Tipps für Ärzte: Richtig reagieren bei einer Anaphylaxie – und Risiken weiterer Ereignisse minimieren

Redaktion: Dr. Linda Fischer

Interessenkonflikte

4. August 2022

Eine Anaphylaxie ist ein potenziell lebensbedrohlicher Zustand. Prof. Dr. Franziska Rueff vom Klinikum der Universität München gab beim 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. einen Überblick. Sie erklärte, Ärzte im Notfall vorgehen können und welche Fallstricke bei der Diagnose lauern [1].

Ein Blick auf die Definition

Limitiert ist der Begriff der Anaphylaxie auf schwere allergische Sofortreaktionen, bei denen…

  • mindestens 2 Organsysteme betroffen sind oder

  • kritischer Blutdruckabfall auftritt oder

  • es zu schweren Bronchokonstriktionen kommt.

Rueff definiert die Anaphylaxie als Sofortreaktion mit systemischer Beteiligung, die mit folgenden Reaktionen verbunden sein kann: 

  • Symptome der Soforttyp-Allergie,

  • systemische Unverträglichkeitsreaktion (auch generalisierte Hautreaktion),

  • leichte Reaktionen bis hin zum Atem- oder Herz-Kreislaufstillstand,

  • Auslöser (Co-Faktor),

  • rasches Einsetzen der Exposition.

Typisch sei auch, dass man Beschwerden auf einen bestimmten Auslöser zurückzuführen könne, so die Referentin weiter. 

Altersabhängige Bedeutung von Allergenen

Hinsichtlich der Auslöser gibt es eine klare altersabhängige Prädominanz verschiedener Auslöser. Bei Erwachsenen sind es vor allem Insektengifte und Arzneimittel, bei Kindern Nahrungsmittel. Zu letzteren zählt Rueff unter anderem die üblichen Verdächtigen wie Nüsse, verschiedene Mehlsorten und Eier.

Auslöser tödlicher anaphylaktischer Reaktionen

Um zu veranschaulichen, wodurch schwere anaphylaktische Reaktionen ausgelöst werden können, greift Rueff auf Daten aus Großbritannien von 1992 bis 1998 zurück, welche Auslöser von insgesamt 139 Verstorbenen abbilden (Tab. 1). Verzerrt seien die Daten jedoch in der Hinsicht, dass nur diejenigen Verstorbenen mit einbezogen wurden, die es in die Diagnostik von Autor Pumphrey geschafft hatten. In 46 % der Fälle waren Medikamente der Auslöser.

 

Auslöser

Anzahl der Fälle

Narkotika

27

Antibiotika

16

Kontrastmittel

8

andere Iatrogene

13

Insektengift

35

Nüsse

25

andere Nahrungsmittel

14

sonstige

1

 

Auslöser tödlicher anaphylaktischer Reaktionen (Pumphrey et al., 2000). 

Tödlich verlaufende Anaphylaxie auch bei optimaler Betreuung

Dass viele tödlich verlaufende Anaphylaxie-Fälle auf Arzneimittel zurückzuführen sind, bestätigen mehrere Studien. Rueff betont, viele dieser Todesfälle träten auch im Rahmen stationärer Behandlungen auf. Obwohl die Patienten sich also bereits im ärztlichen Versorgungsbereich befinden und im Prinzip alles möglich ist, um den Betroffenen zu helfen, können sie an einer Anaphylaxie sterben.

Rueffs Fazit: Die beste Anaphylaxie sei diejenige, die gar nicht auftrete, denn jede Anaphylaxie könne unter Umständen sogar bei optimaler Betreuung lebensbedrohlich verlaufen.

Symptomatische Therapie: Notfallversorgung, Selbstmedikation („Notfallset")

Allgemeine Maßnahmen

  • Allergenzufuhr wenn möglich stoppen

  • keine sitzende Lagerung

  • Notruf absetzen

  • venöser Zugang, Volumengabe, Sauerstoff

  • Monitoring: Puls, Blutdruck Sättigung

  • stationäre Überwachung auch bei leichten und mittelschweren Reaktionen mindestens 10 Stunden (biphasische Reaktionen sind selten, aber möglich)

Neue Leitlinie zur Behandlung

Rueff empfiehlt Ärzten, die Leitlinie in Ruhe zu sichten und hebt lediglich die Adrenalinbehandlung hervor. Der Arzneistoff wird bei Reaktionen des Schweregrades II bis III empfohlen (Anaphylaxie mit Herz-Kreislauf-Versagen, eventuell Bewusstlosigkeit). Teilweise wird Adrenalin i.m. bereits bei mittelschweren Reaktionen empfohlen, i.v. nur unter Monitorbedingungen.

Rueff weist auf den engen therapeutischen Spielraum von Adrenalin hin. Wird es nicht korrekt eingesetzt, bzw. zu hoch dosiert, könne dies tödliche Folgen für die zu behandelnde Person nach sich ziehen.6

Notfallversorgung: Leitlinie versus Realität

Obwohl Menschen mit Schweregrad II-Reaktionen nach Leitlinienempfehlung mit Adrenalin behandelt werden sollten, zeigte eine Umfrage bei Ärzten der Notfallversorgung in Deutschland (2010 bis 2011, 2.237 Befragte), dass in der Realität kaum Adrenalin verabreicht wird. Glücklicherweise überstünden dies die meisten Patienten schadlos, so Rueff.

Selbstmedikation (Notfallset)

Das Notfallset wird Patientinnen und Patienten mitgegeben, wenn ein nicht sicher vermeidbarer Auslöser vorhanden ist, wie beispielsweise Insektenstiche oder Lebensmittel. Bei Arzneimitteln als Auslöser bekommen die Betroffenen normalerweise ein Notfallset zur Selbstmedikation.

Medikamente des Notfallsets

  • schnell wirksames Antihistaminikum, z.B. Cetirizin, Dimetindenmaleat

  • Kortikosteroid (100 mg Prednisolonäquivalent): Lösung, Tabletten oder Suppositorium

  • Adrenalinpräparat zur Injektion (150, 300 oder 500 µg)

  • bei Asthma: bronchodilatierendes Spray

Rueff betont, dass es zu den Medikamenten des Notfallsets keine klinischen Studien bei Anaphylaxie gebe und auch nicht wirklich bekannt sei, ob Patienten die Anwendung beherrschten. Dazu gäbe es jedoch Schulungen. 

Diagnostik zur Identifizierung des Allergens: Auslöser meiden

Wichtiger als die Medikation sei laut Rueff, herauszufinden, wodurch die Anaphylaxie ausgelöst worden sei, um künftigen Kontakt zu vermeiden. Das A und O der Diagnostik sei die Anamnese. Zusätzlich spielen Prick- und In-vitro-Tests eine Rolle. Bei einem Teil der Patienten sind auch stationäre Provokationstests erforderlich.  

Fallstricke der Diagnostik: 

  • Co-Faktoren nicht berücksichtigt, die eine Anaphylaxie fördern könnten (ASS, Alkohol, Anstrengung, hormonelle Faktoren, Infekt)

  • verstecktes Allergen

  • nicht alle verfügbaren Testverfahren eingesetzt

  • die verfügbaren Testverfahren sind nicht sensitiv genug

  • kein Provokationstest

  • Provokationstest, aber Menge nicht ausreichend/ohne Co-Faktoren

Bedeutung von Faktoren für den Schweregrad der Anaphylaxie

Ergebnissen einer Multivariaten-Analyse (European Anaphylaxis Registry 2007-2017, n = 8.055) zeigen, dass zahlreiche Faktoren dazu führen können, dass Menschen überhaupt reagieren bzw. schwerer reagieren. Zu den wichtigsten Faktoren zählen ein höheres Alter, Mastozytose und auch einige Arzneimittel. Bei Patienten mit Anaphylaxie und nicht vermeidbaren Auslösern versucht Rueff dennoch, beispielsweise ACE-Hemmer möglichst durch andere Substanzen zu ersetzen.

Spezifische Immuntherapie (SIT), Toleranzinduktion

Bienen- oder Wespenstich-SIT: Als „Star“ unter den Hyposensibilisierungsbehandlungen erwähnt Rueff die Insektengifttherapie. Die meisten Patienten wählen diese Hyposensibilisierung, um kein Notfallset mehr mitführen zu müssen. Ein häufiges Problem: Irgendwann lässt die Motivation, sich regelmäßig behandeln zu lassen, nach.

Pragmatisch wird die Therapie deshalb nach drei bis fünf Jahren beendet. Bei vielen Betroffenen hält der Effekt längerfristig an, allerdings nicht bei allen. Das bedeutet, bei Patienten mit Risiko für eine potenziell tödliche Reaktion müsse laut Rueff eigentlich lebenslang behandelt werden.

Toleranzinduktion: Hier nennt Rueff die seit einiger Zeit zugelassene Hyposensibilisierungslösung für Kinder mit Erdnussallergie. Die präventive Erdnuss-Zufuhr soll das Risiko einer Erdnussallergie reduzieren. Allerdings dämpft Rueff die Hoffnung auf eine allzu große Euphorie für diese Therapie. Der Grund: Die Dosis, die ein Patient oder eine Patientin durch diese Therapie verträgt, bewege sich im Bereich von Spuren, die in Lebensmitteln vorkommen können. Große Mengen seien nicht abgedeckt.

Uneinheitliche Ergebnisse liegen zur oralen/sublingualen Hyposensibilisierung von Erdnuss-allergischen Kindern vor, welche dosisabhängig zu Toleranz führen soll. Allerdings käme es teilweise bei Patienten zu einer eosinophilen Ösophagitis, so die Expertin. Das bedeutet, die Betroffenen reagieren nicht mehr anaphylaktisch, sondern die Allergie mache eine Spättyp-Reaktion. Patienten würden dann unter anderen Beschwerden leiden, so Rueff.

Medikamentöse Prophylaxe

Pharmaka zur Vorbeugung sind eine Option, falls Patienten bestimmte Wirkstoffe unbeding benötigen, aber nicht vertragen, etwa im Zuge einer Chemotherapie oder einer Antibiose. Ärzte können mit einer Prämedikation arbeiten. Wichtig sei hier, dies mehrere Stunden vor der eigentlichen Behandlung durchzuführen, betont Rueff.

Zum Schluss ihres Vortrags geht Rueff auf den humanisierten murinen monoklonalen IgE-Antikörper Omalizumab ein, der zugelassen ist für allergisches Asthma, Nasenpolypen und Urtikaria. Rueff bemängelt hier die fehlende Indikation für das IgE-vermittelte Krankheitsbild Anaphylaxie. Ein Off-Label-Use sei aber möglich.

Rueff und ihr Team konnten einzelnen Patienten, welche ihre Insektenhyposensibilisierung schlecht vertragen oder schwerste Reaktionen auf nicht vermeidbare Lebensmittel erlitten haben, helfen, indem dieses Präparat vorab gegeben wurde.

Dieser Beitrag ist im Original erschienen auf Coliquio.de.

 

Kommentar

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