MEINUNG

Diabetes und Potenzprobleme: Erektile Dysfunktion tritt auch schon nach kurzer Krankheitsdauer auf

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

9. Mai 2022

Dr. Dr. Haifa Maalmi

Mit zunehmendem Alter kann es bei Männern zu erektilen Funktionsstörungen kommen. Diabetes mellitus kann das Risiko für erektile Dysfunktion (ED) zusätzlich erhöhen. In einer Studie an 351 Männern mit neu diagnostiziertem Diabetes mellitus haben Wissenschaftler des Deutschen Diabetes-Zentrums (DDZ) in Düsseldorf nun herausgefunden, dass ED auch bei Männern mit kurzer bekannter Diabetesdauer auftritt und dass die Prävalenz von ED zwischen den Diabetes-Subtypen variiert. Medscape sprach mit der Studienautorin Dr. Dr. Haifa Maalmi über die Studienergebnisse und was sie für die Praxis bedeuten.

Medscape: Erektile Dysfunktion betrifft häufig ältere Männer, die seit vielen Jahren an Diabetes leiden, deren Blutzucker schlecht eingestellt ist oder die zusätzliche Erkrankungen wie Bluthochdruck oder hohe Cholesterinwerte haben. Bei den Männern in Ihrer Studie wurde der Diabetes jedoch neu diagnostiziert. Ist der hohe Anteil an ED überraschend – angesichts der kurzen Dauer der Erkrankung? Und bedeuten die Ergebnisse, dass das Auftreten von ED unabhängig davon ist, wie lange jemand bereits an Diabetes leidet?

Maalmi: Die relativ hohe Prävalenz (23%) der erektilen Dysfunktion, die in unserer Studie bei Männern innerhalb des ersten Jahres nach der Diabetesdiagnose beobachtet wurde, hat uns nicht überrascht.

Erstens liegt eine diabetische Stoffwechsellage oft schon Monate oder Jahre vor der eigentlichen Diagnose vor; und obwohl die Deutsche Diabetes-Studie Personen mit einer bekannten Diabetesdauer von weniger als einem Jahr einschließt, ist die genaue Diabetesdauer unbekannt.

Zweitens entwickeln sich die meisten Diabeteskomplikationen – einschließlich der erektilen Dysfunktion – schon während des Prädiabetes: wenn die Hyperglykämie über dem Normalwert, aber noch unterhalb der Diabetes-Schwellenwerte liegt. Eine frühzeitige Schädigung der Penisarterien könnte sich bereits während der Prädiabetesphase entwickelt haben und kurz nach der Diagnose zu einer ED führen.

Drittens entsprach die in unserer Studie festgestellte ED-Prävalenz der Prävalenz, die in früheren Studien bei Männern mit erst kürzlich aufgetretenem Diabetes festgestellt wurde (20 bis 37%).

In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass die ED-Prävalenz bei neu diagnostiziertem Diabetes wie dem unseren viel niedriger ist als bei Männern mit langer Diabetesdauer (Prävalenz zwischen 35% und 90%). Bedenkt man jedoch, dass unsere Studienteilnehmer relativ jung sind (Durchschnittsalter 49 Jahre), ist eine Prävalenz von 23% immer noch als hoch anzusehen.

Medscape: In die Studie wurden Männer im Alter von 18 bis 69 Jahren einbezogen. Gab es altersbedingte Unterschiede im Schweregrad der erektilen Dysfunktion, d.h. waren ältere Männer häufiger betroffen und – wenn ja – war die ED schwerer?

Maalmi: Ja, es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Alter und einer schlechteren Erektionsfähigkeit (erkennbar an niedrigeren Werten im Internationalen Index für Erektionsstörungen, IIEF). Dieser Zusammenhang ist bekannt und wurde in unserer Studie bestätigt.

Medscape: Was meinen Sie – wird das Ausmaß der erektilen Dysfunktion bei Typ-2-Diabetes generell unterschätzt?

Maalmi: Wir glauben, dass erektile Dysfunktion bei Männern mit Typ-2-Diabetes und Typ-1-Diabetes eher unterschätzt wird. In der klinischen Praxis kann die sexuelle Leistungsfähigkeit als zu persönliche und sensible Information wahrgenommen werden. Daher gehen viele Männer (insbesondere ältere Männer, die sexuell nicht sehr aktiv sind) nicht zum Arzt und bleiben unerkannt.

 
Wir glauben, dass erektile Dysfunktion bei Männern mit Typ-2-Diabetes und Typ-1-Diabetes eher unterschätzt wird. Dr. Dr. Haifa Maalmi
 

In epidemiologischen Studien, in denen ED anhand eines Fragebogens ermittelt wird, empfinden manche Männer Fragen zu ihrer sexuellen Leistungsfähigkeit als sehr intim und ziehen es vor, einige Fragen nicht zu beantworten. Folglich kann der ED-Status bei Teilnehmern mit unvollständigen Angaben zu ihrer erektilen Funktion nicht bestimmt werden.

Medscape: Die Wissenschaft ist sich zunehmend einig, dass es nicht nur Typ-1- und Typ-2-Diabetes gibt, sondern 5 Subtypen:

  • schwerer Autoimmun-Diabetes (SAID); entspricht dem klassischen Typ-1-Diabetes,

  • schwerer Insulinmangel-betonter Diabetes (SIDD),

  • schwerer Insulinresistenz-betonter Diabetes (SIRD),

  • moderater Übergewichtsdiabetes (MOD),

  • moderater Altersdiabetes (MARD).

Spielen diese 5 Subtypen in der medizinischen Praxis schon jetzt eine Rolle?

Maalmi: Die 5 Subtypen sind ziemlich neu (die erste Veröffentlichung dazu ist von 2019) und wurden nur für wissenschaftliche Zwecke verwendet. Bislang ist es noch zu früh, die Diabetes-Subtypen in der klinischen Praxis anzuwenden.

Ein Grund dafür ist, dass der Clustering-Algorithmus sehr anspruchsvoll ist. Ein weiterer Grund ist, dass C-Peptid (das zur Berechnung von HOMA2-B und HOMA2-IR, 2 für die Clusterbildung benötigten Variablen, verwendet wird) keine Routinemessung ist.

Noch wichtiger ist, dass wir noch keine ausreichenden Belege dafür haben, ob eine auf einzelne Diabetes-Subgruppen zugeschnittene Therapie – im Vergleich zu den derzeitigen Leitlinien – von größerem Nutzen wäre. Das subgruppenspezifische Ansprechen auf die Behandlung muss in randomisierten, kontrollierten Studien untersucht werden. 

Medscape: Eine Schlussfolgerung der Studie ist, dass Patienten mit SIRD und SIDD speziell auf erektile Dysfunktion untersucht werden sollten. Bedeutet dies für die Praxis, dass der Arzt Diabetespatienten gezielt nach Erektionsproblemen fragen sollte?

Maalmi: Ja. Weil wir aber diese neue Diabetes-Klassifizierung in der klinischen Praxis noch nicht verwenden können, sollten Männer mit einem Diabetes, der durch Fettleibigkeit und Insulinresistenz charakterisiert ist, und die hohe Nüchterninsulinwerte aufweisen (ähnlich wie die Teilnehmer der SIRD-Subgruppe), und Diabetiker mit starkem Insulinmangel (ähnlich wie die Teilnehmer der SIDD-Subgruppe) ausdrücklich nach ihrer erektilen Funktion gefragt werden.

Medscape: Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Kommentar

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