Statine gehören zu den am häufigsten verordneten und auch am besten untersuchten Medikamenten. Im Fokus vieler, zum Teil sehr kontroverser Diskussionen steht seit Jahren die Verträglichkeit dieser unstrittig wirksamen Medikamente. Ein Team um Dr. Paulina Stürzebacher von der Klinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig gibt in einem aktuellen Artikel Empfehlungen zur Vorgehensweise bei Patienten mit Statin-Unverträglichkeit und Statin-assoziierten muskulären Schmerzen (SAMS) [1].
Diskrepanz zwischen kontrollierten Studien und Praxisalltag
Zu den Symptomen der so genannten Statin-Intoleranz zählen außer Müdigkeit und Gedächtnisstörungen insbesondere Muskelschmerzen. Ein Problem dabei ist, dass es weder eine einheitliche Definition der Statin-Unverträglichkeit und Statin-assoziierten Myopathie gibt, noch eine laborchemische oder radiologische Methode, mit der die Diagnose objektiviert werden kann.
Es gibt zwar eine von der FDA formulierte Definition; danach sollte erst dann von einer Statin-Unverträglichkeit gesprochen werden, „wenn ein Patient mindestens zwei Statine - das erste in irgendeiner Dosierung, das zweite in einer niedrigen - erhalten habe und über Beschwerden klage“.
Doch diese für Studien vorgesehene Definition erfreut sich offensichtlich im klinischen Alltag keiner allgemeinen Beliebtheit. Denn zwischen der Prävalenz der Beschwerden in den kontrollierten Studien und jener in Beobachtungsstudien und vor allem im Praxisalltag gibt es erhebliche Diskrepanzen. Die Spanne reicht von deutlich weniger als zehn bis hin zu fast 30%.
Die geringe Prävalenz in den kontrollierten Studien mag mit einer strengen Definition der Statin-Intoleranz zusammenhängen, aber auch mit einer wohl überlegten Auswahl der Patienten. Doch auch die hohen Prävalenz-Werte im klinischen Alltag sind nicht über jeden Zweifel erhaben. Denn Statine haben - auch dank kräftiger medialer Unterstützung - kein besonders strahlendes Image.
Eine Folge davon: Manche Patienten, die Statine erhalten, scheinen geradezu auf Muskelschmerzen „zu warten“. Unstrittig ist dennoch: Die Beschwerden der Patienten müssen ernst genommen werden.
Von Verspannungen über Schmerzen bis hin zu Krämpfen
Da ein belastbarer laborchemischer, genetischer oder bildmorphologischer Test zur Diagnose und Quantifizierung von SAMS nicht zur Verfügung steht, ist laut Stürzebecher und ihren Kollegen „eine operationale Diagnostik erforderlich, die auf einer ausführlichen Anamnese und dem zeitlichen Zusammenhang der Beschwerden mit Beginn, Pause und Reexposition von Statinen beruht“.
Die CK-Aktivität sei nicht sensitiv und spezifisch für SAMS. Zu beachten sei zudem, dass eine erhöhte CK-Konzentration per se nicht schmerzhaft sei. Es gebe zwar einen Score zur Unterstützung bei der Diagnose der SAMS (Statin-Associated Muscle Symptom Clinical Index). Die klinische Präsentation von SAMS sei jedoch sehr heterogen und reiche von Verspannung und Steifheit über Schmerzen bis hin zu Krämpfen.
SAMS gehen den Kardiologen zufolge typischerweise ohne oder nur mit einer geringen CK-Erhöhung einher, sind symmetrisch in den proximalen Extremitäten lokalisiert und beginnen etwa 4 bis 6 Wochen nach Beginn der Therapie. Typisch sei, dass sich die Beschwerden innerhalb von 2 Wochen nach Absetzen des Statins besserten. Mögliche Risikofaktoren für SAMS sind unter anderen weibliches Geschlecht, hohes Alter, verschiedene Komorbiditäten und Polypharmazie.
Oft bereits hilfreich: eine gute Anamnese
Erster Schritt bei Patienten, die über SAMS klagen, ist eine ausführliche Anamnese. Dadurch könnten die meisten alternativen und sekundären Ursachen der berichteten Beschwerden ausgeschlossen werden, erklären die Leipziger Kardiologen.
Der nächste Schritt sei eine Einnahmepause von 2 bis 4 Wochen zum „washout“ des Lipidsenkers. Bei Persistenz der Beschwerden seien differenzialdiagnostisch orthopädische Erkrankungen zu klären. Bedacht werden sollten - je nach klinischer Symptomatik - auch neurologische, endokrinologische und systemische entzündliche sowie vaskuläre Erkrankungen.
Bei Abnahme der Beschwerden während der Einnahmepause sollte ein anderes Statin in einer zunächst niedrigen Dosis erprobt werden. Eine Möglichkeit sei auch, ein lang wirksames Statin zunächst alle 2 Tage einzunehmen.
Werde der LDL-C-Zielwert nicht erreicht, könnten Kombinationstherapien mit der maximal verträglichen Statin-Dosis (Ezetimib, Bempedoinsäure) und/oder alternative Cholesterin-Senker (PCSK9-Hemmer) verwendet werden. Eine frühzeitige Kombinationstherapie, etwa mit Ezetimib, könne gute Ergebnisse bei guter Verträglichkeit erzielen.
Mit der Bempedoinsäure gibt es außerdem einen weiteren Lipidsenker auf dem deutschen Markt. Pharmakologisch werde die Substanz als Prodrug eingenommen und sei in der Muskulatur nicht wirksam, da das aktivierende Enzym nur in der Leber exprimiert werde, erklären die Leipziger Kardiologen. Sollte mit einer oralen Kombinationstherapie keine ausreichende Senkung des LDL-C-Wertes erreicht werden, sei die Indikation für eine Therapie mit einem PCSK9- Hemmer oder mit Inclisiran zu evaluieren.
Für Nahrungsergänzungsmittel zur Linderung von Muskelsymptomen (Vitamin D, Coenzym Q10) gibt es laut Stürzebecher und ihren Kollegen keinen Wirksamkeitsbeleg. Bei berichteten positiven Effekten in Einzelfällen könnte es sich um Placebo-Effekte handeln. Daher würden Nahrungsergänzungsmittel von den Fachgesellschaften nicht empfohlen. Empfehlenswert sei dagegen Sport.
Reden kann Gold wert sein
Essenziell im Umgang mit Statin-intoleranten Patienten ist, wie die Autoren weiter betonen, ein ausführliches Gespräch. Denn viele Patienten seien durch mögliche schwerwiegende Nebenwirkungen, die in den Medien diskutiert würden, verunsichert.
Dagegen seien all jene Patienten, bei denen eine Statin-Therapie ein kardiovaskuläres Ereignis verhindert habe, nicht in der Berichterstattung präsent, sodass eine verzerrte Wahrnehmung entsteht. Und das kann Folgen haben: So wurde in einer dänischen Studie eine Assoziation zwischen negativer Berichterstattung und frühzeitigem Abbruch der lipidsenkenden Therapie berichtet.
Ein gutes Arzt-Patienten-Gespräch zur Indikation der Statin-Therapie, zum Nutzen und zu einem möglichen Noceboeffekt könne dagegen die Therapieadhärenz steigern. Außerdem: Mögliche Nebenwirkungen von Statinen sind, wie die Autoren zudem betonen, reversibel, die Folgen eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls hingegen nicht.
Jeder Patient, der SAMS angebe, benötige "Aufmerksamkeit und Zeit – nicht aus Sicherheitsgründen, sondern um die Therapietreue zu unterstützen und die LDL-C-Ziele zu erreichen". Ein intensives Engagement lohnt sich auch: Große Fallserien zeigen den Autoren zufolge, dass über 90% der Patienten mit SAMS langfristig doch ein Statin tolerieren.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de .
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Diesen Artikel so zitieren: Müdigkeit, Gedächtnisstörungen, Muskelschmerzen – was tun bei Statin-Unverträglichkeit? - Medscape - 14. Jun 2022.
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