Ist der Doktortitel im Arztberuf noch zeitgemäß? Meinungen von Ihren Kollegen und die Trends für die Zukunft

Marc Fröhling

Interessenkonflikte

17. Mai 2022

Im Arztberuf wird der Doktortitel von vielen Patientinnen und Patienten mit der Berufsbezeichnung gleichgesetzt und ist damit von besonderer Bedeutung. Über die fachliche Eignung des Titelträgers in der Patientenversorgung sagt dieser allerdings wenig aus. Wie Ihre Kolleginnen und Kollegen dazu stehen, zeigt der folgende Beitrag.

Ein Titel, der gar keiner ist?

In der Regel gilt: Nach Veröffentlichung einer Dissertation darf ein Doktortitel geführt und in offizielle Dokumente eingetragen werden. Streng genommen handelt es sich beim „Dr.“ aber nicht um einen Titel, sondern um einen akademischen Grad – in der Umgangssprache werden die Begriffe allerdings nicht unterschieden.

Es gibt keine Pflicht, den Doktortitel zu führen oder diesen im Ausweis eintragen zu lassen. Auch kann dieser nicht einfach zurückgegeben werden – er kann einzig in einem Hoheitsakt durch eine Universität wieder aberkannt werden.

In früheren Jahrzehnten war es zudem üblich, Ehefrauen von Promovierten als „Frau Doktor“ zu bezeichnen und mitunter auch möglich, den „Dr.“ zu vererben. Gerade für ältere Patientinnen und Patienten gehöre der Titel dazu, wenn diese, wie dr_knock aus der Inneren Medizin beschreibt, auch zum „Nicht-Doktor“ beharrlich Herr oder Frau Doktor sagen, oder wenn nach mmolto aus der Inneren Medizin beispielsweise im Süden Deutschlands die in der Praxis mithelfende Ehefrau noch als „Frau Doktor“ bezeichnet wird.

Anrede mit Doktortitel: Was von Patienten erwartet wird …

Heute ist der „Dr.“ nur Namenszusatz und kein Bestandteil mehr des bürgerlich-rechtlichen Namens. Daher besteht für Promovierte auch kein rechtlicher Anspruch, mit dem Titel angesprochen zu werden. Eine Ausnahme gilt laut Bundesarbeitsgericht, wenn im Geschäftsleben der Arbeitgeber den Titel der promovierten Person nach außen hin angibt.

dr_knock aus der Inneren Medizin findet, dass es nebensächlich ist, wie man als Ärztin oder Arzt angesprochen wird – solange dies wertschätzend erfolgt. Dies bestätigt auch lordmyschkin aus demselben Fachgebiet: Egal ob die Ansprache mit Namen, Doktor oder Oberdoktor erfolge, Widerstand rege sich nur bei offensichtlicher Respektlosigkeit.

shrink46 aus der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie legte vor 50 Jahren großen Wert darauf, als „Herr Doktor“ angeredet zu werden – heute reagiert er eher verwundert, wenn die Anrede mit dem Titel erfolgt.

orthner aus der Orthopädie und Unfallchirurgie und in Österreich ansässig weist auf die dortige „Neigung“ zu Titeln hin. Wird orthner selbst von Patientinnen und Patienten gefragt, mit welchem Titel die Ansprache korrekterweise erfolgen soll, lautet die Antwort: „Titel sind nur wichtig für den Steinmetz.“

Der inzwischen verstorbene Vater von wurzelsepp1 aus der Zahnmedizin brachte auf besondere Art und Weise seine Patientinnen und Patienten dazu, ihn mit seinem Doktortitel anzusprechen: Alle, die ihn ohne Doktortitel angesprochen haben, wurden ihrerseits von ihm damit betitelt. In ihrer Verblüffung sprachen diese ihn dann meist doch noch mit seinem Titel an.

… und wie Ärztinnen & Ärzte selbst darüber denken

Laut dent402 aus der Zahnmedizin habe der „Dr.“ vor dem Namen noch nie aus jemanden einen besseren Menschen gemacht. In den meisten Fällen sei sein Erwerb zwar mit viel Arbeitsaufwand verbunden, letzten Endes vom Hintergrund aber oft trivialer, als Laien dies annehmen würden. Einziger Vorteil neben dem schönen Schein sei der praktische Nutzen beim Umgang mit manchen Institutionen – auch in Deutschland, wo die „Titelgläubigkeit“ weitaus weniger ausgeprägt sei als in manchen Nachbarländern.

Auch wenn sich der „Dr.“ im Privaten mitunter als hilfreich erweisen könne, gibt fixtur aus der Zahnmedizin augenzwinkernd den Rat, die Titel zumindest vor Angehörigen der Handwerkszunft zu verheimlichen, da es sonst teuer werden könnte.

anima1 aus der Psychiatrie und Psychotherapie legt außerberuflich keinen Wert darauf, mit dem Titel angesprochen zu werden – auch nicht als Patientin bei einem Kollegen oder einer Kollegin.

ordi92 , ebenfalls aus der Inneren Medizin, spricht dagegen Patientinnen und Patienten, bei denen der Titel bekannt ist, immer auch mit diesem an, um gerade dadurch die individuelle Wahrnehmung und Wertschätzung auszudrücken.

individuum aus der Allgemeinmedizin gibt an, den Titel immer dann gerne zu verwenden, wenn der Eindruck entsteht, vom Gegenüber als Frau nicht ernst genommen zu werden, etwa am Telefon. Persönlich nicht bekannte Kolleginnen und Kollegen würden zunächst mit Titel angesprochen. Privat spiele dies keine Rolle – ebenso wenig die Frage, ob ein selbst konsultierter Arzt oder eine selbst konsultierte Ärztin einen Doktortitel hat oder nicht.

Vor- und Nachteile der Promotion im Arztberuf

Viele Patientinnen und Patienten verwenden den Begriff „Doktor“ wie eine Berufsbezeichnung. Das Wort „Doktor“ beschreibe eben für die Patientinnen und Patienten ihren jeweiligen Arzt oder Ärztin, wie ahcies aus der Orthopädie und Unfallchirurgie anmerkt. In den meisten Fällen sei es den Patientinnen und Patienten laut ahcies daher gleichgültig, ob der Arzt zeitweilig auch als Forscher tätig war – andere ärztliche Qualifikationen stünden hier im Vordergrund.

Andere Länder seien hier weiter, in denen der Doktortitel als Berufsbezeichnung vergeben und für wissenschaftlich Tätige gegebenenfalls mit einem Zusatz honoriert werde.

rafchr aus der Zahnmedizin führt zu dem Thema an, dass seine Tochter ohne Doktortitel zur Praxisnachfolgerin wurde und diese genauso erfolgreich geführt wird, wie zuvor von rafchr selbst.

evangelia aus der Inneren Medizin ergänzt, dass in diesem Falle jedoch jedem Patienten und jeder Patientin, der sie mit Frau Doktor anredet, zu verstehen gegeben werden müsse, dass sie diesen akademischen Grad nicht erworben hat.

Laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2020 rund 2 von 3 humanmedizinischen Abschlüssen Promotionen. Der Anteil sinkt zwar, liegt aber dennoch deutlich höher als in anderen Disziplinen.

Vorteile eines Promotionsverzichts in der Medizin können eine frühere Praxiserfahrung und eine Ersparnis von Zeit und Geld durch die verkürzte Studiendauer sein.

Auch wenn gerade in der Niederlassung der Doktortitel keine Bedingung ist, so umfassen mögliche Nachteile eines Verzichts jedoch die geringe Chance auf eine leitende Position in Kliniken, ein geringeres Einstiegsgehalt und schlechtere Aussichten in beliebten Fachrichtungen.

Qualitative Unterschiede in der wissenschaftlichen Arbeit

Auch wenn der Doktortitel über die fachliche Eignung im Umgang mit Patientinnen und Patienten wenig aussagt, geht damit unbestreitbar ein gewisses Ansehen einher. In der Welt der Wissenschaft gilt dies für den deutschen Dr. med. aber nur bedingt, denn: Promotionen in der Medizin weisen häufig enorme qualitative Unterschiede auf.

Viele Studierende beginnen ihre Dissertation unter Stress bereits während des Studiums, um ihre Ausbildungszeit nicht weiter zu verlängern. Häufig fehlt es an Handwerkszeug für die schriftliche wissenschaftliche Arbeit, oder die Betreuung verläuft nicht optimal.

Hiervon berichtet auch rgksbs aus der Chirurgie, früher selbst Mitglied einer Dissertationskommission. Abhängig vom Charakter und den Launen des Doktorvaters gebe es anstrengende, sich über Jahre hinziehende Arbeiten, wohingegen in anderen Fällen eine Literaturzusammenstellung genüge.

„Dr. med.“ nur für die Patientenwahrnehmung?

Laut einer Umfrage des Hartmannbundes aus dem Jahr 2017 möchte zwar die überwiegende Mehrheit der Medizinstudierenden einen Doktortitel erwerben – dabei kann sich nur jeder 5. Befragte vorstellen, in der Forschung zu arbeiten.

Mehr als ein Drittel der Studierenden sehen in einem Doktortitel keinen möglichen Nutzen für eine spätere ärztliche Tätigkeit. Unter den Assistenzärztinnen und -ärzten waren sogar 60% dieser Meinung.

Dennoch glauben ebenso viele Assistenzärztinnen und -ärzte, dass die Promotion Einfluss darauf hat, wie sie selbst von ihren Patientinnen und Patienten wahrgenommen werden. Dass diese Einschätzung vom Alter der Patienten abhängt, glauben weitere 27%.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de.

 

Kommentar

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