Keine Chemo? Liquid Biopsy erspart Patienten mit kolorektalen Karzinom die adjuvante Therapie – ohne Anstieg des Rezidivrisikos

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

14. Juni 2022

Eine Liquid Biopsy zum Nachweis zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) kann Patienten mit Kolonkarzinom im Stadium II nach operativer Behandlung eine unnötige adjuvante Chemotherapie ersparen. Dies ergab eine prospektive Studie in Australien und Neuseeland, deren Ergebnisse Erstautorin Prof. Dr. Jeanne Tie von der University of Melbourne beim 2022 ASCO Annual Meeting in Chicago präsentierte [1].

Die DYNAMIC-Studie erschien parallel zur Vorstellung beim Kongress im New England Journal of Medicine [2]. Durch eine Behandlung in Abhängigkeit vom Nachweis von ctDNA war es darin gelungen, die Zahl der adjuvanten Chemotherapien zu senken, ohne dass sich das Rezidivrisiko erhöhte.

Grundlage für Personalisierung der adjuvanten Chemotherapie

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass ctDNA-positive Patienten einen erheblichen Nutzen aus einer adjuvanten Chemotherapie wie zum Beispiel einem auf Oxaliplatin basierenden Regime ziehen“, sagte Tie.

 
ctDNA-positive Patienten ziehen einen erheblichen Nutzen aus einer adjuvanten Chemotherapie. Prof. Dr. Jeanne Tie
 

„Die DYNAMIC-Studie bildet eine solide Grundlage für eine neue Strategie zur Personalisierung der adjuvanten Chemotherapie beim Kolonkarzinom – eine Strategie, bei der die Biologie die Anatomie in der Verbesserung der Therapie übertrifft“, schreiben Dr. Clara Montagut und Dr. Joana Vidal von der Abteilung für Medizinische Onkologie am Hospital del Bar in Barcelona in einem begleitenden Editorial im New England Journal of Medicine [3].

Präzisere Risikobestimmung könnte unnötige Chemotherapien vermeiden

Patienten mit einem Kolorektalkarzinom im Stadium II können durch eine Operation in mehr als 80% der Fälle geheilt werden. Ob eine adjuvante Chemotherapie für sie einen zusätzlichen Vorteil bringt, ist bislang unklar. Empfohlen wird sie für Patienten mit klinisch-pathologischen Risikofaktoren.

 
Die DYNAMIC-Studie bildet eine solide Grundlage für eine neue Strategie zur Personalisierung der adjuvanten Chemotherapie beim Kolonkarzinom. Dr. Clara Montagut und Dr. Joana Vidal
 

Ließe sich das Rezidivrisikos präziser bestimmen, könnte die adjuvante Chemotherapie auf die Patienten beschränkt werden, die ein besonders hohes Risiko haben und die am ehesten davon profitieren würden, schreiben Tie und seine Koautoren. Patienten mit niedrigem Risiko könnte dagegen eine unnötige Behandlung, von der sie nicht profitieren, erspart werden.

Nachweis von Tumor-DNA im Blut als Prädiktor

Bislang stand hierfür nur die Untersuchung des resezierten Tumorgewebes mit verschiedenen Biomarkern zur Verfügung, deren klinische Anwendung aber umstritten ist. Der Nachweis von ctDNA – als Hinweis auf eine minimale Resterkrankung - könnte eine vielversprechende Alternative sein. Dabei wird Blut aus der Peripherie – deshalb Liquid Biopsy – auf Tumor-DNA untersucht.

Verschiedene Beobachtungsstudien haben gezeigt, dass das Rezidivrisiko sehr hoch ist (>80%), wenn nach operativer Behandlung eines Tumors ohne adjuvante Chemotherapie ctDNA nachgewiesen wird. Nichtsdestotrotz war unklar, ob eine adjuvante Behandlung für ctDNA-positiven Patienten mit hohem Rezidivrisiko von Nutzen ist.

DYNAMIC: Behandlung abhängig von ctDNA oder Standardtherapie

Die in Australien und Neuseeland durchgeführte, randomisierte, multizentrische Phase-II-Studie DYNAMIC untersuchte, ob sich durch eine postoperative Liquid Biopsy adjuvante Chemotherapien verringern lassen - ohne dass sich das Rezidivrisiko erhöht.

Es wurden 2 Strategien für das postoperative Vorgehen verglichen: In einer Gruppe von 302 Patienten wurde 4 oder 7 Wochen nach der Operation eine Liquid Biopsy durchgeführt. Wurde ctDNA im Blut nachgewiesen, erhielten sie ein adjuvante Chemotherapie mit Oxaliplatin oder Fluorpyrimidin. Bei negativem Ergebnis wurde keine adjuvante Chemotherapie durchgeführt.

In einer Vergleichsgruppe von 153 Patienten wurde die Entscheidung für oder gegen eine adjuvante Chemotherapie nach den üblichen klinisch-pathologischen Kriterien getroffen.

Weniger Chemotherapien bei Test auf ctDNA

Die Patienten wurden 37 Monate nachbeobachtet. Der primäre Endpunkt der Studie war das rezidivfreie Überleben nach 2 Jahren.

In der Gruppe mit ctDNA-gesteuerter Behandlung erhielten mit 15% deutlich weniger Patienten eine adjuvante Chemotherapie als in der Vergleichsgruppe mit 28%. Wurde eine Chemotherapie durchgeführt, handelte es sich häufiger um eine Oxaliplatin-basierte Chemotherapie als in der Vergleichsgruppe (62% vs. 10%).

Beide Strategien erzielen vergleichbare Ergebnisse beim rezidivfreien Überleben

Im rezidivfreien 2-Jahres-Überleben war die ctDNA-gesteuerte Behandlung mit 93,5% der Standardbehandlung mit 92,4% nicht unterlegen.

Das rezidivfreie 3-Jahres-Überleben betrug 86,4% bei ctDNA-positiven Patienten, die eine adjuvante Chemotherapie erhielten, und 92,5% bei ctDNA-negativen Patienten, die keine Chemotherapie erhielten.

Geringes Rezidivrisiko bei negativem ctDNA-Test

Patienten mit einem negativen ctDNA-Test, die demzufolge postoperativ keine adjuvante Chemotherapie erhalten hatten, wiesen ein sehr geringes Rezidivrisiko auf (7,5%). Das Rezidivrisiko war sogar noch geringer, wenn sie keine klinischen Risikomerkmale aufwiesen (3,3%).

Tie und seine Kollegen schlussfolgern: „Die Ergebnisse dieser Studie sprechen dafür, dass sich für eine klar definierte Untergruppe von Patienten mit Kolonkarzinom im Stadium II aus einer adjuvanten Chemotherapie ein Überlebensvorteil ergibt – nämlich denjenigen mit nachweisbarer ct-DNA nach der operativen Behandlung.“

Weitere Studien werden offene Fragen klären

Einige Fragen seien allerdings, so die beiden Editorial-Autorinnen Montagut und Vidal, noch offen, etwa welche Untergruppe von ctDNA-positiven Patienten wirklich von der Chemotherapie profitiere und welches Chemotherapie-Schema optimal sei.

Mit Spannung würden die Ergebnisse weiterer Studien erwartet. Untersucht wird derzeit unter anderem bei Patienten im Stadium II die Eskalation der Chemotherapie bei ctDNA-Positivität oder die Deeskalation der Chemotherapie bei ctDNA-negativen Patienten.
 

Kommentar

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