Trotz medizinischer Fortschritte erhöhte Suizidraten bei Krebspatienten – ein Plädoyer für die Psychoonkologie

Dr. Thomas Kron

Interessenkonflikte

17. Mai 2022

Krebs als Diagnose ist extrem belastend. Manche Patienten reagieren darauf mit psychischen Störungen, vor allem mit Depressionen. Und trotz vieler Fortschritte in der Onkologie haben Krebspatienten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein deutlich höheres Suizid-Risiko.

28 Studien mit 22 Millionen Krebspatienten analysiert

Das Team hat 28 Studien mit rund 22 Millionen Tumorpatienten ausgewertet. Berechnungen ergaben ein fast 2-fach erhöhtes Suizid-Risiko bei Menschen mit Krebs (standardisierte Mortalitätsrate 1,85; 95%-KI 1,55-2,20). 

Das Risiko steht der Metaanalyse zufolge in engem Zusammenhang mit verschiedenen Risikofaktoren wie der Prognose der Krebserkrankung, dem Krankheitsstadium, der Zeit seit der Krebsdiagnose, dem Familienstand oder dem Wohnort. 

„Patientinnen und Patienten mit einer prognostisch besonders ungünstigen Krebserkrankung und solche, deren Krebsdiagnose weniger als 1 Jahr zurücklag, zeigten in unserer Studie ein 3,5- bzw. 3-fach erhöhtes Suizid-Risiko im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung“, erklärt Seliger-Behme. „Ein auffällig hohes Suizid-Risiko war zudem bei Krebs-Patienten in den USA im Vergleich zu europäischen Krebs-Patienten zu beobachten.“ 

 
Patienten mit einer prognostisch besonders ungünstigen Krebserkrankung ... zeigten in unserer Studie ein 3,5- bzw. 3-fach erhöhtes Suizid-Risiko im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. PD Dr. Dr. Corinna Seliger-Behme
 

„Eine mögliche Erklärung kann in der nicht flächendeckend vorhandenen gesetzlichen Krankenversicherung in den USA gesehen werden“, vermutet Prof. Dr. Dr. Michael F. Leitzmann, Direktor des Instituts für Epidemiologie und Präventivmedizin der Universität Regensburg. „Eine Krebserkrankung ist für amerikanische Patienten daher besonders häufig mit hohen finanziellen Belastungen und einem erschwerten Zugang zu Hilfsangeboten wie einer psychologischen Beratung verbunden.“

Auch der Familienstand hat Auswirkungen: Verheiratete Krebspatienten wiesen eine niedrigere Suizid-Sterblichkeit auf als unverheiratete, alleinlebende Krebspatienten. Ein Partner kann offenbar eine Stütze bei der Bewältigung einer Krebsdiagnose sein.

Was Ärzte zur Suizid-Prävention unternehmen können

Wichtig für die Suizid-Prävention ist eine psychoonkologische Begleitung, die Wege aufzeigt, um mit Ängsten und Belastungen umzugehen und neue Perspektiven zu entwickeln. „Ein Suizid kann häufig verhindert werden, wenn entsprechende Gedanken offen angesprochen werden und frühzeitig eine psychoonkologische oder sogar psychotherapeutische Betreuung eingeleitet wird“, weiß Dr. Till Johannes Bugaj, Leiter des psychoonkologischen Beratungsdienstes am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg. „Der Zugang zu professioneller psychoonkologischer Begleitung und Nachsorge sollte daher ein integraler Bestandteil jeder Krebstherapie sein.“ 

 
Der Zugang zu professioneller psychoonkologischer Begleitung und Nachsorge sollte ... ein integraler Bestandteil jeder Krebstherapie sein. Dr. Till Johannes Bugaj
 

Weitere Veröffentlichung bestätigt die Ergebnisse

Wie wichtig eine psychologische Betreuung von Tumor-Kranken ist, zeigt eine Studie, die ebenfalls in Nature Medicine erschienen ist [2]

Wai Hoong Chang und Alvina G. Lai vom University College London haben Krankenakten von rund 460.000 Menschen mit 26 verschiedenen Krebsarten ausgewertet. Depressionen waren mit einer Prävalenz von 5% die häufigste psychische Störung bei Krebskranken. Patienten, die eine Chemotherapie, Strahlentherapie und Operation erhielten, hatten die höchste kumulative Belastung durch psychische Störungen. Auch Chemotherapie allein war mit hohen Raten psychischer Störungen verbunden. Patienten mit Kinasehemmern, also Präparaten mit wenig Nebenwirkungen, hatten die niedrigsten Raten.

Alle psychischen Erkrankungen waren mit einem erhöhten Risiko für Selbstverletzungen verbunden, wobei das höchste Risiko innerhalb von 12 Monaten nach der Diagnose der psychischen Erkrankung zu beobachten war. Etwa 1% der Gruppe hatte sich nach der Diagnose selbst verletzt; am häufigsten war dies bei Patienten mit Hirntumoren, Prostatakrebs, Hodgkin-Lymphom, Hodenkrebs und Melanom. 

Bei Patienten, die sich selbst verletzten, war die Wahrscheinlichkeit, innerhalb der nächsten 12 Monate an einer unnatürlichen Todesursache zu sterben, fast 7-mal höher als bei Personen einer Kontrollgruppe (Hazard Ratio 6,8). Etwa ein Viertel der Krebspatienten hatte der Studie zufolge eine psychische Störung durch Drogenmissbrauch. Die Probleme nahmen im Laufe der Zeit keineswegs ab, sondern sogar noch zu, selbst Jahre nach der Diagnose.

Der Beitrag ist im Original erschienen auf Univadis.de.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....