Cannabinoide als Therapeutika: Vielversprechend, aber Genaueres weiß man bisher erst zu den Nebenwirkungen

Redaktion: Christoph Renninger

Interessenkonflikte

13. Mai 2022

Welche Rolle spielen Cannabinoide als Rauschmittel und in der medizinischen Anwendung heutzutage? Dieser Frage ging Prof. Dr. Dieter Braus, Eltville, auf dem DGIM-Kongress 2022 nach [1].

Gemeinsame Endstrecke bei allen Suchtarten Psychoserisiko steigt mit Konsum an

Ganz gleich, um welche Art von Substanz-abhängiger Sucht es sich handelt, sei es Alkohol, Opiate, Nikotin oder Cannabinoide, die Endstrecke im Gehirn ist dieselbe, das Dopamin-System. Dieses ist mitverantwortlich für Neugierde, Lust, Lernen und Handeln. Durch verschiedene Substanzen kommt es zu einer erhöhten Freisetzung von Neurotransmittern.

Das Endocannabinoidsystem hat in diesem Zusammenhang eine Funktion als Stoßdämpfer. Durch die hoch affine Bindung von (–)-Δ9-trans-Tetrahydrocannabinol (THC) an CB1-Rezeptoren wird die Stabilisierung des Systems verhindert. Die psychotrope Komponente von Cannabis macht natürlicherweise 1-2% der wirksamen Substanzen aus. Durch spezielle Züchtungen ist dieser Anteil jedoch inzwischen auf 10-20% gestiegen. Dabei sinkt gleichzeitig der Anteil an Cannabidiol (CBD), dem nicht-psychoaktiven Gegenspieler.

Neben dem akuten THC-Effekt mit einem High und Wohlgefühl, gibt es Veränderungen bei chronischem Konsum. Es kommt zu einer Störung retrograder Signalwege, welche zu Suchtverhalten, verminderter Motivation und negativer Emotionalität führen. Diese chronischen Effekte können bereits bei wenigen Malen von Konsum auftreten.

Die höchste Dichte an CB1-Rezeptoren findet sich in tiefen Hirnarealen, wie dem Hippocampus, der Substantia nigra, der Amygdala oder dem Hypothalamus. All diese Regionen spielen bei Stress-assoziierten Krankheiten eine Rolle, wie Angsterkrankungen, Depressionen oder Zwangserkrankungen.

Medizinische Anwendung in der Neuropsychiatrie

Durch Cannabiskonsum kann es aufgrund der gestörten Balance in wichtigen Systemen zu einer beeinträchtigten Kognition, reduzierter Motivation und Triggern für Psychosen kommen, insbesondere wenn der Konsum während vulnerablen Phasen der Gehirnentwicklung stattfindet.   

Das Risiko eine psychotische Erkrankung zu entwickeln, steigt bei täglichem Cannabiskonsum auf das 5-fache an. Nach Legalisierung kam es in mehreren Ländern zu einem starken Anstieg an Psychosen. Daher sieht Braus eine Legalisierung aus kritischer Distanz.

Da vor allem ein Konsum vor dem 18. Lebensjahr starke Auswirkungen auf die Entwicklung des dopaminergen Systems hat, befürwortet er eine Altersgrenze von 21 Jahren bei der Freigabe. Der Konsum während der Adoleszenz hat erhebliche Auswirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit im Erwachsenenalter.

Es kommt zu Aufmerksamkeitsdefiziten, höherer Ablenkbarkeit, geringerem Lernvermögen, beeinträchtigtem sprachlichem Ausdruck, Problemen bei Mathematik und weiteren Gedächtnisfunktionen. Bereits nach 1- oder 2-maligem Konsum sind strukturelle Veränderungen im Gehirn messbar, insbesondere im medialen präfrontalen Kortex.

Diese ungünstige Hirnentwicklung trägt zur Bildung von Angstnetzwerken bei, mit erhöhter Irritabilität und Neigungen zu Angststörungen. Ein erschreckendes Bild, wenn man bedenkt, so Braus, dass jeder dritte 10.-Klässler in den USA bereits Cannabis konsumiert hat.

Medizinische Anwendung in der Neuropsychiatrie

Aufgrund der Pathophysiologie ist das Endocannabinoidsystem ein potenzielles Behandlungsziel bei einer Vielzahl von Erkrankungen, bei Schmerzen, Entzündungen, Depressionen, Angsterkrankungen oder Krebs. In vielen dieser Gebiete wird Grundlagenforschung betrieben, allerdings fehlt es oftmals noch an Evidenz.

In der bislang größten Metaanalyse zum medizinischen Einsatz konnten 79 Studien mit 6462 Patientinnen und Patienten eingeschlossen werden, eine überschaubare Zahl, so Braus. Es zeigte sich eine moderate Evidenz für die Behandlung von chronischen Schmerzen und bei Spastik. Eine niedrige Evidenz besteht für die Reduktion von Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie sowie bei Gewichtszunahme, Schlafstörungen und Tourette-Syndrom.

Bei allen Anwendungen kam es zu kurzfristigen unerwünschten Wirkungen, darunter Schwindel, Mundtrockenheit, Übelkeit, Desorientierung, Verwirrtheit, Halluzinationen und Gleichgewichtsstörungen.

Auch bei neueren Übersichtsarbeiten, etwa für die Psychiatrie, konnten keine eindeutigen Schlüsse gezogen werden, oftmals auch weil Studien methodisch nicht gut genug waren. Auch die Vielzahl an Medikamenten mit unterschiedlichem THC-Gehalt macht eine Verordnung schwierig.

Fazit für die Neuro-Psychiatrie

Zum Abschluss seines Vortrags fasst Braus zusammen:

  • Eine Legalisierung von Cannabis ist mit einem erhöhten Konsum assoziiert, auch in älteren Generationen

  • Besondere Vorsicht gilt beim Gebrauch bei Heranwachsenden (Angstnetzwerk)

  • Erhöhtes Psychoserisiko

  • Schon geringer Cannabiskonsum im 13.-16. Lebensjahr verbunden mit 3-fach erhöhtem Risiko

  • Intrauteriner Cannabiskonsum kann zu vermindertem Hirnwachstum führen

  • Moderate Evidenz zum Einsatz bei chronischen Schmerzen und Spastik

  • Keine regulären Zulassungsstudien, aber viele Anekdoten. Theoretisch jedoch ein großes Potenzial.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de.

 

Kommentar

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