Kein Tropfen in Ehren: Bereits geringe Mengen Alkohol können zu einer Herzinsuffizienz führen

Dr. Thomas Kron

Interessenkonflikte

27. Mai 2022

Sogar zwischen einem geringen Konsum von alkoholischen Getränken und der Entwicklung einer Herzinsuffizienz gibt es offenbar einen Zusammenhang. Das zeigen Daten, die auf dem Heart-Failure-Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC), vorgestellt worden sind [1]

Besser kein Alkoholkonsum

„Diese Studie ergänzt die Beweise dafür, dass ein vorsichtigerer Ansatz beim Alkoholkonsum erforderlich ist“, so Studienautorin Dr. Bethany Wong vom St. Vincent's University Hospital in Dublin. Und: „Um das Risiko einer Schädigung des Herzens durch Alkohol zu minimieren, sollten Sie, wenn Sie nicht trinken, auch nicht damit anfangen. Wenn Sie doch trinken, beschränken Sie Ihren wöchentlichen Konsum auf weniger als eine Flasche Wein oder weniger als dreieinhalb 500-ml-Dosen 4,5-prozentiges Bier.“

 
Um das Risiko einer Schädigung des Herzens durch Alkohol zu minimieren, sollten Sie, wenn Sie nicht trinken, auch nicht damit anfangen. Dr. Bethany Wong  
 

Sekundäranalyse der STOP-HF-Studie

Zum Hintergrund: Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist der Alkoholkonsum in der Europäischen Union weltweit am höchsten. Es ist zwar bekannt, dass langfristiger starker Alkoholkonsum eine Kardiomyopathie hervorrufen kann; doch es gibt Hinweise aus asiatischen Studien, dass selbst geringere Mengen schädlich sein können. 

„Da es genetische und umweltbedingte Unterschiede zwischen asiatischen und europäischen Bevölkerungen gibt, wurde in dieser Studie untersucht, ob es einen ähnlichen Zusammenhang zwischen Alkohol und kardialen Veränderungen bei Europäern mit dem Risiko einer Herzinsuffizienz oder einer Vorstufe davon gibt“, so Bethany Wong.

Bei der aktuellen Datenauswertung über einen Zeitraum von im Mittel 5,4 Jahren handelt es sich um eine Sekundäranalyse der STOP-HF-Studie. An der Untersuchung nahmen 744 Erwachsene über 40 Jahre teil, die entweder Risikofaktoren (z. B. Bluthochdruck, Diabetes, Fettleibigkeit) für eine Herzinsuffizienz oder eine so genannte Prä-Herzinsuffizienz (Risikofaktoren und kardiale Anomalien, aber keine Symptome) hatten. Das Durchschnittsalter lag bei 66,5 Jahren, und 53% waren Frauen. Von der Studie ausgeschlossen waren ehemals Alkoholabhängige und Patienten mit Herzinsuffizienz-Symptomen (z. B. Dyspnoe und Knöchelödeme). Die Herzfunktion wurde mittels Echokardiographie ermittelt.

Unterschiedlicher Alkoholkonsum in der Studienpopulation

Die Autoren verwendeten die irische Definition alkoholischer Standardgetränke: 1 Einheit entspricht 10 g Alkohol. Alle Teilnehmer wurden nach ihrem wöchentlichen Alkoholkonsum in folgende Kategorien eingeteilt: 

  1. kein Alkoholkonsum

  2. geringer Alkoholkonsum (weniger als 7 Einheiten; bis zu einer 750-ml-Flasche 12,5% Wein oder dreieinhalb 500-ml-Dosen 4,5% Bier)

  3. mäßiger Alkoholkonsum (7-14 Einheiten; bis zu 2 Flaschen 12,5% Wein oder 7 500-ml-Dosen 4,5% Bier

  4. hoher Alkoholkonsum (mehr als 14 Einheiten; mehr als zwei Flaschen 12,5 % Wein oder sieben Flaschen Bier mit je 500 ml 4,5prozentigem Bier

201 (27%) Patienten gaben an, keinen Alkohol zu konsumieren, 356 (48%) hatten einen geringen und 187 (25%) einen mäßigen oder hohen Alkoholkonsum. Im Vergleich zur Gruppe mit geringem Konsum waren die Patienten mit mäßigem oder hohem Konsum jünger und häufiger männlich. Außerdem hatten sie einen höheren Body-Mass-Index.

Keine Hinweise auf einen schützenden Effekt

In der Gruppe mit Prä-Herzinsuffizienz war ein mäßiger oder hoher Alkoholkonsum im Vergleich zu keinem Alkoholkonsum mit einem 4,5-fach erhöhten Risiko einer Verschlechterung der kardialen Gesundheit verbunden. Diese Assoziation wurde auch beobachtet, wenn mäßiger und hoher Alkoholkonsum getrennt analysiert wurden.

In der Gruppe mit Risikofaktoren für eine Herzinsuffizienz gab es keine Assoziation zwischen mäßigem oder hohem Alkoholkonsum und einer Entwicklung einer Prä-Herzinsuffizienz oder einer symptomatischen Herzinsuffizienz. Hinweise auf einen protektiven Effekt eines geringen Alkoholkonsums wurden nicht festgestellt.

Wong: „Unsere Studie deutet darauf hin, dass der Konsum von mehr als 70 g Alkohol pro Woche bei Europäern mit einer Verschlechterung einer Prä-Herzinsuffizienz oder dem Fortschreiten zu einer symptomatischen Herzinsuffizienz verbunden ist.“

Die Ergebnisse stützten niedrigere Grenzen für einen sicheren Alkoholkonsum bei gefährdeten Patienten. In Irland beispielsweise werde denjenigen, bei denen das Risiko einer Herzinsuffizienz bestehe oder die bereits an einer Herzinsuffizienz erkrankt seien, empfohlen, den wöchentlichen Alkoholkonsum auf 11 Einheiten (Frauen) und 17 Einheiten (Männer) zu beschränken. Wong: „Dieser Grenzwert für Männer ist mehr als doppelt so hoch wie die Menge, die wir für sicher halten.“

 
Unsere Studie deutet darauf hin, dass der Konsum von mehr als 70 g Alkohol pro Woche bei Europäern mit einer Verschlechterung einer Prä-Herzinsuffizienz oder dem Fortschreiten zu einer symptomatischen Herzinsuffizienz verbunden ist. Dr. Bethany Wong  
 

Hinweise aus mehreren Studien zu schädlichen Effekten

Die Studie widerspricht der oft verbreiteten Aussage, dass ein relativ geringer Alkoholkonsum gut für Herz und Gefäße sei. Sie stützt somit unter anderen eine aktuelle Kohortenstudie von Greifswalder Forschern, die in  PLOS Medicine  erschienen ist.

„Bisherige Studien legten nahe, dass Menschen, die geringfügige bis moderate Mengen trinken, länger leben. Dies führte lange zur Schlussfolgerung, mäßiger Alkoholkonsum könne gesundheitsfördernde Effekte haben, insbesondere in Bezug auf das Herz-Kreislauf-System. Dies konnten wir nun klar widerlegen“, sagte der Leiter der Studie, Prof. Dr. Ulrich John aus der Abteilung für Präventionsforschung und Sozialmedizin am Institut für Community Medicine der Universität Greifswald.

In einer eigenen Studie hatten Forscher um John bereits 1996 und 1997 rund 4.000 Erwachsene befragt. 11% (447 Personen) hatte in den letzten 12 Monaten vor dem Interview keinen Alkohol getrunken. Viele von ihnen waren frühere Alkoholkonsumenten (91%, 405 Personen). 

Zudem hatten fast drei Viertel von ihnen (72%, 322 Personen) mindestens 1 Risikofaktor für eine erhöhte Sterbewahrscheinlichkeit. Dazu zählten frühere Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit oder erhöhter Alkoholkonsum (35%), tägliches Tabakrauchen (50%) sowie eine nach eigener Einschätzung mäßige oder schlechte Gesundheit (11%). Ohne Risikofaktoren waren 125 alkoholabstinente Personen.

Geringer Konsum nicht gesünder als Abstinenz

„Überraschend war für uns der Befund, dass alkoholabstinente Personen ohne Risikofaktoren sich in ihrer Sterbewahrscheinlichkeit nicht von Menschen mit geringem bis moderatem Alkoholkonsum unterscheiden“, sagte Ulrich John. 

Außerdem: „Lange Zeit wurde angenommen, dass geringer bis moderater Alkoholkonsum günstige Wirkungen auf die Gesundheit haben kann“, so John. „Wir fanden nun jedoch, dass die meisten alkoholabstinent lebenden Personen unserer Studie zuvor Alkohol- oder Drogenprobleme, hohen Alkohol- oder täglichen Nikotinkonsum hatten oder ihre Gesundheit als mäßig bis schlecht bewerteten – alles Faktoren, die bekannt dafür sind, dass sie vorzeitigen Tod vorhersagen.“ 

Der Experte ergänzt: „Die Ergebnisse stützen die Einschätzung, dass Menschen, die gerade alkoholabstinent leben, nicht zwangsläufig eine kürzere Lebenszeit haben als diejenigen, die moderat Alkohol konsumieren. Die Ergebnisse widersprechen damit der Empfehlung, aus gesundheitlichen Gründen Alkohol zu trinken.“ 

Geringe Alkoholmengen offenbar auch für das Gehirn schädlich

Bereits vor der Greifswalder Studie wurden mehrere methodisch hochwertige Studien publiziert, deren Ergebnisse ebenfalls gegen eine Kardioprotektion durch geringen Alkoholkonsum (meist Rotwein) sprechen. 

So berichtete 2017 ein Team um den Elektrophysiologen Prof. Dr. Adrian Baranchuk (Kingston General Hospital, Queen’s University in Kanada) über 2 große europäische Studien, die sogar schädliche Effekte auf das kardiovaskuläre Risikoprofil und eine Zunahme des Risikos für ischämische Herz-Erkrankungen gezeigt hätten. Details sind im  British Medical Journal   und im  European Heart Journal  nachzulesen.

Einer im  British Medical Journal  publizierten Studie zufolge könnten sehr geringe Mengen des Genuss-Giftes auch dem Hirn mehr schaden als bisher angenommen. Betroffen sind vor allem der Hippocampus und daher das Erinnerungsvermögen. Belege für positive Effekte geringer Alkohol-Mengen (wöchentlich unter 56 Gramm bzw. 1 bis 7 „units“) fanden die Wissenschaftler nicht.

Im Gegensatz zu den gesundheitsfördernden Effekten des Alkohol-Genusses gelten die schädlichen Wirkungen ohnehin als wissenschaftlich gut belegt. Belege gibt es zum Beispiel für einen kausalen Zusammenhang zwischen Alkohol und mehreren unterschiedlichen Karzinomen, darunter Karzinome von Oropharynx, Kehlkopf, Speiseröhre, Leber, Kolon, Rektum, Mamma, Pankreas und Prostata. 

Bestens bekannt sind auch die möglichen neurologischen und psychischen Folgen. Besonders gefährdet sind Kinder und Jugendliche. 

Der Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de.

 

Kommentar

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