Weitere Therapieoption bei essenziellem Tremor: Magnetresonanz-gesteuerter fokussierter Ultraschall

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

9. Juni 2022

Aus einem Glas trinken oder einen Schlüssel in ein Schloss stecken – Alltagstätigkeiten werden für Patienten mit essenziellem Tremor (ET) aufgrund unwillkürlichen Händezitterns zur täglichen Herausforderung. Mit dem Magnetresonanztomografie-gesteuerten fokussierten Ultraschall (MRgFUS) steht jetzt für die Behandlung des essenziellen oder Parkinson-bedingten Tremors eine weitere Option zur Verfügung. Der MRgFUS könnte die etablierte medikamentöse Therapie und die tiefe Hirnstimulation ergänzen.

 
Der essenzielle Tremor kann bei Halte- und Zielaufgaben für die Patienten sehr beeinträchtigend sein. Dr. Steffen Paschen
 

Welche Therapie welche Vorteile bringt und welche Risiken birgt, stellte Dr. Steffen Paschen, Oberarzt an der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKHS), Campus Kiel, auf einer Online-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin e.V. (DEGUM) vor [1]. „Der essenzielle Tremor kann bei Halte- und Zielaufgaben für die Patienten sehr beeinträchtigend sein“, betonte Paschen.

Bei ET handelt es sich um eine sehr häufige Erkrankung. Bei den über 60-Jährigen sind 5% der Bevölkerung betroffen, Männer und Frauen gleich häufig. „Es gibt 2 Häufigkeitsgipfel – einmal im 2. Lebensjahrzehnt und dann im 6. Lebensjahrzehnt“, erklärte Paschen. Der ET stellt die zweithäufigste Bewegungsstörung dar.

„Patienten mit essenziellem Tremor stehen oft unter einem großen Leidensdruck“, sagte Prof. Dr. Ann-Kristin Helmers von der Klinik für Neurochirurgie am UKSH. Ist der Tremor ausgeprägt, sind häufig einfachste Alltagsverrichtungen nicht mehr möglich, erinnert Helmers. So überrascht es nicht, dass 85% der Patienten mit essenziellem Tremor von einer deutlichen Verschlechterung ihrer Lebensqualität berichten. Viele der Betroffenen geben an, sozial eingeschränkt zu sein. Bei rund 25% führt der Tremor zu Berufswechsel oder Frühberentung.

 
Patienten mit essenziellem Tremor stehen oft unter einem großen Leidensdruck. Prof. Dr. Ann-Kristin Helmers
 

Beim ET handelt es sich um eine progrediente neurologische Primärerkrankung, die wahrscheinlich auf neuronale Fehlfunktionen im Cerebellum und/oder Nucleus olivaris inferior des Metencephalons sowie in bestimmten Strukturen des Thalamus zurückgeht. Die genaue Pathophysiologie des ET ist bis heute unbekannt. Eine genetische Komponente wird vermutet.

Medikamente und tiefe Hirnstimulation sind Standardtherapie

Neben der medikamentösen Therapie mit Betablockern und Antikonvulsiva gilt bis heute die tiefe Hirnstimulation (THS) als Standardtherapie. Dabei werden über dauerhaft implantierte Elektroden Regionen im Thalamus mit hochfrequentem Strom stimuliert. Unter einer medikamentösen Therapie treten allerdings häufig Nebenwirkungen auf, die zu einer Abbruchrate von bis zu 30% führen.

Die THS ist mit Risiken wie intrakraniellen Blutungen oder Infektion verbunden. Bei 1% der mit THS Behandelten kommt es zu einer Hirnblutung mit anschließender Schwächung der Körperseite. „Das ist bei einer rein symptomatischen Behandlung eine schwere Nebenwirkung“, sagte Paschen.

Auch wenn der Vorteil der THS gerade für jüngere Patienten auf der Hand liegt: Über Jahrzehnte hinweg kann der Strom erhöht und so dem Erkrankungsprogress begegnet werden – die Suche nach Therapiealternativen nimmt einen hohen Stellenwert ein. Mehr und mehr in den Blick gerät dabei der Magnetresonanztomografie-gesteuerte fokussierte Ultraschall als innovatives Verfahren.

Medikamentöse Therapie muss ausgeschöpft sein

Paschen stellt allerdings klar, dass die medikamentöse Therapie an erster Stelle steht. Als Standardtherapeutika werden die Antiepileptika Topiramat und Primidon und der Betablocker Propranolol eingesetzt, auch in Kombination. „Bevor überhaupt ein invasives neurochirurgisches Verfahren zum Einsatz kommt, müssen Medikamente in ausreichend hoher Dosierung und möglicherweise auch in Kombination ausprobiert werden. Man kann dadurch ungefähr eine 50%ige Reduktion des Zitterns erreichen“, betonte Paschen.

 
Bevor überhaupt ein invasives neurochirurgisches Verfahren zum Einsatz kommt, müssen Medikamente in ausreichend hoher Dosierung … ausprobiert werden. Dr. Steffen Paschen
 

Bei manchen Patienten reiche dieser Effekt aber nicht aus, um zu essen oder zu trinken oder zu schreiben. „Es kann auch sein, dass Patienten Nebenwirkungen unter Medikamenten entwickeln, wie z.B. Schwindel, Konzentrationsstörungen, Müdigkeit. Dies sind typische Nebenwirkungen dieser Medikamente, die dazu führen, dass man die Medikamente nicht in so hoher Dosierung geben kann, wie man bräuchte, um das Zittern zu unterdrücken“, schilderte Paschen die Probleme unter medikamentöser Therapie.

MRT-gesteuerter Ultraschall ist eine schonende Therapieoption

Reichen Medikamente nicht aus, das Zittern maßgeblich zu reduzieren, oder sind die Nebenwirkungen zu groß, können eine THS oder ein MRgFUS erwogen werden.

Die tiefe Hirnstimulation ist das etablierte Standardverfahren, das erstmals 1997 durchgeführt wurde, weltweit wurden bislang mehr als 150.000 Patienten damit behandelt.

 
Der Schädel bleibt intakt, und auch umliegendes Gewebe und Blutgefäße werden nicht in Mitleidenschaft gezogen. Dr. Steffen Paschen
 

Beim Magnetresonanztomografie-gesteuerten fokussierten Ultraschall wird den Patienten eine Art Helm mit 1.024 Ultraschallquellen auf den Kopf gesetzt. Im Zielgebiet des Gehirns – einem Knotenpunkt bei Zittererkrankungen – werden die aus allen Richtungen eintreffenden Ultraschallwellen in Wärme umgewandelt und veröden das dort liegende Gewebe.

Das hat zahlreiche Vorteile: „Der Schädel bleibt intakt, und auch umliegendes Gewebe und Blutgefäße werden nicht in Mitleidenschaft gezogen“, betonte Paschen. Allerdings sei auch dieser Eingriff mit möglichen Nebenwirkungen verbunden: Zu den wichtigsten zählen eine mögliche Gangstörung, Gefühlsstörungen oder eine verwaschene Sprache. „Diese sind jedoch meist nur mild und bilden sich in den Monaten nach der Behandlung zurück.“

 
Mit dem Magnetresonanz-gesteuerten fokussierten Ultraschall steht eine schonendere Therapieoption zur Verfügung. Dr. Steffen Paschen
 

Der Therapieeffekt jedoch – eine Abnahme des Tremors auf der behandelten Seite um 80% bis 90% – bleibe bisherigen Daten zufolge auch 5 Jahre nach dem Eingriff noch bestehen. „Mit dem Magnetresonanz-gesteuerten fokussierten Ultraschall steht eine schonendere Therapieoption zur Verfügung“, sagte Paschen. Die Auswahl des Verfahrens und die Behandlung erfolgt interdisziplinär im neurochirurgisch-neurologischen Team und berücksichtigt individuelle Patientencharakteristika.

MRgFUS bislang in Bonn und Kiel und bald auch in Kassel

Weltweite Daten zeigen, dass bislang ca. 4.000 Patienten mit diesem Verfahren behandelt worden sind.

Deutschlandweit gibt es aktuell 2 Zentren – Bonn, wo seit Mitte 2018 MRgFUS eingesetzt wird, und Kiel, das seit 2021 Tremor-Patienten mit Ultraschall behandelt. In Kürze wird Kassel als 3. Zentrum dazu kommen, berichtete Paschen. Er schätzt, dass deutschlandweit bislang knapp 400 Patienten mit fokussiertem Ultraschall behandelt worden sind.

Ob sich der MRgFUS auch bei vorausgegangenem Schlaganfall mit essenziellem Tremor als Spätfolge eignet, dazu gebe es leider noch keine Daten, sagt Paschen. „Im Einzelfall, als individueller Heilversuch kann der fokussierte Ultraschall sinnvoll sein.“

Seit Anfang August 2021 übernimmt die Barmer Krankenkasse die Kosten für die MRgFUS: „Wir sind sehr stolz darauf, unseren Versicherten als erste Krankenkasse diese neue und schonende Therapieoption anbieten zu können“, sagte Dr. Bernd Hillebrandt, Landesgeschäftsführer der Barmer in Schleswig-Holstein.

Wie Paschen erklärt, tastet man sich beim MRgFUS Schritt für Schritt vor und prüft mit einer Testerwärmung (unterhalb von 50 Grad C und umkehrbar), ob der Tremor bei dem während des Eingriffs wachen Patienten abnimmt. „Wo der ideale Zielpunkt ist, können wir durch MR-kontrollierte Energiesteigerung bei der Behandlung gefahrlos testen“, erklärte Prof. Dr. Ullrich Wüllner, Leiter der Sektion Bewegungsstörungen an der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikum Bonn.

Ist auf diese Weise ein Zielpunkt gefunden, wird die Temperatur bis auf etwa 55 bis 60 Grad Celsius gesteigert. „Nur dort wird das Hirngewebe zerstört und so inaktiviert. Dabei ist die Präzision dank MR-Kontrolle sehr hoch“, sagte Prof. Dr. Hans Schild, Direktor der Klinik für Radiologie am Universitätsklinikum Bonn. In 25 Jahren Neurologie habe er noch nicht erlebt, wie eine so starke Bewegungsstörung so deutlich gebessert werden könne, meinte Wüllner.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat Ende April 2021 die Beratung über eine Richtlinie zur Erprobung des transkranialen Magnetresonanz-gesteuerten fokussierten Ultraschalls (TK-MRgFUS) zur Behandlung von Patienten mit Medikamenten-resistentem essentiellen Tremor, die für eine THS infrage kommen, eingestellt. Der Grund: Ein Erkenntnisgewinn auf ausreichend hohem Evidenzniveau im Rahmen einer Erprobungsstudie sei faktisch unmöglich.
 

Kommentar

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