Der altersbedingte Graue Star betrifft in der Regel beide Augen. Meist erfolgt der operative Austausch der dabei eingetrübten körpereigenen Linse gegen eine künstliche Intraokularlinse (IOL) für beide Seiten getrennt im Abstand von wenigen Wochen. Alternativ kann die Katarakt-Operation jedoch auch beidseits am gleichen Tag erfolgen – mit potenziellen Vor- und Nachteilen.
Ein aktueller Cochrane-Review kommt zu dem Schluss, dass es insgesamt wahrscheinlich keine größeren klinisch wichtigen Unterschiede bei den Ergebnissen beider Vorgehensweisen gibt – allerdings wurde die Evidenzqualität der in dem systematischen Review zusammengefassten Studienergebnisse als moderat bis sehr niedrig bewertet [1]. Deutsche Fachgesellschaften empfehlen die simultane bilaterale Katarakt-OP bisher nicht.
Potenzielle Vor- und Nachteile
Als potenzielle Vorteile der an einem Tag simultan bzw. kurz nacheinander stattfinden beidseitigen Kataraktchirurgie (ISBCS: Immediate Sequential Bilateral Cataract Surgery) gegenüber der verzögerten sequenziellen Vorgehensweise (DSBCS: Delayed Sequential Bilateral Cataract Surgery) werden diskutiert:
weniger Krankenhausbesuche,
schnellere Wiederherstellung der beidseitigen Sehfähigkeit und
niedrigere Kosten für den Eingriff.
Als möglicher Nachteil von ISBCS hingegen gilt das Risiko, auf beiden Augen gleichzeitig postoperative Komplikationen zu entwickeln. Zudem muss bei der simultanen Variante darauf verzichtet werden, das Visusergebnis nach der 1. Operation für die 2. OP zu nutzen.
Vor diesem Hintergrund war es Ziel des Cochrane-Reviews herauszufinden, ob ISBCS ebenso sicher, effektiv und kosteneffektiv wie DSBCS ist. Unter die Lupe genommen wurden dazu 14 Studien aus 9 Ländern (Kanada, USA, Vereinigtes Königreich, Finnland, Schweden, Spanien, Tschechien, Iran und Südkorea), welche die Ergebnisse beider Methoden nebeneinanderstellten. Dabei verglichen die Review-Autoren die Studien und bewerteten die Aussagekraft bzw. Evidenz der einzelnen Studienergebnisse.
Insgesamt waren in alle Studien zusammen rund 276.000 Personen einbezogen, wobei bei knapp 7.400 Personen die simultane bilaterale Kataraktchirurgie ISBCS und bei fast 269.000 – also dem weitaus größeren Teil – die verzögerte sequenzielle OP-Variante DSBCS zum Einsatz kam.
ISBCS und DSBCS: Wenig Unterschiede – bei geringer Evidenz
Als wichtigste Ergebnisse nannten die Autoren des Cochrane-Reviews – allerdings fast durchweg mit der Einschränkung einer als moderat, gering oder gar sehr gering bewerteten Evidenz: Für das Auftreten einer Endophthalmitis (einer zwar seltenen, aber sehr gefürchteten Komplikation der Kataraktchirurgie) innerhalb von 6 Wochen nach der OP auf einem Auge machte die Art des Eingriffs (ISBCS oder DSBCS) offenbar höchstens einen kleinen bis gar keinen Unterschied. Keine der Studien berichtete über eine beidseitige Endophthalmitis.
Auch bei anderen Komplikationen (bis zu 3 Monaten postoperativ) ließen sich kaum Unterschiede zwischen beiden Methoden feststellen, wobei die Evidenzqualität sowohl für randomisierte als auch nicht-randomisierte Studien als sehr gering bewertet wurde.
Ähnliches fand man – bei wiederum reduzierter bzw. limitierter Evidenz – für die postoperativen Refraktionsergebnisse und die optimal korrigierte Sehschärfe.
Was die Kosten der Eingriffe betrifft, wurden diese für ISBCS im Vergleich zu DSBCS zwar als niedriger angegeben, wobei jedoch nur eine Studie auch eine für ISBCS bessere Kosteneffizienz fand.
Die Limitationen bei der Evidenz der meisten Studienergebnisse erklärten die Review-Autoren u.a. damit, dass es insgesamt nur sehr wenige Endophthalmitis-Fälle gab, dass die diversen Studien z.B. postoperative Komplikationen und die optimal korrigierte Sehschärfe auf unterschiedliche Weise bewerteten und dass nicht alle Studien die Daten enthielten, an denen die Reviewer interessiert waren.
ISBCS in Deutschland bislang kaum ein Thema
„In Deutschland gibt es nur sehr wenige Daten zur simultanen bilateralen Kataraktchirurgie ISBCS, denn diese ist hier so gut wie kein Thema“, kommentiert Prof. Dr. Thomas Kohnen von der Universitätsklinik Frankfurt im Gespräch mit Medscape die Fragestellung des Cochrane Reviews. Kohnen ist Vorsitzender der Kommission Refraktive Chirurgie (KRC) der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) und des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands (BVA).
So bestehe hierzulande an ISBCS aus mehreren Gründen kaum Bedarf: „Wir haben eine sehr gute medizinische Infrastruktur mit flächendeckender und zeitnaher ophthalmologischer Versorgung, sodass es auch für Menschen auf dem Land – anders als vielerorts im Ausland – keine weiten Wege oder lange Wartezeiten für eine 1. oder 2. Katarakt-Operation gibt.“
Auch werde die Katarakt-OP des 2. Auges (in ihrer Standardversion mit der Implantation monofokaler Kunstlinsen) genauso von den Versicherern vergütet wie die des ersten.
Erstmal abwarten, um eventuelle Komplikationen zu erkennen
Bei der Zurückhaltung der deutschen Ophthalmochirurgen gegenüber der simultanen bilateralen Kataraktchirurgie spielen Kohnen zufolge auch juristische Aspekte eine Rolle: „Die Vorgehensweise mit beidseitigen OPs am gleichen Tag wird in den Richtlinien unserer Fachgesellschaften nicht empfohlen, weshalb postoperativ auftretende Komplikationen für die Operateure unter Umständen langwierige haftungsrechtliche Verfahren nach sich ziehen könnten.“
Zwar seien ernste Komplikationen wie eine Endophthalmitis mit Erblindungsgefahr sehr selten, aber eben auch nicht ausgeschlossen. „Ganz besonders dramatisch ist es natürlich, wenn so etwas dann gleichzeitig auf beiden Augen auftritt.“ Andere postoperative Sehbeeinträchtigungen können z.B. durch ein zystoides Makulaödem oder eine Endothel-Dekompensation der Hornhaut entstehen.
Doch nicht nur wegen eventueller Komplikationen plädiert DOG-Vorstandsmitglied Kohnen dafür, vor der Operation des 2. Auges die Ergebnisse der ersten Katarakt-OP erst einmal in Ruhe abzuwarten. Relevant ist dies insbesondere auch für Patienten, die sich für die Implantation einer multifokalen oder anderen Premiumlinse entschieden haben: „Die Zufriedenheit des Patienten mit seiner neuen Linse ist ein wichtiges Thema, das unter Umständen seine Entscheidung für die künftige Linse des anderen noch zu operierenden Auges beeinflusst.“
Zeitnahe Zweit-OP in Ausnahmefällen
Die sequenzielle bilaterale Kataraktchirurgie mit 2 meist ambulant stattfindenden Operationen im Abstand mehrerer Tage bis Wochen ist die Regel in Deutschland. Dennoch gibt es Ausnahmefälle, in denen aus medizinischen, sozialen oder persönlichen Gründen auch hierzulande mit nur geringem zeitlichem Abstand – in Vollnarkose in einer Sitzung oder mit einem Abstand von einer oder 2 Nächten – beide Augen operiert werden: Hierzu zählen z.B. Operationen bei Patienten mit Behinderung (z.B. Trisomie 21), bei angeborener juveniler Linsentrübung oder bei Patienten mit extremem Zeitdruck für den Eingriff.
Die Corona-Pandemie ist für den Ophthalmochirurgen Kohnen übrigens kein Argument zugunsten der simultanen bilateralen Kataraktchirurgie: „Durch die Implementierung eines speziell für Corona entwickelten Hygienekonzepts gelang es an unserer Klinik, die Patientenversorgung trotz Pandemie auch weiter mit dem Ziel höchster Patientensicherheit und Mitarbeiterschutz zu gewährleisten. Damit hat die Pandemie bei uns nichts daran geändert, dass der verzögerten sequenziellen bilateralen Kataraktchirurgie nach wie vor klar der Vorzug vor der simultanen OP-Variante gegeben wird.“
Credits:
Photographer: © Annachizhova
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Grauer Star – kommt die Kombi-OP? Cochrane Review findet keine Nachteile, wenn beide Augen am gleichen Tag operiert werden - Medscape - 2. Jun 2022.
Kommentar