Das wird hängen bleiben vom Ärztetag in Bremen: Die wichtigsten Forderungen und Beschlüsse

Christian Beneker

Interessenkonflikte

1. Juni 2022

Eines der einprägsamsten Bilder des 126. Deutschen Ärztetages dürfte ausgerechnet Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) geliefert haben: Auf der Eröffnungsveranstaltung im Bremer Konzerthaus „Glocke“ nahm er aus der Hand des Präsidenten der Bundesärztekammer (BÄK) Dr. Klaus Reinhardt die abgestimmte Fassung der neuen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) entgegen und stemmte den mächtigen Band in die Höhe.

„Er hat sich nicht distanziert und hat zugesagt, die GOÄ vorbehaltlos zu prüfen“, sagte Reinhardt später auf dem Ärztetag. „Zu glauben, er tue das nicht, wäre falsch.“ Allerdings habe sich Lauterbach zur GOÄ und weiteren gesundheitspolitischen Fragen eher vage geäußert, bedauerte der Präsident.

 
Er [Karl Lauterbach] hat sich nicht distanziert und hat zugesagt, die GOÄ vorbehaltlos zu prüfen. Dr. Klaus Reinhardt
 

Vom 24. bis zum 27. Mai 2022 trafen sich in Bremen die 250 Delegierten des 126. Deutschen Ärztetages [1]. Neben den Hauptthemen „Kinder und Pandemie“ sowie „Ärztlicher Versorgungsbedarf in einer Gesellschaft des langen Lebens“ kamen vor allem in der allgemeinen Aussprache die großen gesundheitspolitischen Themen auf den Tisch: Die Kommerzialisierung der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) oder die Digitalisierung in den Praxen und Krankenhäusern, das Impfen, Fragen der Sucht- und Drogenpolitik, der Ärztemangel, aber auch die Gendergerechtigkeit und natürlich die GOÄ.

Der Bundesgesundheitsminister wurde mehr als einmal aufgefordert, die GOÄ nun rasch zu prüfen und auf den Weg zu bringen. Mehr noch: Im Zusammenhang mit der GOÄ forderten die Delegierten – wie schon viele Male zuvor – endlich die Budgetierung im ambulanten Bereich aufzuheben. „Die Budgetierung ist das Gift im Gesundheitswesen, das junge Kolleginnen und Kollegen am Schritt in die Niederlassung hindert“, begründeten die Delegierten ihren entsprechenden Antrag, den sie an den Vorstand überwiesen.

Ausverkauf der MVZ stoppen

Besonders die Kommerzialisierung der Medizin, namentlich die Übernahme von medizinischen Versorgungszentren durch Privat Equity-Gesellschaften, war den Delegierten ein Dorn im Auge. Anstelle von wertschätzenden Arbeitsstrukturen für Ärztinnen und Ärzte setzen die Investoren auf reine Renditeerwartungen, sagte der Vizepräsident der Bundesärztekammer Dr. Günther Matheis.

Nach Kostensenkung, Standardisierung der Abläufe, Kundenbindung und Stellenstreichungen winke den Investoren nach 5 Jahren eine Rendite von 15%. „Das ist Diebstahl am Gemeineigentum!“, unterstrich Matheis. In mehreren Beschlüssen forderten die Delegierten, den „Ausverkauf der medizinischen Versorgung durch Private Equity zulasten der Patienten“ zu stoppen.

Auch der Dauerbrenner der vergangenen Ärztetage – die Digitalisierung in Praxen und Krankenhäusern – sorgte in Bremen erneut für engagierte Diskussionen. Vor allem der geplante Konnektorentausch regte die Delegierten auf. Daneben stritten sie besonders um die Opt-out-Regel bei der elektronischen Gesundheitsakte (ePA). Durch die ePA werden viele Patientendaten elektronisch verfügbar sein.

„Die Frage ist, was wir mit diesem Datenschatz machen“, sagte Erik Bodendieck, Präsident der sächsischen Ärztekammer. Die Opt-out-Regel besagt, dass die ePA-Daten eines Patienten der Forschung grundsätzlich zur Verfügung stehen sollen, es sei denn, er widerspricht ausdrücklich (opt out). Vor allem psychisch kranke Patienten dürften mit der Wahlmöglichkeit Probleme bekommen, kritisierte etwa Dr. Christiane Groß, Präsidentin des Ärztinnenbundes. Die Befürworter betonten dagegen die „Datensolidarität“. Die Forschung diene allen. Schließlich entschied sich das Gremium für die Opt-out-Regelung.

Der Kinderpsychiater Prof. Dr. Martin Holtmann vom Universitätsklinikum Hamm skizzierte den Delegierten die Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche. „Die Pandemie stieß nicht auf gesunde und robuste Kinder“, sagte Holtmann. Sie habe aber die vorhandenen Krankheiten, wie Adipositas oder psychische Krankheiten, verstärkt.

Die Lebensqualität der betroffenen Kinder und Jugendlichen sei beträchtlich abgesackt und noch nicht wieder auf den alten Level gestiegen. Holtmann verteidigte seine jungen Patientinnen und Patienten gegen den Vorwurf zu schwacher Resilienz. Der Verweis auf die Resilienz lade den Ballast der Erkrankung auf den Kindern und ihren Eltern ab, statt die Versorgung kooperativer zu gestalten.

„Approbationsordnung jetzt!“

Vor der Bremer Stadthalle demonstrierte eine Abordnung des Bundesverbandes der Medizinstudierenden (bvmd). Das drängendste Problem sei der Umstand, dass die neue Approbationsordnung immer noch keine beschlossene Sache sei, „weil Bund und Länder sich nicht einigen können“, kritisierte Miriam Wawra, derzeit Präsidentin des bvmd. „Die Ausbildung muss weg vom Stand des Jahres 1970 und auf die Zukunft ausgerichtet werden“, so Wawra. „Approbationsordnung jetzt!“

Damit stießen die Studierenden beim Ärztetag auf offene Ohren. Die Delegierten forderten in einem Beschluss das Bundesgesundheitsministerium auf, das Gesetzgebungsverfahren für eine neue Approbationsordnung wieder aufzunehmen.

 
Die Ausbildung muss weg vom Stand des Jahres 1970 und auf die Zukunft ausgerichtet werden. Miriam Wawra
 

Erneut diskutierte der Ärztetag die Frage, ob die Zusatzbezeichnung Homöopathie aus der Musterweiterbildungsordnung der BÄK gestrichen werden soll – und das, obwohl inzwischen bereits 13 von 17 Landesärztekammern diesen Beschluss bereits gefasst haben.

Wenn Ärztinnen und Ärzte nicht die Möglichkeit hätten, die Zusatzbezeichnung zu erwerben, würden die Patienten zum Heilpraktiker abwandern, erklärte etwa die Onkologin Dr. Doreen Sallmann. „Und diese Heilpraktiker haben in ihrer Ausbildung keinen einzigen Patienten gesehen.“ Darum wäre es besser, dem Bedürfnis viele Patienten nach Komplementärbehandlung nachzukommen und die medizinische Vielfalt zu erhalten, statt die Homöopathie zu streichen.

Die Argumente verfingen bei den Delegierten nicht. Sie entschieden sich für die Streichung.

Schließlich hätten die Delegierten schließlich den Ärztetag umbenannt – in „deutschen Ärztinnen und Ärztetag“. Der entsprechende Antrag scheiterte nach langer Diskussion nur knapp.

 

Kommentar

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