Diabetes vorhersagen – Studie von „enormer Bedeutung“: Steife Arterien als Alarmsignal wichtiger als Bluthochdruck

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

23. Mai 2022

Die arterielle Gefäßsteifigkeit ist offenbar ein extrem guter Prädiktor für eine künftige Erkrankung an Typ-2-Diabetes – und das unabhängig vom Blutdruck. Allerdings hatten Patienten, die sowohl steifere Arterien als auch einen zu hohen Blutdruck aufwiesen, das höchste Diabetesrisiko, wie eine Untersuchung von mehr als 11.000 Menschen in China zeigt [1].

Für die Autoren um Dr. Xue Tian von der Abteilung für Neurologie am Tiantan-Krankenhaus in Peking eröffnet die Studie neue Möglichkeiten der Diabetesprävention. „Menschen mit einem hohen Diabetesrisiko zu identifizieren, ist von klinischer Relevanz, da ein frühzeitiges Eingreifen den Ausbruch der Erkrankung verhindern und ihr Fortschreiten verlangsamen kann, schreiben sie in Hypertension.

 
Ein frühzeitiges Eingreifen [kann]den Ausbruch der Erkrankung verhindern und ihr Fortschreiten verlangsamen. Dr. Xue Tian und Kollegen  
 

Steife Arterien sind besserer Prädiktor als Bluthochdruck

Frühere Studien haben gezeigt, dass Bluthochdruck ein Risikofaktor für Typ-2-Diabetes ist. „Dass die Gefäßsteifigkeit so prädiktiv für Typ-2-Diabetes ist, überrascht auf den ersten Blick“, erklärt Prof. Dr. Peter Schwarz, 1. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Prävention der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). „Allerdings geht dem Typ-2-Diabetes oft eine jahrelange Insulinresistenz voraus – und Insulin ist ein hochpotenter Wachstumsfaktor, der auch das Wachstum atherosklerotischer Plaques fördert.“ 

 
Dass die Gefäßsteifigkeit so prädiktiv für Typ-2-Diabetes ist, überrascht auf den ersten Blick. Prof. Dr. Peter Schwarz  
 

Tian und seine Kollegen analysierten Daten von 11.156 Teilnehmenden der KaiLuan-Studie. In dieser prospektiven Studie werden seit 2006 in der chinesischen Stadt Tangshan mehr als 100.000 Mitarbeiter des Kohle- und Chemieunternehmens KaiLuan nachverfolgt. Alle 2 Jahre werden Blutdruck und Nüchternglukose gemessen. Seit 2010 finden auch Messungen der Pulswellengeschwindigkeit statt, die Auskunft über die arterielle Gefäßsteifigkeit geben.

Kombination von Bluthochdruck und steifen Arterien am gefährlichsten

Bis 2017 – nach median 6 Jahren - hatten knapp 7% der Studienteilnehmenden einen Typ-2-Diabetes entwickelt. Das höchste Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, hatten Personen mit erhöhter arterieller Gefäßsteifigkeit und Bluthochdruck. Im Vergleich zu Personen mit idealer Gefäßfunktion – kein Bluthochdruck und eine normale Gefäßsteifigkeit – war ihr Diabetesrisiko um 142% erhöht.

Aber auch Studienteilnehmende mit normalem Blutdruck hatten ein um 111% erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes, wenn ihre Arterien steifer waren als bei Personen mit idealer Gefäßfunktion. 

Das mit 48% am wenigsten erhöhte Diabetesrisiko hatten Studienteilnehmende mit hohem Blutdruck und normaler Gefäßsteifigkeit.

Überraschende Erkenntnis, aber durchaus logisch

„Es war überraschend, dass Personen mit erhöhter arterieller Gefäßsteifigkeit mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Typ-2-Diabetes entwickelten, unabhängig davon, ob sie einen Bluthochdruck hatten oder nicht“, erklärt Seniorautor Dr. Anxin Wang, ebenfalls vom Tiantan-Krankenhaus in Peking. „Das ist starke Evidenz dafür, dass arterielle Gefäßsteifigkeit ein besserer Prädiktor für Typ-2-Diabetes ist als der Blutdruck.“ 

 
Das ist starke Evidenz dafür, dass arterielle Gefäßsteifigkeit ein besserer Prädiktor für Typ-2-Diabetes ist als der Blutdruck. Dr. Anxin Wang  
 

Für Schwarz, der am Universitätsklinikum Dresden die Klinische Abteilung für Prävention leitet, gibt es dafür eine logische Erklärung: „Anders als die arterielle Gefäßsteifigkeit kann ein hoher Blutdruck viele Ursachen haben, das muss nichts mit Insulinresistenz zu tun haben“, erklärt er im Gespräch mit Medscape. „Liegen Bluthochdruck und Insulinresistenz vor, kommt es zu einer erhöhten Gefäßsteifigkeit, und der prädiktive Effekt potenziert sich.“

Tian und seine Kollegen schlussfolgern aus ihren Ergebnissen, dass eine gleichzeitige Behandlung von Bluthochdruck und arterieller Gefäßsteifigkeit dabei helfen könnte, das Diabetesrisiko zu senken. Die Tatsache, dass sich die Gefäßsteifigkeit als besserer Prädiktor für Typ-2-Diabetes erwiesen habe als der Blutdruck, liefere außerdem „neue Einsichten in künftige Strategien zur Diabetesprävention von Diabetes“.

Experte: Bedeutung für die klinische Praxis fraglich

Dass die Messung der arteriellen Gefäßsteifigkeit in der klinischen Praxis eine Bedeutung in der Diabetesprävention erlangen könnte, sieht Schwarz allerdings als fragwürdig an. „Zum einen betreibt in unserem Gesundheitssystem niemand strukturiert Diabetesprävention. Und zum anderen handelt es sich um eine teure Untersuchung, die nur von bestimmten Fachärzten durchgeführt wird.“ 

 
In unserem Gesundheitssystem betreibt niemand strukturiert Diabetesprävention. Prof. Dr. Peter Schwarz  
 

Der 1. Vorsitzende der DDG-Arbeitsgemeinschaft Prävention hofft, dass sich die Situation der Diabetesprävention in Deutschland durch die digitalen Gesundheitsanwendungen verbessern wird: „Dann kann man dem Patienten eine App geben, die ihm hilft, Prävention zu betreiben.“ Allerdings sei auch dann die Messung der Pulswellengeschwindigkeit nicht der ideale Parameter. „Da wäre es viel leichter, die Insulinresistenz zu bestimmen – und das würde nur 5 Euro kosten.“

Enorme Bedeutung für das Verständnis der Pathophysiologie

Trotzdem betont Schwarz, dass es sich bei der Untersuchung aus China „um eine Studie von enormer Bedeutung handelt“. Sie werde wohl keinen direkten Effekt auf die klinische Praxis haben, dafür aber umso mehr auf das pathophysiologische Verständnis der Erkrankung und ihrer metabolischen Risikofaktoren. Denn „die arterielle Gefäßsteifigkeit ist ein völlig logisches Bindeglied in der Pathophysiologie des Typ-2-Diabetes, die aber bislang noch keinerlei Beachtung erfahren hat.“ 

 
Die arterielle Gefäßsteifigkeit ist ein völlig logisches Bindeglied in der Pathophysiologie des Typ-2-Diabetes, die aber bislang noch keinerlei Beachtung erfahren hat. Prof. Dr. Peter Schwarz  
 

Kommentar

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