Tipps zum Umgang mit ängstlichen Patienten: Angstproblem aktiv ansprechen

Dr. Horst Gross

Interessenkonflikte

17. Mai 2022

Normal ist ein Gleichgewicht zwischen Angst und Entspannung. Psychische Dispositionen, aber auch kontinuierlich einwirkende Umweltreize können dieses Gleichgewicht stören. Hinter einem scheinbaren Therapieversagen stecken häufig unausgesprochene Ängste. Wie man Angststörungen erkennen und damit umgehen kann, erläuterte Prof. Dr. Christian Albus, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Uniklinik Köln, auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) [1].

Versteckte Ängste

Schlechte Compliance hat oft einen einfachen Grund: Die Patientinnen und Patienten haben Angst. Sie fürchten Hiobsbotschaften, etwa durch weitere Untersuchungen. Die regelmäßige Tabletteneinnahme erinnert sie immer wieder an ihr bedrohliches Problem. Von sich aus sprechen die Betroffenen diesen heiklen Punkt kaum an, gab Albus zu bedenken. Doch latente Ängste sind keine Bagatelle, wie Untersuchungen aus der Kardiologie belegen.

Nach einem akuten koronaren Ereignis (ACS) leidet ein Drittel der Betroffenen dauerhaft an Angststörungen. Die Befürchtung, dass sich das Erlebte wiederholt, überschattet die Lebensfreude. Bei der Hälfte der ACS-Patientinnen und -Patienten ließen sich deshalb Zeichen einer klinischen Depression nachweisen. Selbst posttraumatische Belastungsstörungen wurden bei bis zu 30% registriert, so ein Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie.

Angst verschlechtert zudem die Prognose. Patientinnen und Patienten mit Herzinfarkt und anschließender Herzschwäche zeigen eine deutliche Korrelation zwischen erhöhter Mortalität und Angstbelastung.

Eigendiagnose

Dass wir in einem Zeitalter der Angst leben, habe auch mit dem technischen Fortschritt zu tun, so Albus. „Doktor Google“ ist für fast die Hälfte der Erwachsenen der erste Anlaufpunkt, wenn es um die Abklärung von Beschwerden geht. Gut informierte Patientinnen und Patienten verbessern die Arzt-Patientenkommunikation.

Doch leider wird bei vielen Menschen die Suche nach Diagnosen und Krankheitszeichen im Netz zur Sucht. Primär harmlose Symptome werden mit katastrophalen Diagnosen in Verbindung gebracht.

Fatalerweise verstärkt der Suchalgorithmus von Google diese Tendenz zusätzlich. Wer anfängt, nach schlimmen Krankheiten zu suchen, wird von Google immer häufiger mit solchen potenziellen Katastrophen konfrontiert. Schließlich orientiert sich Google an den Interessen der Nutzerinnen und Nutzer. Die Folge ist eine Angstspirale mit Krankheitswert.

Cyberchondrie

Die zwanghafte Internetsuche nach immer neuen gesundheitlichen Bedrohungen hat sich mittlerweile zu einem eigenständigen Krankheitsbild entwickelt, so eine chinesische Studie. Therapie: konsequenter Internetentzug.

Hinzu kommt die krasse Überzeichnung von gesundheitlichen Problemen durch die Massenmedien. Denn nicht nur Sex, auch Angst verkauft sich. Aktuelles Beispiel: Long-COVID. In der viel zitierten Gutenberg-Studie zeigten sich bei über der Hälfte der Corona-Patientinnen und -patienten im Nachgang die typischen Symptome: Abgeschlagenheit, Konzentrationsstörungen und Atemprobleme. Den entscheidenden Aspekt verschwiegen die meisten Medien: Auch bei 40% in der Corona-freien Kontrollgruppe wurden dieselben Probleme registriert, schreibt das Deutsche Ärzteblatt. Kein Wunder, dass Long-COVID so viel Angst verbreitet, sagte Albus.

Der erste Schritt

Eine verantwortungsvolle Medizin muss diesen Entwicklungen entgegentreten. Der erste Schritt: Das Angstproblem aktiv ansprechen. Patientinnen und Patienten, die angespannt wirken, profitieren enorm von der simplen Frage: Wie geht es Ihnen denn sonst so? Eine Frage, die wie ein Türöffner wirkt. Plötzlich beginnen Patientinnen und Patienten, über ihre Ängste und Befürchtungen zu sprechen.

Natürlich ist dieser Zugang zu Patientinnen und Patienten zeitintensiv. Doch diese Zeit müsse man sich nehmen, meinte Albus. Er verwies auf eine Befragung onkologischer Patientinnen und Patienten: Die Mehrzahl berichtete, dass keiner ihrer Ärztinnen oder Ärzte sich jemals für ihren Gemütszustand interessiert hat. Ein Armutszeugnis, denn die psychosomatische Grundversorgung sollte heutzutage Standard sein, in allen Fachrichtungen.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de.
 

Kommentar

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