MEINUNG

Neuro-Talk: Trügerische Trigger bei Migräne, negative Daten zu Vitamin C und B12 und Vorsicht mit Epilepsie-Therapie bei Schwangeren

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Interessenkonflikte

8. August 2022

Die neurologischen Studien-Highlights im Juli bringen wichtige Erkenntnisse für die Therapie von Migräne, Epilepsie, Sepsis. MS und ALS. Prof. Dr. Hans-Christoph Diener stellt sie vor.

Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Ich berichte ich Ihnen heute, welche interessanten Studien im Juli 2022veröffentlicht worden sind.

Antiepileptika in der Schwangerschaft

Ich beginne mit Epilepsie und Schwangerschaft. Wir wissen, dass bestimmte Antiepileptika, insbesondere die Valproinsäure, teratogen wirken und zu Missbildungen bei den Neugeborenen führen können. Ein weiteres Thema ist die Frage, ob Antiepileptika während der Schwangerschaft auch Autismus oder intellektuelle Behinderungen hervorrufen können.

Hier gibt es jetzt eine exzellente Studie aus den skandinavischen Ländern [1]. In der Studie wurden Daten von 4,5 Mio. Schwangerschaften ausgewertet. Bei diesen Schwangerschaften war bekannt, ob die Frauen während der Schwangerschaft Antiepileptika einnahmen. Es wurden 21.634 Kinder von Müttern mit Epilepsie, die aber während der Schwangerschaft keine Antiepileptika einnahmen, verglichen mit entsprechend vielen Kindern, deren Mütter während der Schwangerschaft Antiepileptika verwendeten.

Dabei zeigte sich ein signifikant erhöhtes Risiko sowohl für Autismus als auch für intellektuelle Einschränkungen im 8. Lebensjahr bei Einnahme von Topiramat oder Valproinsäure. Das bedeutet, dass mit diesen Medikamenten während der Schwangerschaft sehr vorsichtig umgegangen werden soll, sie sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Es gab auch einen Dosiseffekt, je höher die Dosis von Topiramat oder von Valproinsäure war, umso höher war das Risiko für Autismus und intellektuelle Einschränkungen.

Vitamin C bei Sepsis?

In der Intensivmedizin gab es einige sehr widersprüchliche Studien zum Einsatz von hoch dosiertem Vitamin C in der Behandlung von Sepsis. Vor kurzem ist eine Studie mit einem Cocktail aus Vitamin C und Cortison erschienen, die keine Wirkung zeigte.

Jetzt ist eine neue Studie im New England Journal of Medicine mit 872 Patienten auf der Intensivstation publiziert worden [2]. Die Patienten benötigten eine vasopressorische Therapie. 435 Patienten erhielten Vitamin C (50 mg/kg Körpergewicht) alle 6 Stunden für 96 Stunden, 437 Patienten bekamen Placebo. Primärer Endpunkt war die Kombination aus Tod und Organversagen.

Hier zeigte sich überraschenderweise, dass hoch dosiertes Vitamin C nicht nur nicht wirksam war, sondern sogar die Prognose verschlechterte. Das galt auch für die Sterblichkeit. Damit ist hoch dosiertes Vitamin C „out“ für die Behandlung der Sepsis auf der Intensivstation. 

Monoklonale Antikörper zur Migräneprophylaxe

Es gibt neue Leitlinien der European Headache Federation (EHF) zum Einsatz monoklonaler Antikörper in der Migräneprophylaxe [3].

Mit der ersten Empfehlung bin ich nicht einverstanden, weil die Autoren sagen, diese monoklonalen Antikörper wären die Therapie der 1. Wahl. Sie sind natürlich sehr gut verträglich, aber sie sind nicht besser wirksam als die bisher verfügbaren Migräne-Prophylaktika. Sie werden auch nur bei Patienten erstattet, bei denen die bisherigen Migräne-Prophylaktika nicht wirksam waren oder nicht vertragen wurden.

Die Autoren äußern sich auch zur Behandlungsdauer und empfehlen, dass diese 12 bis 18 Monate umfassen und man dann eine Therapiepause einlegen sollte. Wenn die Migräne dann wieder schlechter wird, dann sollten die monoklonalen Antikörper wieder gegeben werden.

Es gibt keine Aussagen zum Switch. Wenn ein Patient zum Beispiel auf Erenumab nicht anspricht, könnte es ja möglicherweise sinnvoll sein, die anderen monoklonalen Antikörper, nämlich Fremanezumab, Galcanezumab und Eptinezumab auszuprobieren.

Trigger-Faktoren bei Migräne

Eine weitere Studie räumt mit einem Vorurteil auf, dass wir vermutlich alle haben, nämlich, der Rolle von Trigger-Faktoren für die Auslösung der Migräne [4]. Diese Studie hat eine App benutzt, bei der die Patienten jeden Tag eingetragen haben, ob sie Migräne haben. Dann konnten sie bis zu 38 von ihnen vermutete Triggerfaktoren erfassen.

Nach 90 Tagen zeigte sich dann bei diesen 328 Personen, dass die meisten vermuteten Trigger-Faktoren überhaupt keine Trigger-Faktoren sind. Pro Patient wurden im Schnitt nur 2 Trigger-Faktoren identifiziert. Am häufigsten waren Nackenschmerzen, an den nachfolgenden Stellen kamen dann z.B. Müdigkeit, Stress oder Angstzustände.

Rituximab bei MS

Bei der multiplen Sklerose (MS) wird seit langem vermutet, dass Rituximab, also ein CD20-Antikörper, der B-Zellen depletiert, bei der schubförmigen MS wirksam ist. Es wurden aber nie placebokontrollierte Studien durchgeführt, weil der Patentschutz dieser Substanz abgelaufen war.

Jetzt gibt es aus Schweden eine Phase-3-Studie bei Patienten mit schubförmiger MS, in der Rituximab (1.000 mg initial, dann 500 mg alle 6 Monate) mit Dimethylfumarat oral (DMF, 2 x 240 mg/Tag) über 2 Jahre verglichen wurde [5]. Primärer Endpunkt waren erneute Schübe.

Erneute Schübe waren unter Rituximab signifikant seltener als unter DMF. Natürlich hatte Rituximab mehr Nebenwirkungen. Ob das aber dazu führt, dass Rituximab in Deutschland in Zukunft erstattet wird, wage ich zu bezweifeln. 

Hoch dosiertes Vitamin B12 bei ALS

Die letzte Studie hat extrem viele Diskussionen hervorgerufen. In der japanischen Phase-3-Studie wurden ultrahohe Vitamin-B12-Dosen von Vitamin B12 in frühen Stadien der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) untersucht [6].

Je 65 Patienten erhielten nach 12 Wochen Beobachtung über 16 Wochen hochdosiertes Vitamin B12 oder Placebo. Die Autoren fanden eine signifikante Wirksamkeit auf die Amyotrophic Lateral Sclerosis Functional Rating Scale (ALSFRS-R).

Das wurde sehr kritisch aufgenommen, und zwar zum einen, weil die Studie extrem kurz war, und zum anderen, weil hochdosierter Vitamin B12 den Urin verfärbt und damit wahrscheinlich die Patienten entblindet hat.

Die meisten Experten sagen, dass man dies im Moment nicht propagieren sollte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige spannende Studien im Bereich der Neurologie im Monat Juli 2022.

Ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und bedanke mich fürs Zuhören und fürs Zuschauen.
 

Kommentar

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