Was tun, wenn ein Patient um Hilfe beim Sterben bittet? Expertin erklärt die ärztliche Verantwortung beim assistierten Suizid

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

6. Mai 2022

Auf Wunsch des Patienten bei einem Suizid zu assistieren, gehört nicht zu den ärztlichen Aufgaben. Menschen in existenziellen Krisen und mit Todeswünschen mit Ernsthaftigkeit und Gesprächsbereitschaft zu begegnen, sei dagegen ganz explizit ärztliche Pflicht, betonte Alexandra Scherg, Ärztin in Weiterbildung in der Klinik für Gastroenterologie, Hämatologie und Onkologie am Evangelischen Krankenhaus Wesel, auf der 128. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) [1].

In einem Urteil vom 26. Februar 2022 stellte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG ) klar, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht „ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben” umfasst. Als Akt autonomer Selbstbestimmung, so das BVerfG, sei das von Staat und Gesellschaft zu akzeptieren. Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, schließe auch die Freiheit ein, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.

Beihilfe zum Suizid ist Ärzten nicht mehr verboten

Das ursprünglich im ärztlichen Standesrecht verankerte Verbot, an einem assistierten Suizid mitzuwirken, wurde aus der Berufsordnung gestrichen. Dies gibt Ärzten in Deutschland die grundsätzliche Möglichkeit, bei einem Suizid zu assistieren – begründet aber natürlich Verpflichtung.

Die BÄK und der Deutsche Ärztetag – zuletzt bestätigt auf dem 124. Deutschen Ärztetag 2021 – vertreten die Auffassung, dass die Mitwirkung des Arztes bei beim Suizid keine ärztliche Aufgabe ist. Dass die Hilfe zur Selbsttötung nicht zur Ausübung des ärztlichen Berufs gehört, bestätigt auch die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin in ihren Empfehlungen zum Umgang mit dem Wunsch nach Suizidassistenz in der Hospizarbeit und Palliativversorgung.

Sollte ein Gesetz den assistierten Suizid standardisieren?

Die Konsequenz aus den neuen Rahmenbedingungen sei, dass „jeder die Hilfe leisten darf, die er leisten möchte, aber keiner verpflichtet ist, es zu tun. Ich bin froh, dass es jetzt dieses Maß an Freiheit gibt“, sagte Scherg, die vor ihrem Medizinstudium als Krankenschwester auf verschiedenen Palliativstationen gearbeitet hat.

 
Jeder [darf] die Hilfe leisten, die er leisten möchte, aber keiner [ist] verpflichtet ist, es zu tun. Alexandra Scherg
 

An aktuellen Bestrebungen, das Thema assistierter Suizid gesetzlich zu regeln, hegt Scherg Zweifel: „Meiner Meinung nach wäre ein Gesetz der absolut falsche Weg. Das würde zu einer Standardisierung des assistierten Suizids führen – und das ist das Gegenteil von Suizidprävention.“ Assistierter Suizid sei kein Thema, das man anhand von Checklisten abarbeiten könne, ergänzte sie. Auch der Weiterentwicklung eines breiten gesellschaftlichen Diskurses stünde eine gesetzlichen Regelung entgegen.

Ein Thema schon für die Ausbildung von Ärzten

Ausgehend davon, dass Gesprächsbereitschaft bei existenziellen Krisen und Todeswünschen ärztliche Pflicht sei, sollte sich die Diskussion der Ärzteschaft nicht auf einem reinen Pro- und Kontra-Niveau bewegen, betonte Scherg. „Die Frage sollte vielmehr lauten: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die notwendige Auseinandersetzung [mit dem Thema] – in mir selbst und mit anderen – geführt werden kann?“

Scherg betonte die Notwendigkeit einer guten Aus- und Weiterbildung im Medizinstudium zu rechtlichen, aber insbesondere auch ethisch-moralischen Fragen. Schon während ihres Medizinstudiums hatte die Ärztin in Weiterbildung sich in der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) für die Implementierung des QB 13 „Palliativmedizin“ eingesetzt.

Selbstreflektion bereits im Medizinstudium erlernen

Dass Verantwortung und Selbstreflektion in der Frage des assistierten Suizids für viele Ärzte ein schwieriges Thema darstellt, sieht Scherg bereits im Medizinstudium angelegt: „Wenn man die Studierenden 6 Jahre darauf sozialisiert von A bis E zu denken, ist es natürlich schwierig, im Anschluss daran eine philosophische Herangehensweise zu erwarten.“

 
Es konnte nämlich gezeigt werden, dass sich die Fähigkeit zur Selbstreflektion … nicht automatisch entwickelt. Prof. Dr. Sigrid Harendza
 

Das Erlernen von Selbstreflektion könnte Teil des Studiums sein, schlug Scherg vor und verwies auf den Leitartikel „Verantwortung übernehmen” von Prof. Dr. Sigrid Harendza: „Sich frühzeitig in der medizinischen Ausbildung mit dem Erlernen von Selbstreflektion zu beschäftigen und diese fest in medizinische Curricula zu integrieren, könnte ein wichtiger Schritt sein, um Studierende mit der Notwendigkeit der Verantwortungsübernahme – für ihr eigenes Lernen und für ihr späteres ärztliches Handeln – vertraut zu machen und diese einzuüben. Es konnte nämlich gezeigt werden, dass sich die Fähigkeit zur Selbstreflektion als wesentliche Grundlage für Verantwortungsübernahme im Medizinstudium nicht automatisch entwickelt.“

Unzureichende Vorbereitung und Überforderung

Viele Ärzte fühlten sich durch Studium und Klinik nicht ausreichend auf den Umgang mit Schwerkranken vorbereitet, so Scherg. Mit schwierigen Entscheidungen am Lebensende, herausfordernden Gesprächen und auch mit einer Positionierung zur eigenen Rolle im Umgang mit Todeswünschen seien sie dann – wenig verwunderlich – überfordert.

„Jeder von uns ist in der Verantwortung, den ärztlichen, aber auch den gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu diesem Thema zu fördern“, ergänzte sie. Nur so könne jeder Einzelne eine Haltung entwickeln, die ihm als Mensch eine Positionierung erlaube.

Suizidprävention muss ausgebaut werden

Scherg betonte, dass Palliativmedizin und Hospizarbeit für Menschen mit lebenslimitierenden Erkrankungen, die häufig eine Ambivalenz zwischen Lebensmut und Todessehnsucht durchlebten, verstärkt werden müssten. Um Menschen ohne lebenslimitierende Erkrankung Alternativen aufzuzeigen, sei zudem ein Ausbau der Suizidprävention erforderlich.

 
Wir müssen uns aber im Klaren darüber sein, dass es trotzdem Menschen geben wird, für die der Weg des Suizids alternativlos erscheint und die auf diesem Weg Hilfe suchen. Alexandra Scherg
 

Für Menschen, die im professionellen Kontext mit dem Thema „Assistierter Suizid“ konfrontiert werden, sprach sie sich darüber hinaus für mehr Angebote zur Aus-, Fort- und Weiterbildung aus. Letztlich sei auch eine bessere gesellschaftliche Aufklärung über Patientenrechte und Möglichkeiten der Sterbebegleitung notwendig.

„Wir müssen uns aber im Klaren darüber sein, dass es trotzdem Menschen geben wird, für die der Weg des Suizids alternativlos erscheint und die auf diesem Weg Hilfe suchen”, sagte Scherg. Deshalb liege es in der Verantwortung jedes Einzelnen, sich seiner Aufgabe als Arzt und Mensch in einer solchen individuellen Situation klar zu werden.
 

Kommentar

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