Weltweit ist die Zahl an Infektionen mit Affenpockenviren auf 401 angestiegen, davon 21 in Deutschland, Stand: 27. Mai 2022. Todesfälle werden aus Europa, Nordamerika, Kanada bzw. aus Australien bislang nicht gemeldet, doch die Unsicherheit ist groß. Bei einem Press Briefing des Science Center Germany gaben Experten einen Überblick auf den Stand des Wissens und wagten eine Prognose zur weiteren Dynamik [1].
Fallbericht: Der 1. Patient aus Deutschland
Prof. Dr. Clemens Wendtner von der München Klinik Schwabing hat bundesweit den 1. Patienten mit Affenpocken medizinisch betreut. „Die Diagnose wurde via PCR gestellt; der Patient wurde am 20.5. stationär aufgenommen“, so Wendtner. „Er befindet sich in einem klinisch sehr stabilen Zustand.“ Symptome habe er nicht, abgesehen von den typischen Hautveränderungen.
Aus medizinischer Sicht sei keine stationäre Behandlung erforderlich gewesen. Da es sich um einen Besucher in Deutschland handele, sei dies aber sinnvoll gewesen. Bis Anfang Juni befinde sich der Patient noch in Isolation.
Ausbrüche in Afrika: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Klinische Erfahrungen dieser Art gibt es bislang kaum aus Europa oder Nordamerika. Krankheitsausbrüche sind vor allem in afrikanischen Ländern aufgetreten. Prof. Dr. Gérard Krause war 2017/2018 bei einem Ausbruch der Affenpocken in Nigeria vor Ort. Der Epidemiologe arbeitet am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), Braunschweig.
„Ich gehe davon aus, dass es sich um eine ganz andere Dynamik handelt“, so Krause. In Afrika habe man sehr oft direkte Zusammenhänge zur Exposition mit Tieren festgestellt; Mensch-zu-Mensch-Übertragungen seien nur vereinzelt beobachtet worden, etwa in einem Gefängnis.
Krause vermutet, das aktuelle, weltweite Infektionsgeschehen sei nur zu einem sehr geringen Teil – womöglich zu Beginn – auf Tierexpositionen zurückzuführen, jedoch überwiegend geprägt von Übertragungen zwischen Menschen.
Parallelen zur Situation in Afrika gebe es dennoch. „Die Fälle waren geografisch weit voneinander entfernt“, erinnert sich Krause. „Das ist in globalem Maßstab jetzt ähnlich.“ Umso wichtiger sei, bei Patienten eine gute Reiseanamnese und Kontaktnachverfolgung durchzuführen.
Wie hoch ist die Mortalität?
„Was aber ganz anders ist, und ich hoffe, dass es so bleibt, ist die Sterblichkeit“, berichtet Krause. Sie sei beim Ausbruch in Afrika deutlich höher gewesen als dies jetzt zu erkennen sei. „Ich gehe nicht davon aus, dass es ähnlich dramatisch ablaufen wird“, so seine Einschätzung. Der Ausbruch werde nicht die gesamte Bevölkerung betreffen. „Risikogruppen können klar identifiziert und Maßnahmen fokussiert werden“, so Krause.
Auf die Frage, wer besonders gefährdet sei, nennt Wendtner Personen mit eingeschränkter Immunität, etwa bei einer nicht ausreichend kontrollierten HIV-Infektion, aber auch bei Tumorerkrankungen und bei weiteren Krankheitsbildern mit supprimiertem Immunsystem. Hier seien präventive Maßnahmen erforderlich, inklusive eines präventiven Sexualverhaltens. Konkret erwähnt er – wie aus Corona-Zeiten bekannt – nicht-pharmakologische Maßnahmen, aber auch gezielte Impfungen für Risikogruppen.
Wendtner zufolge gebe es in der „spärlichen Literatur“ Hinweise auf ein höheres Sterblichkeitsrisiko für Kinder unter 16 Jahren. „Man sollte aber recht vorsichtig mit den Zahlen sein“, so der Experte. Daten seien im Kontext der Versorgung in Afrika erhoben worden und seien nicht 1:1 auf die westliche Welt übertragbar.
Basisdaten: Noch scheint der R-Wert unter 1,0 zu liegen
Wie schnell sich Affenpocken verbreiten werden, ist unklar. „Man hat Schätzungen aus Afrika aus den letzten Jahrzehnten, da lag der R-Wert unter 1“, berichtet Prof. Dr. Mirjam Kretzschmar vom Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu (RIVM), Bilthoven, Niederlande. Die Zahlen gingen jedoch nur auf kurzzeitige, kleinere Ausbrüche zurück.
Erschwerend komme aber hinzu, dass immer weniger Menschen gegen die echten Pocken geimpft seien. „Dadurch kann es sein, dass der Immunschutz in der Bevölkerung geringer wird und sich der R-Wert erhöhen könnte“, vermutet Kretzschmar. In einer hypothetisch nicht immunisierten Bevölkerung liege der R-Wert zwischen 1,0 und 2,5.
„Man kann davon ausgehen, dass in der Bevölkerung der Großteil aller Menschen ab 60 noch eine Grundimmunität von Pockenimpfungen hat“, so die Expertin. Der Schutz Geimpfter liege schätzungsweise bei 85%. Jüngere Menschen seine jedoch nicht immunisiert. Bei Modellierungen würde sie aktuell mit einem R-Wert unter 1 arbeiten. Es gebe aber noch keine harten Daten, gibt Kretzschmar zu bedenken.
Geringe Mutationsrisiken von Pockenviren
Prof. Dr. Roman Wölfel vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr, München, hat das Genom der 1. Probe aus Deutschland sequenziert. Er kennt auch ältere genomische Daten.
„Das Genom von Affenpocken ist recht groß, 7-mal größer als das von Coronaviren“, erklärt Wölfel. „Da steckt viel mehr Information drin.“ Als DNA-Viren würden sich Pockenviren jedoch weniger stark verändern als RNA-Viren, etwa SARS-CoV-2. Mutationen spielen nicht die Rolle. „Das sehen wir bei Pocken im Allgemeinen und Affenpocken im Speziellen nicht.“
Proben aus Deutschland würden derzeit sequenziert, sagt Wölfel. Größere Veränderungen habe man nicht gefunden. Nach möglichen kleinen Veränderungen, eventuell einzelne ausgetauschte Basen, würde man noch suchen.
Wie ist der rapide Anstieg in den letzten Wochen zu erklären?
Die Expertinnen und Experten führen mehrere Hypothesen an, wie es zur aktuellen Situation kommen konnte. Wölfel spekuliert, das Virus habe vielleicht schon länger – vor allem unerkannt – zirkuliert.
Und Wendtner wirft die Frage auf, ob – trotz bekannter Stabilität von DNA-Viren – vielleicht eine Subvariante aufgetreten sei. Er spricht auch die sinkende Immunität durch das Ende der systematischen Pockenschutzimpfungen an: 1976 in der BRD und 1982 in der ehemaligen DDR.
Der Experte erwähnt ungeschützte Sexualkontakte, teils mit promiskuitivem Verhalten. Eine neue Erkenntnis sei, dass nicht nur Schmierinfektion und Tröpfcheninfektion Bedeutung hätten. Denn Forschern sei ein Virusnachweis im Blut und im Sperma geglückt. „Damit haben wir es auch mit einer sexuell übertragbaren Infektion zu tun“, erklärt Wendtner. Bei Risikoverhalten werde es unabhängig vom Geschlecht zu Infektionen kommen, lautet seine Vermutung.
Hier sieht Wölfel noch ungeklärte Fragen. Denn bei sexuellen Kontakten könnten die bekanntermaßen infektiöse Hautläsionen eine Rolle spielen; die Rolle von Sperma sei noch unklar.
Ein vager Blick in die Zukunft
Doch wie könnten die nächsten Monate aussehen? „Ein Virus kann endemisch werden, selbst wenn es sich auf eine Risikogruppe beschränkt“, gibt Kretschmar zu bedenken. Das sehe man beispielsweise auch mit HIV im europäischen Kontext. Dieses Szenario sei auch bei Affenpocken denkbar.
„Diskutiert wird auch, dass sich das Virus dem Menschen anpasst und leichter übertragen wird, aber das ist spekulativ im Moment“, so die Expertin. Man sei aber in der guten Situation, dass die Übertragung und Ausbreitung langsamer abliefen als bei SARS-CoV-2. Mit Maßnahmen wie der Kontaktnachverfolgung oder der Quarantäne habe man gute Chancen, die Situation in den Griff zu bekommen. Dass die Lage außer Kontrolle gerät, erwartet Kretschmar derzeit nicht.
Krause sieht als Gefahr, dass vielleicht „bestimmte Länder aufgrund der Stigmatisierung der Patienten Berichte zurückhalten“. Das sei schlimm, weil Eindämmungsmaßnahmen unterminiert würden. „In Deutschland sehe ich da keine Gefahr.“
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Photographer: © Irina Starikova
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Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Affenpocken – Dynamik, Risiken sowie sexuelle Übertragbarkeit und eine Prognose: So stufen Experten aus Deutschland die Lage ein - Medscape - 30. Mai 2022.
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