh verstorbenen Pharmakologen, dessen wissenschaftliche Arbeit immer die Optimierung der Versorgungsqualität im Blick hatte, in höchster Wertschätzung und sprechen seinen Angehörigen unser Beileid aus.“

Der Niedersachse Gerd Glaeske wurde 1945 in Stecklenburg im Harz geboren. Nach dem Pharmaziestudium in Hamburg arbeitete er 6 Jahre lang als Apotheker und promovierte im Jahr 1978. Von 1988-1999 war er als Pharmaexperte bei verschiedenen Krankenkassen tätig. Von 1992-1993 leitete er den Pharmakologischen Beratungsdienst der Ersatzkassenverbände (VdAK/AEV) und von 1993-1996 die Abteilung „Verbandspolitik und Grundsatzfragen der medizinischen Versorgung“. Zudem war er von 1996-1999 Leiter der Abteilung für medizinisch-wissenschaftliche Grundsatzfragen bei der BARMER.

 
Seine wissenschaftliche Arbeit hatte immer die Optimierung der Versorgungsqualität im Blick. Ulrike Elsner
 

1999 trat Glaeske sein Amt als Professor für Arzneimittelversorgungsforschung an der Universität Bremen an. Von 2003-2011 war er Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen.

Im Kampf gegen Über-, Unter oder Fehlversorgung

Glaeske habe die medizinische Versorgung mit Arzneimitteln anhand ihrer Evidenz beurteilt, um Nutzen und Risiken klar abschätzen zu können, betont das SOCIUM. Ihn interessierte, wo und bei der Behandlung welcher Krankheiten es zu Über-, Unter oder Fehlversorgung mit Arzneimitteln kommt, welche Alternativen die Hersteller bieten und wie Politik und Gesetzgeber die Arzneimittelversorgung im Interesse der Patientinnen und Patienten verbessern können.

Allein in der internationalen Fachdatenbank für medizinische Literatur pubmed.gov finden sich mehr als 140 Veröffentlichungen mit Glaeskes (Co-)Autorenschaft. Darüber hinaus hat er als (Mit-)Herausgeber des „Lehrbuchs für Versorgungsforschung“ maßgeblich daran mitgewirkt, das Fach Versorgungsforschung in Deutschland zu etablieren und die Studierenden an dieses Fach didaktisch fundiert heranzuführen.

In seiner Kritik – oft an den Arzneimittelherstellern – war Glaeske stets deutlich und konkret. So monierte er für Patienten unverständliche Beipackzettel ebenso wie überhöhte Arzneimittelpreise.

Die Patienten sollen „wirklich profitieren“

8 Jahre lang (2013-2021) war der Bremer Wissenschaftler zusammen mit der Techniker-Krankenkasse Mitherausgeber des Innovationsreportes. „Es kommen zu wenig Arzneimittel auf den Markt, von denen Patient*innen wirklich profitieren“, resümierte Glaeske anlässlich des letzten Reports 2021, „dennoch werden die von uns als nicht innovativ bewerteten Medikamente verordnet.“

Bis 2015 gab er zusammen mit der Barmer Ersatzkasse den „Arzneimittelreport“ heraus und arbeitete als Berater bei dem Buch „Bittere Pillen“ mit, dem großen Medikamenten-Nachschlagwerk im deutschsprachigen Raum.

Ab 2017 leitete er bis 2022 das Institut „Länger besser leben“ der Uni Bremen und der BKK24, das sich der Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens im Alltag widmet.

Harsche Kritik an der Homöopathie

Als Verfechter evidenzbasierter Medizin war er ein engagierter Kritiker der Homöopathie und scheute die Auseinandersetzung mit den Herstellern auch hier nicht. So forderte der Homöopathika-Hersteller Hevert Glaeske mit Abmahnungen dazu auf, seine Kritik zurückzuziehen.

Glaeske hatte in der ARD erklärt, „bei homöopathischen Mitteln fehlt bisher grundsätzlich bei allen Mitteln, die homöopathisch daherkommen, ein Wirksamkeitsnachweis“. Glaeske kam Heverts Aufforderung allerdings nach und unterschrieb eine entsprechende Unterlassungserklärung.

Schwierige Zusammenhänge auf den Punkt gebracht

Nicht zuletzt war Glaeske ein brillanter Kommunikator in eigener Sache. Seine Statements vor der Kamera oder gegenüber Journalisten waren begehrt. Glaeske verstand es, die schwierigen Zusammenhänge der Arzneimittelversorgung griffig auf den Punkt zu bringen. So kritisierte er zum Beispiel immer wieder die Corona-Politik der Bundesregierung, unter anderem noch im März 2022 in einem Thesenpapier – und musste dafür scharfe Kritik hinnehmen.

Gerd Glaeske starb im Alter von 77 Jahren nach langer Krankheit am 27. Mai in Bremen.
 

Kommentar

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