Viel Salz schadet, doch wo liegt die Grenze? Eine Studienübersicht für die Praxis

Marina Urbanietz, Dr. Nina Mörsch

Interessenkonflikte

9. Mai 2022

Der Effekt von Speisesalz auf die Gesundheit wird immer wieder kontrovers diskutiert. Über Jahre hinweg haben Forscher Studien veröffentlicht, die eine niedrigere Rate an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und an Schlaganfällen mit reduziertem Salzkonsum in Zusammenhang bringen. 

Doch es häufen sich auch Hinweise auf eine weniger schädliche Wirkung des Natriumchlorids bis hin zu einem günstigen Effekt auf die Lebenserwartung (je geringer der Konsum, desto kürzer die Lebenserwartung und umgekehrt – mit Ausnahme eines exzessiven Konsums über 10 Gramm;  BMJ, 2013).

Auch die zunächst viel gelobte und später oft kritisierte PURE-Studie warnte vor zu geringem Salzkonsum, der – genauso wie eine salzreiche Kost – mit einem erhöhten Risiko auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Tod assoziiert war (The Lancet2017, 2018).

Anstieg des Risikos linear oder in Form einer J-Kurve?

Im Fokus der Diskussionen stand somit lange Zeit die Frage, ob der Anstieg des Risikos linear oder basierend auf einer J-Kurve erfolgt, wonach das Risiko in einem unteren Bereich wieder ansteigen würde. Die PURE-Studie schien zunächst die J-Kurve zu bestätigen. Doch auch hier – wie in den meisten epidemiologischen Studien – erfolgte die Sammlung des 24-Stunden-Urins nur 1-mal. Diese Methode ist zwar weniger aufwendig, aber auch fehleranfällig.

Aktuelle Studie mit robustem Design

Genau an diesem Punkt setzt eine aktuelle NEJM-Studie aus den USA an ( NEJM; 2022). Ein Forscherteam der Harvard Universität in Boston hat die Natrium- und Kalium-Konzentration in mehreren 24-Stunden-Urin-Proben (mindestens 2) in Bezug auf das kardiovaskuläre Risiko gesetzt. Zu den erfassten Endpunkten gehörten koronare Revaskularisation, nicht-tödliche/tödliche Herzinfarkte oder Schlaganfälle. 

Dazu nutzen Forscher Daten aus 6 Kohortenstudien, in denen die Natrium- und Kaliumkonzentration in mehreren 24-Stunden-Urinproben bestimmt und die Probanden längere Zeit nachverfolgt worden waren. Insgesamt wurden 10.709 Probanden (mittleres Alter 51 Jahre) in die Studie eingeschlossen. Im Nachbeobachtungszeitraum von im Mittel 8,8 Jahren traten 571 kardiovaskuläre Ereignisse auf. Die mittlere Natriumausscheidung im 24-Stunden-Urin lag bei 3.270 mg (10. bis 90. Perzentile 2.099 bis 4.899 mg).

Eindeutige Ergebnisse

Die Assoziation zwischen hoher Natriumausscheidung bzw. geringer Kaliumausscheidung oder einem höheren Natrium-Kalium-Verhältnis und einem höheren kardiovaskulären Risiko war in dieser Studie eindeutig erkennbar. Sie erwies sich in allen Vergleichen als unabhängig von anderen möglichen Einflussfaktoren; statistische Signifikanz wurde erzielt (p≤0,005).

Probanden im Quartil mit der höchsten Natriumausscheidung hatten im Vergleich zu Probanden im Quartil mit der geringsten Aufnahme ein 60% höheres kardiovaskuläres Risiko. Bei der geringsten Kaliumausscheidung war das Risiko um 69% erhöht – und bei dem höchsten Natrium-Kalium-Verhältnis um 62%. 

Jede Steigerung der täglichen Natriumaufnahme um 1.000 mg ging mit einem 18-prozentigen Anstieg des kardiovaskulären Risikos einher, jede Zunahme der Kaliumausscheidung um 1000 mg mit einem 18-prozentigen Rückgang. 

Der dosisabhängige Zusammenhang zeigte sich in allen Subgruppen – unabhängig von Alter, Geschlecht, Gewicht oder Zeitdauer der Nachbeobachtungszeit. Somit fanden die Forscherinnen und Forscher keinen Hinweis auf eine J-Kurve und konnten den linearen Anstieg des Risikos erneut bestätigen. 

Erhöhte Kaliumzufuhr gegen negative Folgen der Natriumaufnahme 

Chinesische Forscher nahmen sich des Themas ebenfalls an. Ihre Ergebnisse wurden zunächst im August 2021 auf der Jahrestagung der European Society of Cardiology vorgestellt und anschließend im New England Journal of Medicine veröffentlicht ( NEJM, 2021). In der sogenannten „Salt Substitute and Stroke Study“ (SSaSS) ging es um den Einfluss eines Kochsalzersatzes bestehend aus 75% Natriumchlorid und 25% Kaliumchlorid auf Schlaganfälle.

Insgesamt wurden 20.995 Personen in die Studie aufgenommen. Ihr Durchschnittsalter lag bei 65,4 Jahren. 72,6% hatten einen Schlaganfall in der Vorgeschichte und 88,4% einen Bluthochdruck. Die durchschnittliche Dauer der Nachbeobachtung betrug 4,74 Jahre.

Die Schlaganfallrate war im Studienarm mit Salzersatz niedriger als mit normalem Salz (29,14 Ereignisse vs. 33,65 Ereignisse pro 1.000 Personenjahre; Rate Ratio 0,86; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,77-0,96; p=0,006). Deutliche Unterschiede gab es auch bei der Rate der schweren kardiovaskulären Ereignisse (49,09 Ereignisse vs. 56,29 Ereignisse pro 1.000 Personenjahre; Rate Ratio 0,87; 95%-KI 0,80-0,94; p<0,001) und Tod (39,28 Ereignisse vs. 44,61 Ereignisse pro 1.000 Personenjahre; Rate Ratio 0,88; 95%-KI 0,82-0,95; p<0,001).

Allgemeine Todesrate um 12% gesenkt

Der Kochsalzersatz hatte laut Studie 

  • das Schlaganfallrisiko um 14%

  • die Zahl der schweren kardiovaskulären Ereignisse um 13%

  • die allgemeine Todesrate um 12% gesenkt

Die Rate schwerwiegender Hyperkaliämien bem Salzersatz nicht signifikant höher als bei normalem Salz (3,35 Ereignisse gegenüber 3,30 Ereignissen pro 1.000 Personenjahre; Rate Ratio 1,04; 95%-KI 0,80-1,37; p=0,76).

Diese Studie stieß auf großes mediales Echo, weil sie erstmals zeigen konnte, dass eine 25-prozentige Verringerung des Natriumchlorid-Gehalts und ein Ersatz durch Kaliumchlorid zu einem verbesserten klinischen Outcome führt.

Erhöhter Salzkonsum: Kognitive Störungen möglich

Obwohl bisher nur in Tierexperimenten gezeigt, scheint die Assoziation zwischen erhöhtem Salzkonsum und kognitiven Störungen auch bei Menschen wahrscheinlich zu sein.

In diesem Zusammenhang sind 2 Untersuchungen aus den USA erwähnenswert: Eine 2018 in  Nature Neuroscience  publizierte Studie konnte zeigen, dass es bei Mäusen mit einem sehr hohen Salzkonsum (4% oder 8% NaCl in der Nahrung) innerhalb von 8 Wochen zu einer Verringerung des Blutflusses um 20% bis 30% kommt. Die Salzmenge entsprach dem 8- bis 16-Fachen der normalen Salzzufuhr bei der Ernährung von Mäusen und ungefähr dem normalem Salzkonsum bei Menschen in den Industriestaaten.

Die Durchblutungsstörungen gingen mit dem Auftreten von demenzähnlichen Symptomen einher. Mäuse konnten nur schwer Objekte erkennen oder ihr Nest bauen und hatten Orientierungsprobleme in einem Labyrinth. Nach dem Wechsel zur normalen Kost und der Zufuhr von L-Arginin konnte der normale Blutfluss wiederhergestellt werden; die Mäuse erholten sich rasch. Das Forscherteam hatte daher die Vermutung, dass die kognitiven Störungen durch die erhöhte Salzzufuhr nur vorübergehend waren.

Eine 2019 ebenfalls in Nature veröffentlichte und an Mäusen durchgeführte Studie zeigte jedoch, dass der erhöhte Salzkonsum bleibende Schäden im Gehirn hinterließ. In Nervenzellen war es zu einer Hyperphosphorylierung der Tau-Proteine gekommen, was zu einer Störung des Zytoskeletts führte. 

Abschließend lässt sich sagen, dass zu viel Salz auch beim Menschen die Entwicklung einer Demenz fördern könnte. Bisher wurde dieser Effekt jedoch über eine vermittelnde Hypertonie erklärt. Eine direkte Verbindung zwischen einer hohen Salzaufnahme und einer Alzheimer-Demenz oder anderen Tauopathien konnte in epidemiologischen Studien nicht beobachtet werden.

Tipps für die Praxis 

Was die wissenschaftlichen Daten für die Praxis bedeuten, erläutert Anja Tanas, Ökotrophologin und Autorin eines Sachbuchs „Alles über Salz“ (Beltz, 2019). Sie kommentiert die aktuellen Studienergebnisse und erläutert ihre Bedeutung, vor allem auch ihre Umsetzung im Alltag:

„Ich betrachte die Erkenntnisse aus der aktuellen Kohortenstudie des Teams rund um Yuan Ma ( NEJM, 2022) mit großem Interesse, denn der Bedarf an validen Zahlen ist hoch – vor allem wenn man bedenkt, dass weltweit große Reformulierungsprozesse in der Lebensmittelindustrie angelaufen sind, die nur dann von der Politik weiter vorangerieben werden, wenn es solide wissenschaftliche Grundlagen dafür gibt.“ 

WHO-Empfehlung: 5 g pro Tag, DGE-Empfehlung: 6 g pro Tag

Es gibt Kontroversen über den Einfluss des Kochsalzkonsums auf kardiovaskuläre Erkrankungen. Bei der Mehrheit der Fachgesellschaften und Experten herrscht jedoch Konsens, dass zu viel Salz im Essen für einen großen Teil der Bevölkerung ein Risikofaktor für koronare Herzkrankheiten darstellen kann. Die aktuelle Studie kommt zu dem gleichen Ergebnis. Nachweislich reagiert der Körper mit einem starken Anstieg des Blutdrucks, wenn die Natrium-Aufnahme steigt. 

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Salzreduktion schon seit längerem zu einem ihrer wichtigsten Ziele erklärt. Mit täglich maximal 5 Gramm Salz pro Person liegt sie sogar noch 1 g unter der Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Deutschlands Konsumenten verzehren durchschnittlich deutlich mehr Salz. 

Einschränkung des Salzkonsums für viele sehr schwer

Die Einschränkung des Salzkonsums ist für die meisten Menschen ein schwerer Einschnitt in ihre Konsumgewohnheiten. Geht es um den Verzehr von Salz, sollte also der einzelne Patient mit seinen persönlichen Begebenheiten im Blickfeld stehen. Die Salzsensitivität kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Nicht bei jedem sorgt ein verminderter Salzkonsum für einen sinkenden Blutdruck, nicht bei jedem wird der Blutdruck durch Salz im Essen negativ beeinflusst.

Daher liegt eine große Verantwortung bei den behandelnden Spezialisten. Für Patienten mit Bluthochdruck und/oder koronarer Herzkrankheit, bei denen eine Salzsensitivität festgestellt wurde, ist es positiv, wenn durch die Reduktion des Salzkonsums z.B. die Einnahme blutdrucksenkender Medikamente verringert werden kann.

Kaliumreiche Kost

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Kaliumaufnahme. Aus dem ersten Teil des Beitrags wird ersichtlich, dass eine erhöhte Kaliumzufuhr den negativen Folgen der Natriumaufnahme entgegenwirken kann. Auch die DGE unterstreicht, dass eine kaliumreiche Ernährung dabei helfen könne, einen erhöhten Blutdruck zu senken und das Schlaganfallrisiko zu minimieren.

Ziel: Weniger Salz im Essen

Als Reaktion auf dieses globale Problem der nicht übertragbaren Krankheiten wollen bis zum Jahr 2025 alle Mitgliedstaaten der WHO die Salzaufnahme in der Bevölkerung um 30% senken, darunter auch Deutschland: ein ehrgeiziges, aber unbedingt lohnendes Ziel. In vielen Ländern gibt es bereits Aktivitäten zur Salzreduktion im Essen – mal sind es selbstverpflichtende Maßnahmen der Lebensmittelindustrie, mal sind es gesetzliche Vorgaben. Denn: Bis zu 80 Prozent unserer täglichen Salzzufuhr stammen aus verarbeiteten Lebensmitteln. Und eine besondere „Salzfalle“ ist ausgerechnet Brot! Angaben wie „natriumarm“ oder der Nutri-Score auf den Verpackungen sind ein erster, hilfreicher Schritt für die Verbraucher, um vergleichsweise salzärmere Produkte im Supermarkt zu identifizieren.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf  Coliquio.de .

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....