Sehr viele Patienten kommen mit der Nebendiagnose Diabetes ins Krankenhaus. Prof. Dr. Stephan Martin erklärt, was beim Management dieser Patienten beachtet werden sollte.
Transkript des Videos von Prof. Dr. Stephan Martin, Düsseldorf
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Patienten im Krankenhaus haben sehr häufig als Nebendiagnose einen manifesten Diabetes mellitus oder weisen stressbedingt erhöhte Blutzuckerwerte auf. Man geht davon aus, dass mindestens 30% der stationären Patienten eine solche Komorbidität haben.
In einer Reihe von Studien konnte gezeigt werden, dass für diese Patienten das Risiko für eine Vielzahl von Komplikationen deutlich erhöht ist, wenn keine definierten Ansätze für die Behandlung des erhöhten Blutzucker-Spiegels vorliegen.
Im Jahr 2012 hat die Endocrine Society Leitlinien für die Behandlung von hospitalisierten Patienten mit Diabetes oder stressbedingter Hyperglykämie publiziert und jetzt ganz aktuell noch einmal analysiert [1, 2].
Dabei wurden durch ein multidisziplinäres Gremium von klinischen Experten und Patientenvertretern sowie von Experten für systematische Übersichtsarbeiten Studien überprüft und nach dem GRADE-Verfahren bewertet. Ziel war es, eine möglichst hohe Evidenz der Leitlinien zu erreichen.
Das Gremium hat sich auf 10 häufig auftretende Probleme, die für das glykämische Management im Krankenhaus spezifisch sind, und 15 Empfehlungen geeinigt.
Empfehlungen zum glykämischen Management in der Klinik
Bei Patienten im Krankenhaus sollte eine kontinuierliche Blutzuckermessung eingesetzt werden, weil es ein effektives Verfahren ist, um das Risiko von Hypoglykämien bei Krankenhaus-Patienten zu verhindern.
Patienten, die mit Glucocorticoiden behandelt werden oder enteral ernährt werden, die also Flüssignahrung direkt in den Verdauungstrakt erhalten, haben ein hohes Hyperglykämie-Risiko. Deshalb benötigen sie im Krankenhaus eine strukturierte Insulin-Therapie mittels Insulinanpassung.
Patienten, die vor der Hospitalisierung schon mit einer Insulinpumpe behandelt wurden, sollten diese Geräte, wenn möglich, unter der Aufsicht des Krankenhauspersonals weiter nutzen.
Die Schulung von Krankenhauspatienten zum Diabetes-Management ist sinnvoll. Es gibt Hinweise, dass sie zu einer Verbesserung der Blutzuckereinstellung nach der Entlassung führt und das Risiko für Wiederaufnahmen ins Krankenhaus senkt.
Bei Patienten mit Diabetes, bei denen eine elektive Operation geplant ist, können sich postoperative Ergebnisse verbessern, wenn präoperativ der HbA1c-Wert unter 8% und die Blutzuckerwerte unmittelbar präoperativ unter 180 mg/dl liegen. Ist ein HbA1c-Wert unter 8% nicht erreichbar, sollte man präoperativ versuchen, eine Blutzuckerkonzentration zwischen 100 und 180 mg/dl (5,6-10 mmol/l) anzustreben.
Weiterhin wird empfohlen, dass Patienten mit einem Diabetes vor einer Operation keine kohlenhydrathaltigen Getränke erhalten.
Wenn bei Patienten im Krankenhaus neu eine Diabetes oder eine Hyperglykämie erkannt wird oder ein gut eingestellter Diabetes vorliegt, der bisher noch nicht mit Insulin behandelt wird, kann man im Krankenhaus mit einer alleinigen Insulintherapie behandeln, weil diese besser steuerbar ist.
Eine planmäßige Insulintherapie ist bei Patienten nach den Empfehlungen bei einem Blutzuckerwert von anhaltend 180 mg/dl vorzuziehen, auch wenn sie vor der Aufnahme eine Insulintherapie hatten ist zusätzlich eine Kurzzeittherapie empfohlen.
Bei bestimmten Patienten können DPP4-Inhibitoren zusammen mit Insulin eingesetzt werden.
Diese Ratschläge werden bei uns im Verbund der katholischen Kliniken in Düsseldorf, in dem ich arbeite, in allen 5 Häusern in den letzten 10 Jahren umgesetzt. Nur die kontinuierliche Glucosemessung haben wir aus Kostengründen noch nicht eingesetzt.
Wie gehen wir vor?
Wir haben ein Team aus Diabetes-Managern, das sind Krankenschwestern und Ernährungsberaterinnen, die wir speziell ausgebildet haben. Aber wir haben auch zertifizierte Diabetes-Beraterinnen, die Diabetes-Assistentinnen, die gehen in allen 30 Fachabteilungen unseres Verbundes zu jedem Patienten mit einem bekannten Diabetes oder bei dem wir bei der Aufnahme hyperglykämische Werte identifiziert haben.
Sie erfassen strukturiert die Anamnese der gesamten Diabetes-Erkrankung. Bei Insulintherapie werden die Spritzstellen inspiziert. Wir führen zudem eine orientierende neurologische Untersuchung durch, um auf die diabetische Neuropathie zu screenen, und wir betrachten die Füße.
Die Laborparameter HbA1c, die berechnete eGFR, LDL-Cholesterin, Mikroalbuminurie gehören bei allen Patienten mit Diabetes zum Routineprogramm.
Die Befunde werden in einer elektronischen Patientenakte erfasst. Die Blutzucker-Tagesprofile werden telemedizinisch von den Stationen in diese Akte übertragen. Zusammen im Team mit einer Diabetologin wird die Insulintherapie jeden Tag angepasst.
Wir versuchen die Patienten, wenn es möglich ist, auch zu schulen oder zumindest ihnen Hinweise zu geben.
Dieser Aufwand lohnt sich. Das konnten wir in einer Studie zeigen, die wir vor einigen Jahren publiziert haben. Die Liegedauer von Personen mit der Nebendiagnose Diabetes ist bei uns im Vergleich zu Personen ohne Diabetes in den letzten Jahren überproportional gesunken um 0,9 Tage.
Für diese Tätigkeit wurde der Verbund katholischer Kliniken Düsseldorf auch mit dem Gesundheitspreis des Landes Nordrhein-Westfalen im Jahr 2020 ausgezeichnet.
Wie sieht es in anderen Kliniken in Deutschland aus?
Wenn man den Erzählungen von Patienten Glauben schenken kann, dann ist das Wissen eines gut geschulten Patienten mit Typ-1-Diabetes bei weitem höher als das von Fachärzten sogar in der Abteilung Innere Medizin. Diabetologie ist in den letzten Jahren ein ambulantes Fach geworden mit der Konsequenz, dass sich im Krankenhaus keiner mehr damit auskennt.
Häufig gab es noch einen Oberarzt oder einen Alt-Assistenten, der Diabetologie als Hobby betrieb. Davon sind jedoch die meisten in Rente und es gibt keinen mehr, der gefragt werden kann.
Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft bemüht sich mit dem Zertifikat „Klinik für Diabetes-Patienten geeignet“ seit Jahren entsprechende Kliniken zu zertifizieren. Wir haben das Zertifikat erworben, aber am 1.7.2022 waren laut Homepage der Deutschen Diabetes-Gesellschaft nur weitere 87 Kliniken in Deutschland zertifiziert.
Laut Statistischem Bundesamt haben wir 1.925 Kliniken in Deutschland, das bedeutet, weniger als 5% der Kliniken in Deutschland haben eine entsprechende Zertifizierung.
Wir sprechen gerne von Versorgungsgerechtigkeit. Bei Patienten mit Diabetes, mit der Nebendiagnose Diabetes im Krankenhaus haben wir diese Versorgungsgerechtigkeit nicht.
Vielleicht prüfen Sie, wenn Sie Patienten elektiv in ein Krankenhaus einweisen, ob das Krankenhaus ein entsprechendes Zertifikat hat. Wenn es das nicht hat, finden Sie vielleicht ein anderes Krankenhaus.
Ich glaube; Ihr Patient dankt es Ihnen.
Ich wünsche Ihnen wie immer alles Gute.
Ihr Stephan Martin
Medscape © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Mit erhöhtem Blutzucker ins Krankenhaus: So sollten Ärzte und Diabetes-Manager diese Patienten optimal betreuen - Medscape - 28. Jul 2022.
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