Im Medscape-Corona-Newsblog finden Sie regelmäßig die aktuellen Trends zu Neuinfektionen und Belegung von Intensivstationen sowie eine Auswahl von klinisch relevanten Kurzmeldungen zur Pandemie.
Corona-Newsblog, Update vom 19. Mai 2022
Das Infektionsgeschehen entwickelt sich weiter rückläufig. Wie das Robert Koch-Institut (RKI) berichtet, liegt die 7-Tage-Inzidenz derzeit bei 383,2 Fällen pro 100.000 Einwohner (18. Mai: 407,4).
Bundesverfassungsgericht über Impfpflicht für Gesundheitsberufe und neuer Anlauf für Herbst und Winter
Valneva-Impfstoff: Die EU redet Klartext
Tierexperimentelle Daten: Bessere Immunreaktion durch attenuiertes Lebendvirus
Long-COVID: Unternimmt Deutschland zu wenig?
Hinweise aus dem Abwasser: Kommt Delta zurück?
COVID-19-Spürhunde am Flughafen
FDA: Keine Zulassung von Fluvoxamin – Kritik an Studien
Schweres COVID-19: Wache Patienten ohne Intubation profitieren nicht von der Bauchlage
Bundesverfassungsgericht über Impfpflicht für Gesundheitsberufe und neuer Anlauf für Herbst und Winter
Sinkende Inzidenzen gelten lediglich als Momentaufnahme des Geschehens – darin sind sich Gesundheitspolitiker einig. Deshalb haben Vertreter Baden-Württembergs und Hessens bei einer Videoschaltkonferenz der Gesundheitsminister beantragt, erneut über die allgemeine Impfpflicht ab 60 Jahren zu beraten. Bayern wird sich dem Antrag anschließen. Weitere Bausteine des Konzepts sind die Möglichkeit zur Anordnung einer generellen Maskenpflicht in Innenräumen und die Verpflichtung zur Vorlage eines Impf-, Genesenen- oder Testnachweises für Bereiche mit Zugangsbeschränkung.
In der Beschlussvorlage heißt es: „Angesichts einer sehr wahrscheinlichen Infektionswelle im Herbst hält es die Gesundheitsministerkonferenz weiterhin für erforderlich, eine Überlastung des Gesundheitssystems sowie damit einhergehende mögliche Einschränkungen für die Gesamtbevölkerung durch die Einführung einer unmittelbar geltenden Impfpflicht ab 60 Jahren zu verhindern. Die GMK appelliert daher an alle an der Bundesgesetzgebung Beteiligten, ein Gesetz für eine allgemeine Impfpflicht gegen COVID-19 ab 60 Jahren zu beschließen.“ Beim nächsten Treffen am 22. und 23. Juni in Magdeburg soll das Thema erörtert werden.
Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach begrüßt den Entschluss der Gesundheitsministerkonferenz, Vorbereitungen für den Herbst zu treffen: „Die Länder brauchen mehr Instrumente, um auf das mögliche Wiederaufflammen der Corona-Pandemie reagieren zu können“, schreibt er auf Twitter . „Das jetzige Infektionsschutzgesetz ist zu dünn, um uns durch die kalte Jahreszeit zu bringen. Da es am 23.9 ausläuft müssen jetzt die Vorbereitungen beginnen (…).“
Die Regierung plant, ab Herbst allen Bürgern eine Viertimpfung anzubieten – mit dem Omikron-Vakzin von BioNTech/Pfizer oder mit dem bivalenten Vakzin von Moderna. Dafür will die Koalition weitere 830 Millionen Euro bereitstellen. Beide Impfstoffe sind noch in der Entwicklung.
Grünes Licht gab es auch für die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Das Bundesverfassungsgericht hat Klagen von Mitarbeitern abgewiesen; heute wurde das Urteil veröffentlicht. Zwar schreibt der Erste Senat, die Impfpflicht stelle einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Dies sei mit Blick auf die Verfassung jedoch zu rechtfertigen, um vulnerable Menschen zu schützen. „Trotz der hohen Eingriffsintensität müssen die grundrechtlich geschützten Interessen der im Gesundheits- und Pflegebereich tätigen Beschwerdeführenden letztlich zurücktreten“, so die höchstrichterliche Entscheidung.
Valneva-Impfstoff: Die EU redet Klartext
VLA2001 von Valneva ist momentan der einzige inaktivierte, adjuvantierte Ganzvirus-Impfstoffkandidat gegen COVID-19 in Europa. Laut Pressemeldung des französisch-österreichischem Biotech-Unternehmens plant die Europäische Kommission, ihren Vorabkaufvertrag für das Vakzin zu kündigen.
Im Vertrag wird der Kommission ein Kündigungsrecht gewährt, falls VLA2001 bis zum 30. April 2022 keine Marktzulassung von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) erhalten hat. Gemäß Detailvereinbarungen hat Valneva ab dem 13. Mai 2022 genau 30 Tage Zeit, um eine Marktzulassung zu erhalten oder um Maßnahmen zur Nachbesserung vorzuschlagen.
Fragen des EMA-Ausschusses für Humanarzneimittel hat der Hersteller schon beantwortet. Läuft alles nach Plan, erwartet das Unternehmen spätestens im Juni 2022 eine Stellungnahme des EMA-Ausschusses für Humanarzneimittel.
Tierexperimentelle Daten: Bessere Immunreaktion durch attenuiertes Lebendvirus
Für die weitere Kontrolle der Pandemie wünschen sich Ärzte Impfstoffe, die eine möglichst lang andauerte Immunität auslösen. Deshalb geht die Entwicklung neuer Vakzin-Kandidaten weiter; neue Ergebnisse sind als Preprint veröffentlicht worden.
Forscher der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Kollegen verglichen die Immunantworten und die präklinische Wirksamkeit des mRNA-Impfstoffs BNT162b2, eines Adenovirus-Vektor-Spike-Impfstoffs und des Impfstoffkandidaten sCPD9.
Um das abgeschwächte Virus sCPD9 herzustellen, hatten die Wissenschaftler einen kurzen Abschnitt des SARS-CoV-2-Genoms durch eine synthetisierte Sequenz ersetzt mit dem Ziel, die Virusreplikation zu begrenzen.
Bei den aktuellen Experimenten kamen Goldhamster als bekanntes Tiermodell für SARS-CoV-2-Infektionen zum Einsatz. Die durch sCPD9 hervorgerufene robuste Immunität zeigte sich anhand eines breiten Spektrums von Immunparametern nach einer Provokation mit SARS-CoV-2. Zu den Vorteilen – verglichen mit anderen Vakzinen – gehörten eine schnelle Virusbeseitigung, geringe Gewebeschäden, eine schnelle Differenzierung von Prä-Plasmablasten, eine starke systemische bzw. mukosale humoralen Reaktionen und eine schnelle Mobilisation von Gedächtnis-T-Zellen.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Verwendung von abgeschwächten Lebendimpfstoffen Vorteile gegenüber den verfügbaren COVID-19-Impfstoffen bieten kann, insbesondere, wenn sie als Auffrischungsimpfung eingesetzt werden, und dass sie eine Lösung für die Eindämmung der COVID-19-Pandemie darstellen könnten“, resümieren die Autoren.
Long-COVID: Unternimmt Deutschland zu wenig?
Zwar sinken die Inzidenzen, doch Long-COVID bereitet Wissenschaftlern und Politikern viel Kopfzerbrechen. „In UK werden die Long-COVID-Fälle systematischer erfasst als bei uns“, schreibt Lauterbach. „Es zeigt sich, dass auch viele Geimpfte in der Omikron-Welle betroffen sind. Trotzdem wäre die Zahl ohne Impfung viel höher, die Impfung schützt. Long-COVID allein wäre Grund genug, sich impfen zu lassen.“
Auch der Corona-Expertenrat der Bundesregierung hat sich mit der Thematik befasst und umfangreiche Empfehlungen erarbeitet. Die Maßnahmen im Überblick:
Etablierung flächendeckender, intersektoraler und interdisziplinärer Versorgungsstrukturen für Patienten
Enge Verzahnung ambulanter und klinischer Versorgungsstrukturen mit konsentierten Qualitätskriterien
Ausweitung der Förderung der klinischen und translationalen Forschung, der Grundlagenforschung und Versorgungsforschung
Etablierung von Zentren für klinische Studien u.a. zur Prüfung bereits zugelassener und neuer Medikamente bzw. Behandlungsverfahren
Aufklärung aller Akteure im Gesundheitswesen
Informationen für die Bevölkerung
Einbindung von Patientengruppen
Erstellen wissenschaftlicher Analysen zu Long-COVID/Post-COVID
Hinweise aus dem Abwasser: Kommt Delta zurück?
Seit Monaten beherrscht Omikron die wissenschaftliche und die mediale Berichterstattung. Doch ist Delta wirklich verschwunden? Dieser Frage gingen Forscher aus Israel anhand der abwasserbasierten Epidemiologie auf den Grund.
Um Varianten in möglichen Umwelt-Reservoirs schnell zu bewerten, haben die Wissenschaftler spezielle PCR-Gensonden entwickelt. Damit wurden verschiedene Proben aus Abwässern untersucht. Bei Patienten nimmt, wie bekannt, die Zahl an Omikron-Infektionen stetig zu. Dennoch fanden die Wissenschaftler in Abwässern eine – wie sie schreiben – „kryptische Zirkulation“ der Delta-Variante, selbst beim Anstieg der Omikron-Fälle.
Auf Grundlage ihrer Daten entwickelten die Forschenden auch ein Modell zur Prognose des weiteren Geschehens. Sie vermuten, dass die Häufigkeit von Omikron-Subvarianten in der Umwelt bis zu deren vollständiger Eliminierung stetig abnehmen wird, während die Delta-Variante ihre kryptische Zirkulation beibehält. Dies könnte zum Wiederauftreten einer Delta-Infektionswelle oder zur möglichen Entstehung einer neuen Variant of Concern aus Delta führen.
COVID-19-Spürhunde am Flughafen
Um viele Menschen in kurzer Zeit auf SARS-CoV-2-infektionen zu screenen, beispielsweise auf Flughäfen, laufen seit Beginn der Pandemie Studien mit speziell trainierten Hunden. Jetzt liegen Ergebnisse einer randomisierten, verblindeten Validierungsstudie sowie einer Praxisstudie am internationalen Flughafen Helsinki-Vantaa, Finnland, vor.
4 Hunde wurden darauf trainiert, COVID-19 anhand menschlicher Hautabstrichen zu erkennen, wobei Probanden gleichzeitig via RT-PCR auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Die Validierungsstudie umfasste 4 identische Sätze von 420 parallelen Proben (von 114 mittels RT-PCR positiv und 306 negativ getesteten Personen), die jedem Hund in 7 Versuchssitzungen zufällig vorgelegt wurden. In einer realen Umgebung bekamen die Hunde Hautabstriche von 303 ankommenden Passagieren, die alle gleichzeitig mittels RT-PCR von Nasenabstrichen auf SARS-CoV-2 untersucht wurden.
Die Validierungsexperimente ergaben im Vergleich zur RT-PCR eine Gesamtgenauigkeit von 92% (95%-KI 90% bis 93%), eine Sensitivität von 92% (95%-KI 89% bis 94%) und eine Spezifität von 91% (95%-KI 89% bis 93%). Bei Hunden, welche mit dem Wildtyp-Virus trainiert wurden, war die Leistung bei der Alpha-Variante weniger genau (89% für den Wildtyp gegenüber 36% für die Alpha-Variante; OR 14,0, 95 %-KI 4,5 bis 43,4).
Unter realen Bedingungen am Flughafen stimmten Geruchserkennung und RT-PCR in 98,7% der negativen Abstriche überein. Die geringe SARS-CoV-2-Prävalenz bei Reisenden (0,47%) ermöglichte keine Sensitivitätsprüfung; der einzige positive SARS-CoV-2-Abstrich wurde nicht erkannt. Eine Ad-hoc-Analyse mit positiven Spike-Proben ergab jedoch eine Gesamtgenauigkeit von 98% (95%-KI 97% bis 99%).
„Der Einsatz von Spürhunden könnte einen wertvollen Ansatz für ein schnelles Screening einer großen Anzahl von Personen mit hohem Durchsatz darstellen“, schreiben die Autoren.
FDA: Keine Zulassung von Fluvoxamin – Kritik an Studien
Die US Food and Drug Administration (FDA) hat eine Zulassung von Fluvoxamin zur COVID-19-Therapie abgelehnt. Das bekannte Antidepressivum hatte vor allem in der TOGETHER-Studie die Rate an Notfallaufnahmen und Hospitalisierungen signifikant verringert. Doch die Zweifel begannen, sich zu häufen.
Als wichtigste Kritikpunkte nennt die FDA:
Der Antrag stützt sich in erster Linie auf Ergebnisse der TOGETHER-Studie, eine randomisierte, randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Plattformstudie bei symptomatischen erwachsenen Hochrisikopatienten aus Brasilien. Der primäre Endpunkt war zusammengesetzt aus Besuchen in der Notaufnahme aufgrund der klinischen Verschlechterung von COVID-19 und Krankenhausaufenthalten aufgrund des Fortschreitens von COVID-19 bis zu 28 Tage nach der Randomisierung. Der primäre Endpunkt der Studie wurde zwar erreicht – aber in erster Linie durch eine Verringerung der Besuche in der Notaufnahme. Die FDA zweifelt an der Sinnhaftigkeit der Endpunkte und der Zeitfenster.
Der Nutzen von Fluvoxamin war nicht überzeugend, wenn man sich auf klinisch bedeutsame Ergebnisse wie den Anteil von Patienten mit Krankenhausaufenthalten oder die Zahl an Todesfällen fokussiert.
Die STOP-COVID-Studie und die Studien mit realen Daten wiesen Einschränkungen in Bezug auf das Design auf, darunter eine geringe Größe, ein einziges Studienzentrum, umstrittene Endpunkte und eine fehlende Randomisierung.
STOP COVID 2 (eine Studie, die um ein Vielfaches größer war als die STOP COVID-Studie) und COVID-OUT konnten keinen Nutzen von Fluvoxamin bei Erwachsenen mit leichter COVID-19 im ambulanten Bereich nachweisen, und beide wurden vorzeitig abgebrochen.
Auf Grundlage der Überprüfung aller verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse hat die FDA deshalb festgestellt, dass die Daten nicht ausreichten, um zu dem Schluss zu kommen, dass Fluvoxamin bei der Behandlung von nicht hospitalisierten Patienten mit COVID-19 wirksam sein könnte, um ein Fortschreiten der Krankheit und/oder einen Krankenhausaufenthalt zu verhindern. Daher seien Kriterien für die Erteilung einer Zulassung nicht erfüllt, schreibt die Arzneimittelbehörde.
Schweres COVID-19: Wache Patienten ohne Intubation profitieren nicht von der Bauchlage
Die Wirksamkeit und Sicherheit der Bauchlagerung bei wachen, nicht intubierten Patienten mit akuter Hypoxämie und COVID-19 ist unklar. Aufgrund der Ergebnisse einer neuen Kohortenstudie sehen Ärzte keinen signifikanten Nutzen in der Lagerungstechnik.
In die Untersuchung wurden 400 erwachsene Patienten mit COVID-19, die nicht intubiert waren und Sauerstoff (≥40%) oder nichtinvasive Beatmung benötigten, eingeschlossen. Die Studie lief zwischen dem 19. Mai 2020 und 18. Mai 2021; im Juli 2021 wurden die letzten Nachuntersuchungen abgeschlossen.
Alle Patienten wurden randomisiert und in Bauchlage (n = 205) oder ohne Bauchlage (Kontrolle; n = 195) positioniert. Von 400 Patienten, die randomisiert wurden (Durchschnittsalter 57,6 Jahre; 117 [29,3%] waren Frauen), schlossen alle die Studie ab. In den ersten 4 Tagen nach der Randomisierung betrug die mediane Dauer der Bauchlage 4,8 Stunden/Tag in der Interventionsgruppe gegenüber 0 Stunden/Tag in der Kontrollgruppe.
Am 30. Tag waren 70 von 205 Patienten (34,1%) in der Gruppe mit Bauchlagerung intubiert, verglichen mit 79 von 195 Patienten (40,5%) in der Kontrollgruppe (Hazard Ratio 0,81; 95%-KI 0,59 bis 1,12).
Die Bauchlage verringerte die Sterblichkeit nach 60 Tagen nicht signifikant (Hazard Ratio 0,93; 95%-KI 0,62 bis 1,40). Sie hatte auch keine signifikante Auswirkung auf die Tage ohne invasive mechanische Beatmung oder nichtinvasive Beatmung nach 30 Tagen oder auf die Tage ohne Intensivstation oder Krankenhaus nach 60 Tagen.
„Bei Patienten mit akutem hypoxämischem Atemversagen … führte die Bauchlagerung im Vergleich zur üblichen Behandlung ohne Bauchlagerung nach 30 Tagen nicht zu einer signifikanten Verringerung der endotrachealen Intubation“, fassen die Autoren zusammen. „Die Effektgröße für das primäre Studienergebnis war jedoch ungenau und schließt einen klinisch wichtigen Nutzen nicht aus.“ Weitere Untersuchungen seien erforderlich.
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Diesen Artikel so zitieren: Urteil zur Impfpflicht und neuer Anlauf für 60+; Kommt Delta zurück? COVID-Spürhunden; Pläne für Long-COVID-Management - Medscape - 19. Mai 2022.
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