Apps und Wearables sind auch relevant für die onkologische Praxis. Wie digitale Geräte dazu beitragen könnten, die Versorgung von Krebspatienten zu verbessern, berichtete Dr. Lee W. Jones vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center (MSKCC) in New York, USA, auf dem Annual Meeting der American Society of Clilnical Oncology [1].
Schwächen des ECOG-Status
Ein wichtiger Aspekt: Wie gut Patienten Chemotherapien vertragen, hängt von ihrer körperlichen Verfassung ab. „Der Leistungsstatus ist einer der wichtigsten konsistenten Vorhersagefaktoren, die wir haben”, betonte Jones.
Der Parameter wurde bereits 1948 von David A. Karnofsky entwickelt. Dessen Tools würden bis heute genutzt, so Jones. Bewertungen des Leistungsstatus (PS) sind Teil der Routinebehandlung, genutzt werden dazu Scoring-Systeme wie der Eastern Cooperative Oncology Group (ECOG) Performance Score. Leider weisen Systeme wie der ECOG trotz ihrer umfangreichen klinischen Anwendung eine Reihe von Einschränkungen auf.
In ihrer Studie mit 392 Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) wiesen Jones und Kollegen 2014 eine „erhebliche Heterogenität der körperlichen Leistungsfähigkeit” innerhalb einer ECOG-Kategorie nach. Die Patienten hatten sich jeweils einem Leistungstest nach ECOG-Tools und einem kardiopulmonalen Belastungstest unterzogen. Im Ergebnis zeigte der ECOG kein empfindliches Maß für den Funktionsstatus, der kardiopulmonale Belastungstest hingegen war für das klinische Management von Krebspatienten nützlich.
Gute körperliche Verfassung reduziert Risiko für frühzeitigen Tod
Die körperliche Belastbarkeit stellt einen starken Prädiktor für die Gesamtmortalität dar. Eine möglichst zuverlässige Ermittlung der körperlichen Leistungsfähigkeit ist deshalb prognostisch von Bedeutung.
Jones und Kollegen hatten 398 Patienten mit NSCLC auf ihre Fitness getestet und festgestellt, dass die Gruppe mit dem besten Wert die längste Überlebenszeit aufwies. Ein ähnliches Ergebnis zeigt eine Studie aus 2020, bei der die kardiopulmonale Fitness von 1.632 Krebspatienten mit soliden Tumoren getestet wurde. Die körperliche Belastbarkeit erwies sich in einer Studie mit 543 Brustkrebspatientinnen auch als Prädiktor dafür, wie gut die Probanden die Chemotherapie vertrugen. Dass eine gute körperliche Verfassung einen Schutzeffekt auf die Gesamtmortalität bei älteren Erwachsenen mit Krebs ausüben kann, zeigen die Ergebnisse einer Metaanalyse mit 8109 Patienten.
Eine Metaanalyse mit 15.450 Erwachsenen, die Krebs im Kindesalter überlebt hatten, zeigt, dass körperliche Betätigung im frühen Erwachsenenalter und verstärkte körperliche Betätigung über einen Zeitraum von 8 Jahren hinweg mit einem um 40% geringeren Sterberisiko verbunden war.
„Körperliche Aktivität und Fitness sind starke prognostische Faktoren bei Krebs“, erklärte Jones. „Lassen sich diese Funktionen objektiv messen, kann das sowohl die Risikostratifizierung als auch die Prognose verbessern.“
Das Problem: Belastungstests machen einen Besuch der Patienten vor Ort erforderlich; sie sind nur Momentaufnahmen. Und Selbstauskünfte der Patienten zu Bewegung bzw. zu körperlicher Aktivität sind subjektiv und nur begrenzt von klinischem Nutzen.
Monitoring und technologiegestützte Prognosen mit Smart Watch & Co
Eine entscheidende Rolle könnten hier digitale Geräte wie Smart Watches, Smart Glasses, Smart Rings, Smart Belts oder Bluetooth Key Trackers spielen. Denn mehrere Geräte unterstützen die (passive) Fernsammlung von patientengenerierten Gesundheitsdaten. Und die Fülle von Sensormessungen auf verschiedenen phänotypischen Ebenen – Funktion, Physiologie, Bewegungsmuster – ermöglicht ein multiparametrisches, longitudinales Phänotyping.
In einem Pilotprojekt des MSKCC untersuchen Jones und Kollegen den Einsatz verschiedener digitaler Geräte bei Krebspatienten. Ziele des Pilotprojekts sind die Bewertung der Durchführbarkeit, die Gewinnung von Datenqualität und eine dynamische, longitudinale Kartierung der Veränderungen während und nach der Krebsbehandlung.
Offen ist, ob über die erhobenen Daten Biomarker entwickelt werden können, um die Prognose und/oder die Toxizität der Therapie vorhersagen, ob diese Geräte hinsichtlich ihrer Sensitivität die derzeitigen PS-Messungen übertreffen und ob multivariable Modelle Überlebensvorhersagen verbessern können.
In das Pilotprojekt eingeschlossen wurden 6 Kohorten von Krebspatienten. Jede Kohorte umfasste 12 Patienten mit unterschiedlichem Profil: nach Knochenmarkstransplantation, mit akuter myeloischer Leukämie, mit CAR-T-Zell-Therapie, mit Darmkrebs unter neo-adjuvanter Chemotherapie, mit Lungenkarzinom nach Tumorchirurgie und als Kontrollgruppe altersgleiche Probanden ohne Krebs.
Je nach Kohorte werden Smart Watches, Waagen und Smartphones eingesetzt. Die Forscher erheben werden Mobilität, Schlaf, Schritte (24/7), Herzfrequenz, EKG, Fitness (je nach Bedarf), SpO2 (täglich) und Atemfrequenz (täglich), ferner Gewicht (täglich) und Körperzusammensetzung (täglich). Hinzu kommen die Geh-/Laufstrecke, die Schrittlänge und die Gehgeschwindigkeit. Während der gesamten Studiendauer werden Daten in Echtzeit gesammelt und verarbeitet, die Aufschluss über Bewegungsmuster, Schlafqualität und körperliche Fitness erlauben.
„Aus anderen Studien wissen wir, dass die Fitness nach der Diagnose um 30% geringer ist“, sagt Jones. „Das ist so, weil sich alles ändert, wenn man die Diagnose Krebs erhält.“ Und weiter: „Wir beobachten, dass sich die Fitness der Patienten verbessert, wenn sie ihre Krebsbehandlungen durchlaufen.“ Diejenigen, die eine Behandlung abgebrochen hätten, erreichten nur eine marginale Verbesserung der Fitness.
Zu klärend sei, wann ein geeigneter Zeitpunkt für Interventionen sein könne, so Jones. Direkt bei Diagnose? Bei Therapiebeginn? Im Fall eines Behandlungsabbruchs?
Stärker personalisierte Prognose und besseres Monitoring
Jones nahm Bezug auf die VALENTINE-Studie, in der untersucht wird, ob eine Smart Watch und eine App mit personalisierten Textnachrichten das Aktivitätsniveau von Patienten bei einer kardiologischen Rehabilitation erhöhen können.
Im MSKCC-Pilotprojekt werden Smart Watch und Co etwas anders eingesetzt: „Wir verwenden sie, um den körperlichen Zustand unsrer Patienten zu erfassen (Schlaf, sitzend, aktiv, Bewegung) und nutzen die Geräte zur Charakterisierung“, berichtet der Referent.
„Wir können darüber sehen, ob sich der Schlafzustand verändert hat. Und mit Herzfrequenzdaten können wir hochauflösende physiologische Reaktionen abbilden. Die Compliance der Patienten kann bewertet, Trends und Ausreißer erkannt werden. „Wir werden in der Lage sein, mHealth-Technologien einzusetzen, um genauer zu messen, wie Patienten schlafen, wie sie sich bewegen und wie sie sich fühlen”, so Jones.
Chancen und Risiken
Für die Zukunft sieht Jones in einer 1. Phase eine personalisierte Prognose und ein besseres Monitoring von Krebspatienten und in 2. Phase eine personalisierte Bewegungstherapie, unterstützt von mobilen Geräten und Anwendungen. Auf dem Weg dahin lauern diverse Fallstri >Nahezu kontinuierliches Monitoring des realen Lebens.
Multiparametrische Phänotypisierung (Funktion, Lebensstil, Physiologie).
Entwicklung von personalisierten digitalen Biomarkern.
Finanzierung: Einige Datentypen sind bereits verfügbar und kostenlos.
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Diesen Artikel so zitieren: Mit Apps und Wearables onkologische Patienten besser versorgen: Diese Perspektiven sehen Forscher in Zukunft - Medscape - 9. Jun 2022.
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