Die Carotisstenose ist eine Marker-Erkrankung für das gesamte kardiovaskuläre Risiko. Wann sollte eine Diagnostik der extrakraniellen Hirngefäße durchgeführt werden und welche Untersuchungsmethoden zur Graduierung einer Carotisstenose sind dafür erforderlich? Dr. Holger Lawall gibt einen Überblick [1].
Dieser Beitrag basiert auf dem Vortrag „Klug entscheiden: Hirnversorgende Arterien“ von Dr. Holger Lawall, Praxis für Herz-Kreislauf-Erkrankungen Ettlingen Max-Grundig Klinik Bühlerhöhe Angiologie/Diabetologie, auf dem 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (30.04.2022).
Insultrisiko hängt vom Schweregrad der Stenose ab
Laut Lawall werden 15% aller zerebralen Ischämien durch extrakranielle Carotisstenosen verursacht. Hauptrisikofaktor für die Entwicklung einer höhergradigen Carotisstenose ist Nikotinabusus, männliches Geschlecht und höheres Alter.
Bei mindergradigen Stenosen (unter 50%) besteht laut S3-Leitlinie ein Risiko für ipsilaterale neurologische Ereignisse von 0 bis 3,8%. Meist handelt es sich um ein kleines, fokales, passageres, neurologisches Defizit, aus dem keine langfristigen, neurologischen Schäden resultieren. Die Insultrate liegt bei unter 1%.
Ein anderes Bild zeigt sich bei hochgradigen Stenosen (über 70%): Hier ist die Prognose deutlich schlechter, die Schlaganfallrate liegt in Abhängigkeit von vorliegenden Risikofaktoren bei fast 5% pro Jahr.
Unverzügliche Diagnostik bei symptomatischer Carotisstenose
Bei symptomatischen Patienten spricht sich Lawall für eine unverzügliche Diagnostik aus, einschließlich Duplexsonographie, um eine Carotisstenose auszuschließen, gefolgt von weiterer Bildgebung. Bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten sei dies elektiv.
Das Vorgehen bei symptomatischen Patientinnen und Patienten umreißt Lawall so:
Nachweis oder Ausschluss eines Insults über eine parenchymatöse Bildgebung, entweder ein CT oder eine Kernspinuntersuchung des Gehirns
farbcodierte Duplexsonographie
im Falle einer nachgewiesenen Carotisstenose: kontrastmittelverstärkte MR-Angiographie der extra- und intrakraniellen Hirngefäße. Falls dies nicht möglich ist, etwa bei Menschen mit Schrittmacher oder bei anderen vorliegenden Kontraindikationen, CT-Angiographie des Aortenbogens und der extra- und intrakraniellen Hirngefäße
neurologische Untersuchung wird vor und nach jeder invasiven Therapie gefordert – egal ob endovaskulär mittels Stent-Angioplastie oder operativ
Stummer Infarkt nun auch in Leitlinie
Gekennzeichnet ist die symptomatische Carotisstenose durch klassische, fokale, neurologische Defizite. Dazu gehört
retinale Ischämie, z.B. Amaurosis fugax
zerebrale Ischämie mit einseitigen Paresen, Gefühlsstörungen, Aphasie
stumme Infarkte in der Bildgebung (neu in der Leitlinie)
Wie und wann therapieren bei elektiven Patienten?
Bei Menschen mit asymptomatischer hochgradiger Carotisstenose (über 70%) zeigen Daten der mittlerweile abgebrochenen SPACE-2-Studie (n=513 Personen) nach zwölf Monaten im Behandlungsverlauf (Carotis-Endarteriektomie CEA, Carotis-Angioplastie CAS oder Best Medical Therapy BMT) folgendes Risiko für einen ipsilateralen Insult oder Tod:
CEA: 2,5%
CAS: 3%
BMT: 0,9%
Vergleichbare Daten liefert ein großes europaweites Register. Bei über 50.000 Patientinnen und Patienten zeigte sich ein höheres Risiko unter einer invasiven Therapie (CEA oder CAS) im Vergleich zu BMT (HR: 1,25). Lawall appelliert daran, kritisch zu hinterfragen, wie bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten vorgegangen wird.
Kein generelles Screening
Er nennt folgende 3 Punkte bei der Entscheidung, ob asymptomatische Patientinnen und Patienten eine Diagnostik erhalten sollten:
kein allgemeines Screening
sinnvoll bei vaskulären Risikofaktoren bzw. vaskulären Risikopatienten
Menschen mit bekannter Carotisstenose sollten in 6- bis 12-monatigen Abständen kontrolliert werden, um eine Rezidiv-Stenose oder eine Progression nicht zu übersehen
Hauptrisikogruppen für Schlaganfälle
Tabelle: Einfluss klinischer und morphologischer Variablen auf das Schlaganfallrisiko bei asymptomatischen Carotisstenosen (60-99%) |
|
Variablen |
ARR/RR |
Männer > 75 Jahre |
ARR 6,5 % in 5 J. |
kontralateraler Insult/TIA |
RR 3,0 (1,9;4,73) |
stummer Infarkt im CCT |
HR 3,0 (1,46;6,29) |
Stenosegrad 50-69 vs. 70-99% |
1,6% vs. 2,4%/Jahr absolutes Risiko |
Progression um mind. 10 % |
RR 1,92 (1,14;3,25) |
echoleere vs. echoreiche Plaque (DUS) |
RR 2,61 (1,47 ;4,36) |
Plaqueeinblutung (MRT) |
HR 3,66 (2,7;4,95) |
spontane Mikroembolisation (transkranielle Doppler-Untersuchung, TCD) |
OR 6,63 (2,85;15,44) |
sontane Mikroembolisation und echarme Plaques |
OR 10,6 (2,98; 37,8) |
Als Rationale für ein Screening bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten nennt Lawall außerdem kardiochirurgische Eingriffe bei Menschen, die in der Anamnese schon eine TIA oder einen Insult erlitten haben, und/oder bei denen eine Hauptstenose vorliegt. Außerdem betroffen sind Menschen mit abdominellem Aortenaneurysma.
Welche Diagnostik soll durchgeführt werden?
farbkodierte Duplexsonographie (die Graduierung der Carotisstenose erfolgt analog den NASCET-Kriterien)
MR-Angiographie, ggf. CT-Angiographie
neurologische Untersuchung
parenchymatöse Schnittbildung wird bei allen symptomatischen Patientinnen und Patienten gefordert
Screening auf kardiovaskuläre Risikofaktoren (Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörung), die dann auch entsprechend behandelt werden sollten
Screening auf koronare Herzkrankheit (KHK) und periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK)
Therapie der vaskulären Risikofaktoren/Komorbidität
Der Beitrag ist im Original erschienen auf Coliquio.de.
Credits:
Photographer: © Vasily Kaleda
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Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Klug entscheiden bei der Diagnostik hirnversorgender Arterien: Wer sollte untersucht werden – und mit welcher Methode? - Medscape - 4. Mai 2022.
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