MEINUNG

Schockierende Insider-Infos - junge Ärzte protestieren gegen Kommerzialisierung in Kliniken: „DRGs abschaffen und gemeinwohlorientierte Versorgung schaffen“

Christian Beneker

Interessenkonflikte

8. Juni 2022

Junge Ärzte gehen auf die Barrikaden. Dr. Frieder Hummes ist internistischer Assistenzarzt am St. Marienkrankenhaus in Berlin – und aktives Mitglied der Initiative „Bunte Kittel“, die sich dem Protest und dem Engagement gegen die Macht der Ökonomie im Krankenhaus widmet. Im Gespräch mit Medscape erklärt er, was aus Sicht der jungen Ärztinnen und Ärzte schief läuft auf den Krankenhausstationen, was man dagegen tun könnte – und warum er seinen Beruf trotz allem liebt.

Medscape: Herr Dr. Hummes, Sie waren in diesem Jahr zur inzwischen traditionellen Veranstaltung für junge Ärztinnen und Ärzte am Vorabend des Ärztetages geladen. Hatten Sie den Eindruck, gehört und verstanden zu werden?

Dr. Frieder Hummes

Hummes: Teils, teils. Für uns von „Bunte Kittel“ war das ein erstes kleines Forum, auf dem wir uns zeigen konnten. Mitunter war der Wille zur Veränderung zu spüren. Schade fand ich, dass das Thema an den Rand des Ärztetages gelegt wurde und dass kaum Verantwortliche der Bundesärztekammer anwesend waren – aber es war ein Anfang.

Medscape: Was ist Ihr Anliegen?

Hummes: Wir sehen auf den Stationen die Auswirkungen der Kommerzialisierung der medizinischen Versorgung in den Krankenhäusern. Und wir fordern, die DRGs abzuschaffen und eine gemeinwohlorientierte Versorgung zu schaffen.

 
Wir fordern, die DRGs abzuschaffen und eine gemeinwohlorientierte Versorgung zu schaffen. Dr. Frieder Hummes  
 

Medscape: Wie erleben Assistenzärztinnen und -ärzte diesen Kostendruck?

Hummes: Wir erleben, dass extrem viele Patientinnen und Patienten in sehr kurzer Zeit versorgt werden müssen. Die Schichten sind so knapp besetzt, dass die Versorgung fast zusammenbricht, wenn ein Kollege mal krank ist und fehlt. Es herrscht ein ständiger indirekter Druck, die Patienten möglichst schnell zu entlassen, weil kurze Behandlungszeiten für das Krankenhaus mehr Geld bedeutet. 

Andererseits steht man unter Druck, zum Beispiel Notfallpatientinnen und -patienten für weitere Untersuchungen aufzunehmen, um mehr Geld berechnen zu können: Untersuchungen, die man auch gut hätte ambulant machen können.

Medscape: Welche Situationen haben Sie konkret vor Augen?

Hummes: Zum Beispiel wird ein Notfallpatient aufgenommen aus dem einzigen Grund, noch ein CT abrechnen zu können, das das Krankenhaus nicht hätte abrechnen können, wenn der Patient ambulant geblieben wäre. Dann wird er für eine Nacht ins Krankenhaus aufgenommen mit der Begründung weiterer Untersuchungen. Aber am Ende geht es nur darum, das durchgeführte und indizierte CT abrechnen zu können.

Bei einem privaten Träger habe ich erlebt, dass bei jeder Visite jemand dabei war, der die Liegedauern der Patientinnen und Patienten per Ampelsystem mitbestimmte: War der Patient „grün“, war mit ihm noch Geld zu verdienen, er konnte bleiben. War er „gelb“, stand er kurz davor, unrentabel zu werden und sollte bald entlassen werden. War er „rot“, so kostete er bereits Geld und musste schnell das Krankenhaus verlassen.

Bei einer Chefarztvisite wurde einem Patienten angekündigt, dass er noch am selben Tag entlassen werden sollte. Kaum hatte der Arzt das Zimmer verlassen, wurde ihm mitgeteilt, dass der Patient deutlich mehr Geld bringen würde, wenn man ihn noch einen Tag dabehalten würde, um einen Lungenfunktionstest zu machen. Der Chefarzt machte kehrt und sagte dem Patienten, dass er doch noch nicht entlassen werden könne.

Ein anderer Patient, der nach einem Herzinfarkt auf der Intensivstation lag, wurde einfach länger auf der Intensivstation behalten als nötig, um mit ihm mehr Geld zu verdienen. Eigentlich sollten Beatmungstherapeuten und eine psychologische Betreuung den Patienten von der Beatmung entwöhnen!

Das Ganze hat alle Beteiligten und auch mich geschockt und demoralisiert. Der Patient wurde auf der Intensivstation von der Beatmung entwöhnt und das auch nicht länger als notwendig, nur hätte er eben nicht auf der Intensivstation sein müssen.

Dem stationären Sektor den Rücken kehren

Medscape: Da macht sich der Frust unter den Assis breit.

Hummes: Ganz extrem! Ich kenne keine Assistenzärztin und keinen Assistenzarzt, die nicht frustriert sind, was ihre Arbeit angeht. Manche wechselt an eine andere Klinik und findet die gleiche Situation vor. Egal ob es sich um einen privaten, kommunalen oder kirchlichen Träger handelt.

Medscape: Haben Sie Angst, in Ihrem Haus die Missstände zu benennen?

Hummes: Angst? Nein. Eher Ohnmacht. Wir können die Arbeit nicht so machen, wie wir es den Patienten wünschen würden. Die Krankenhausmaschine läuft, und wir können daran nichts ändern. Wer im Krankenhaus arbeitet, muss mitmachen.

Medscape: Was tun Sie gegen Ihren Frust?

Hummes: Ich habe meine Arbeitszeit reduziert und arbeite zur Abwechslung im Rettungsdienst. Viele Kolleginnen und Kollegen werden wahrscheinlich den Krankenhausbetrieb verlassen.

 
Viele Kolleginnen und Kollegen werden wahrscheinlich den Krankenhausbetrieb verlassen. Dr. Frieder Hummes  
 

Was die Initiative „Bunte Kittel“ plant

Hummes: Ja, wir haben 2020 diese gesundheitsberufs-übergreifende Initiative gegründet. Wir denken zum Beispiel an gemeinsame Streiks. Allerdings sind wir noch viel zu klein, um sie zu organisieren. Zurzeit machen wir viel Öffentlichkeitsarbeit. So verteilen wir vor den Krankenhäusern Flyer an Patientinnen und Patienten und ihre Angehörige sowie Angestellte.

Medscape: Habe Sie je wegen Ihres Engagements Ärger mit den Verantwortlichen in Ihrem Haus bekommen?

Hummes: Nein. Ich habe mit den Chefärzten bzw. Oberärzten nie schlechte Erfahrungen gemacht. Sie haben uns in unseren Anliegen sogar bestätigt, konnten aber selber auch nichts an den Missständen ändern.

Medscape: Haben Sie überhaupt noch Lust, Krankenhausarzt zu sein?

Hummes: Auf jeden Fall. Ich liebe diesen Beruf und will nichts anderes machen. Ich versuche, Wege zu finden, durch die Arbeitszeitreduktion, durch den Rettungsdienst. Aber klar ist: Ich will nicht noch 35 Jahre in diesem System arbeiten.

 
Ich will nicht noch 35 Jahre in diesem System arbeiten. Dr. Frieder Hummes  
 

 

Kommentar

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