Eine Umfrage an Schulen zeigt auf, was junge Menschen über die Volkskrankheit alles nicht wissen. Prof. Dr. Stephan Martin fordert, dass auch die Probleme von Übergewicht in den Lehrplan aufgenommen werden.
Transkript des Videos von Prof. Dr. Stephan Martin, Düsseldorf
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich befinde mich in einem der Vortragssäle in Berlin beim Diabetes-Kongress 2022, in dem ich gerade eine Studie aus dem Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrum vorgestellt habe (FV08). Ich könnte mir vorstellen, dass sie auch für Sie alle von Interesse ist.
Wir haben bei Schülern das Wissen zum Diabetes mellitus abgefragt – im Jahr 2007 und im Jahr 2019. Im Jahr 2007 waren es 4.383 Schüler im Zusammenhang mit dem Nationalen Aktionsforum, im Jahr 2019 waren es 572 Schüler in Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen.
Etwa 50% der Schüler besuchten ein Gymnasium, 30% eine Realschule und knapp 20% eine Hauptschule. Zwischen den Schulformen gab es keine Unterschiede bei den Fragen.
Die Schüler mussten Fragebögen ausfüllen mit z.B. allgemeinen Fragen zum Diabetes. Zum Beispiel: „Ist Diabetes ansteckend?“ oder „Welcher Wert ist erhöht?“ Das haben fast 90% der Schüler richtig beantwortet.
Außerdem haben wir typische Beschwerden abgefragt, z.B. gehören dazu Durst, Gewichtsabnahme, häufiges Wasserlassen. Da sahen die Ergebnisse schon anders aus. Gerade 25% kannten die typischen Beschwerden, 60% hatten als Antwort „Müdigkeit“ angekreuzt. Es zeigte sich, dass die Befragten unsicher waren.
Bei Fragen nach den Folgeerkrankungen wussten 40%, dass ein Herzinfarkt mit dem Diabetes zusammenhängt. Aber die typischen Komplikationen, wie Erkrankungen an Augen, Nieren und Nerven, waren den Schülern völlig unbekannt.
Wir fragten nach den Ursachen für Typ-1-Diabetes und weit über 70% der Schüler sahen die Ursache in zu hohem Zuckerkonsum. Die Rate der richtigen Antworten ist im Jahr 2019 im Vergleich zum Jahr 2007 eher schlechter geworden. Mehr glaubten also im Jahr 2019, dass erhöhter Zuckerkonsum zum Typ-1-Diabetes führt.
Die Frage nach der Behandlung des Typ-1-Diabetes, nämlich mit Insulin, konnte eine ganze Menge richtig beantworten. Dass man den Typ-2-Diabetes mit Ernährungsumstellung und Bewegung behandeln kann, das wussten die Wenigsten.
Zu Risikofaktoren wie Übergewicht wussten 60%, dass dies zu Diabetes führt. Zu den Ursachen für einen Herzinfarkt wussten 60%, dass ein Bluthochdruck auslösend sein kann, aber 40% wussten gar nicht, dass Rauchen einen Herzinfarkt begünstigen kann. Dass Rauchen zu Krebs führt, war vielen (80%) bekannt, aber das Rauchen auch zum Herzinfarkt führt, wussten die Wenigsten.
Was können wir aus diesen Analysen zusammenfassen?
Das Wissen, das die Schüler in der Schule bekommen und haben, tragen sie ins spätere Leben weiter. Wir können also nicht davon ausgehen, dass die Menschen nach der Schule mehr wissen.
Für mich ist die erschreckendste Botschaft dieser Untersuchung die Diskriminierung von Personen durch Erkrankung. Wenn 70-75% der Schüler glauben, dass Kinder mit Typ-1-Diabetes selber schuld sind, weil sie zu viel Zucker gegessen haben, dann haben wir bzw. die Schulbildung in Deutschland ein Riesenproblem.
Vielleicht sollten die Schulen einmal überlegen, ob man vielleicht weniger über das Liebesleben der Maikäfer unterrichtet, sondern eher Themen, die wichtig für das tägliche Leben sind.
Wir haben eine Diabetes-Epidemie, wir müssen die Menschen frühzeitig davon in Kenntnis setzen, dass Übergewicht viele Erkrankungen auslöst. Wie können wir Übergewicht bekämpfen – das können wir nur in den Schulen.
Ich hoffe, es war für Sie interessant.
Liebe Grüße aus Berlin
Ihr Stephan Martin
Medscape © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Was weiß der Nachwuchs über Diabetes? Umfrage in Schulen deckt große Wissenslücken auf - Medscape - 20. Jun 2022.
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