Voraussichtlich im Juni oder Juli soll die aktualisierte deutsche Leitlinie zur H.-pylori-Therapie veröffentlicht werden. Erstmals im Vergleich zur Vorgängerversion haben die Experten darin festgelegt: Sobald eine Infektion erkannt ist, sollte behandelt werden, egal ob die Patienten Symptome haben oder nicht.
Weiterhin bieten sie Orientierung in einer Landschaft rasch wechselnder Resistenzen: Bei empirischem Vorgehen – wenn also das Ansprechen der Bakterien auf Antibiotika nicht geprüft wurde – raten sie zur Bismut-basierten Vierfach-Therapie.
„Eine wichtige Neuerung der überarbeiteten Leitlinie zu H. pylori besteht darin, dass ein Befall des Magens in Übereinstimmung mit internationalen Leitlinien grundsätzlich als Infektionserkrankung definiert wird“, so der Leitlinienkoordinator PD Dr. Christian Schulz im Gespräch mit Medscape. „Daraus folgt die Empfehlung, aus der Diagnostik stets eine Konsequenz abzuleiten.“
Der Erreger ist gefährlich, selbst wenn Symptome fehlen
Der Stellvertretende Klinikdirektor an der Ludwigs-Maximilians-Universität München erläutert: „Das bedeutet wohlgemerkt kein Screening, aber sobald der Erreger nachgewiesen ist, sollte sich immer eine Eradikation anschließen, selbst wenn er kaum Beschwerden verursacht.“ Nach Schätzungen trägt ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland den Magenkeim Helicobacter pylori in sich.
Mit den neuen Vorgaben stützt sich die Leitlinie auf den europäischen Maastricht V/ Florenz-Konsensus von 2016/17. „Es handelt es sich um die weltweit meist gelesene und zitierte Publikation zu Symptomen, Diagnostik, Therapie und Prävention einer H. pylori-Infektion“, erklärt Schulz.
Der Grund für die dringende Therapie-Indikation liegt im Schutz vor schwerwiegenden Komplikationen, vor allem Gastritis, Ulzera, Lymphome und Karzinome des Magens. Beispielsweise sind circa 90% der Fälle von Magenkrebs mit H. pylori assoziiert. Umgekehrt senkt eine Antibiose die Rate im Vergleich zu Nichtbehandelten um schätzungsweise ein Drittel.
Publikation steht kurz bevor
Die vorige deutsche Leitlinie war zuletzt 2016 revidiert worden, eine neue Version also fällig. Nun steht sie am Start: Bis zum 11. April 2022 war sie den AWMF-Regeln entsprechend für die Kommentierung geöffnet. Gastroenterologen konnten während dieser Konsultationsphase auf Unklarheiten oder Lücken aufmerksam machen und Korrekturen vorschlagen. Derzeit ist die endgültige Fassung in Arbeit.
Nach welchem Algorithmus werden Ärzte darin durch die Behandlungsoptionen geführt? Das ist eine Schlüsselfrage, weil die sich ausbreitenden Antibiotika-Resistenzen seit Langem Sorgen bereiten. Wie rasch die Erreger ihre Beseitigung sabotieren, zeigt sich am Beispiel einer aufwendigen Netzwerk-Metaanalyse mit Therapie-Studien von 1998 bis 2019.
Kurzer Turnus der Gültigkeit von Daten
„Obwohl erst vor einem Jahr veröffentlicht, ist sie zumindest teilweise bereits überholt. Heute werden die Weichen anders gestellt“, sagt Schulz. „Wir haben die Ergebnisse für die neuen Leitlinien diskutiert, zumal viele Autoren auch zu jenem Team gehörten, das am Maastricht-Konsens beteiligt war.“
Eine Netzwerk-Analyse ermöglicht es, mehrere Therapien in direkten und indirekten Paarungen zu vergleichen. Prof. Dr. Theodoros Rokkas, Direktor am Henry Dunant Hospital Center in Athen, und seine Kollegen hatten 68 randomisierte Studien mit insgesamt knapp 23.000 Patienten aus verschiedenen Teilen der Welt berücksichtigt. Indem sie mit den 8 darin getesteten empirischen Schemata 28 Paare bildeten, erstellten sie eine Rangfolge der Wirksamkeit.
Levofloxacin ist nicht mehr up to date
Aufgeschlüsselt nach Regionen ergaben sich deutliche Unterschiede: Während in Ostasien eine Triple-Therapie mit dem nur dort zugelassenen Säureblocker Vonoprazan der Favorit war, brachte in westlichen und westasiatischen Ländern die Levofloxacin-Triple-Therapie die beste Leistung (Eradikationsraten 91% bzw. 89%). Die neue Leitlinie empfiehlt sie jedoch nicht mehr, weil die Erreger inzwischen weniger darauf ansprechen.
Interessant waren die zeitlichen Differenzen, die nach Ansicht von Rokkas und seinen Kollegen die zunehmende Besiedlung mit resistenten H.-pylori-Stämmen widerspiegeln: Vor 2010 gelang die Eradikation mit einer Clarithromycin-Dreifach-Therapie wesentlich besser als in den Jahren danach.
Ebenso wie die Experten der europäischen und deutschen Leitlinie sehen sie das Ideal deshalb nicht in den untersuchten empirischen Therapien nach dem Motto „Versuch und Irrtum“. Höhere Eradikationsraten bei letztlich oft niedrigeren Kosten bringt eine maßgeschneiderte Strategie nach dem Prinzip des Antimicrobial Stewardship, auch als „antibiotic susceptibility-guided“ bezeichnet. Das heißt: Am besten wäre es, zunächst die Empfindlichkeit von H. pylori gegenüber einer Reihe von Antibiotika zu testen und dann die wirksamsten zu verordnen.
Für Resistenztests werden Biopsien benötigt
Für Resistenztests gibt es 2 Varianten, wie Schulz erläutert.
Bei der phänotypischen Methode wird eine Agarplatte mit Bakterien aus einer Biopsie beimpft und Scheibchen mit Antibiotika aufgelegt. Der Durchmesser des Hemmhofs erlaubt dann Rückschlüsse auf das Ansprechen. „Die kommende Leitlinie empfiehlt explizit, dafür Proben zu nutzen, die für die Diagnostik entnommen wurden“, sagt Schulz.
Mit genotypischen Verfahren wird per PCR schnell und direkt nach Resistenzgenen der Erreger gesucht, vor allem gegen Clarithromycin, Levofloxacin, Tetracyclin und Rifampicin. Neuere Techniken erlauben diese Tests auch an Stuhlproben, weshalb eine Magenspiegelung mit Biopsie nur gemacht werden muss, wenn eine Indikation besteht.
Probatorische Therapien sind üblich
Allerdings sind die Tests teuer und nicht überall möglich, oder es liegt keine Gewebeprobe vor, weil der Nachweis über 13C in der Atemluft oder Stuhlantigene erfolgte, etwa bei Patienten mit Dyspepsie. „In der täglichen Praxis überwiegt das empirische Vorgehen“, sagt Schulz. „Dabei muss man bedenken, dass in Deutschland ja noch eine Luxussituation herrscht – verglichen mit manchen europäischen und erst recht afrikanischen Ländern, etwa Nigeria.“
Wer auf eine empirische Therapie ausweicht, sollte unbedingt die Resistenzlage in der betreffenden Region kennen, legt die Leitlinie fest. Das gilt besonders für Clarithromycin, einem Bestandteil von Triple-Therapien, die lange den Standard bildeten, etwa zusammen mit Pantoprazol plus entweder Amoxicillin oder Metronidazol für 14 Tage.
Die Scheidelinie wird bei einer Clarithromycin-Resistenz von 15% gezogen:
Liegt die Rate mit Sicherheit darunter, kann man auf dieses Antibiotikum zurückgreifen.
Bei höheren Werten jedoch rät die neue Leitlinie zu einem Vierfach-Schema mit Bismut: Protonenpumpenhemmer plus Bismut-Salz plus Metronidazol plus Tetracyclin.
Einsatz von Clarithromycin ist regional begrenzt
Das Problem ist allerdings, dass kaum jemand die Häufigkeit der Clarithromycin-Resistenz wirklich kennt, zumal sie sich laufend ändert, Tendenz steigend. „In diesem Fall verzichtet man auf dieses Antibiotikum und handelt stattdessen so, als ob die Häufigkeit über 15% läge, und wählt ebenfalls die Bismut-Kombination, und zwar für 10 Tage“, sagt Schulz.
Für den flächendeckenden Einsatz in Erstlinie spricht, dass die Resistenzrate möglicher Alternativen in Deutschland hoch ist, bei Clarithromycin bis 20%, bei Metronidazol sogar bis 40%.
Bismut dagegen scheint bei H. pylori nicht nur keine Abwehrmechanismen auszulösen, sondern kann sogar eine etwaige Resistenz gegen Metronidazol überwinden, da beide Substanzen synergistisch wirken, erläutert Schulz in einem Beitrag in Der Internist [1]. Auf die Weise wird eine sehr hohe Heilungsrate erreicht.
Neuer Säureblocker mischt hergebrachte Prinzipien auf
Ein neuer „Teamplayer“ könnte aber noch einmal Bewegung in die verfahrene Situation der Antibiotika-Resistenzen bringen: Vonoprazan. So ermittelte die Arbeitsgruppe um Rokkas Eradikationsraten von mehr als 90% für empirische Triple-Therapien, in denen ein herkömmlicher Protonenpumpenhemmer durch den Inhibitor ersetzt war. „Die Daten sind hoffnungsvoll“, meint Schulz. „Das Potenzial scheint vorhanden, dass die Dualtherapie – Vonoprazan plus Amoxicillin – ein Revival erlebt.“
Der Kalium-kompetitive Wirkstoff punktet durch mehrere Vorteile: Vonoprazan widersteht dem niedrigen pH-Wert im Magen mit hoher Stabilität und kann schon deshalb seine Aufgabe effektiv erfüllen. Indem er die Säurebildung so gut unterdrückt, verlängert er auch die Bioverfügbarkeit der Säure-anfälligen Antibiotika. Eine eher neutrale Umgebung begünstigt weiterhin die Vermehrung der Bakterien, bringt sie also in die sensible Phase der Replikation, in der sie für Antibiotika leicht angreifbar sind.
Vonoprazan ist derzeit allerdings erst in einigen asiatischen Ländern wie Japan erhältlich und noch nicht in Europa und den USA. Schulz berichtet: „Der Antrag bei der FDA ist eingereicht. Nun muss der Zusatznutzen gegenüber den herkömmlichen Protonenpumpenhemmern, die ja auch sehr wirksam sind, belegt werden. Und es müsste sich ein Hersteller finden. Die Produktion nur für die Eradikationsbehandlung dürfte sich für ein Unternehmen kaum lohnen.“
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Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Immer Antibiotika – egal, ob der Magen schmerzt: Das ändert sich durch die neue deutsche Leitlinie zur H.-pylori-Infektion - Medscape - 30. Mai 2022.
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