Wie die Digitalisierung in der Medizin die Kommunikation zwischen Arzt und Patient verändert und womöglich mehr Zeit für das Arzt-Patienten-Gespräch verschafft – das machte Prof. Dr. Christoph Schöbel, Leiter des Zentrums für Schlaf- und Telemedizin am Universitätsklinikum Essen, auf der 128. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) deutlich [1].
Weil „niemand nicht kommunizieren kann und wir immer kommunizieren – verbal und nonverbal“, müsse man sich damit auseinandersetzen, wie sich Kommunikation durch die Digitalisierung verändert und vor allem auch verbessern lässt. Auf der DGIM-Tagung sammelten Ärzte einige wichtige Tipps für ein künftig hybrides Arzt-Patienten-Verhältnis.
Wichtig sei, sich klarzumachen, wo die Grenzen der digitalen Kommunikation in der Medizin verlaufen. Der Kontext spielt dabei eine wichtige Rolle:
Ist es ein Erstkontakt? Kenne ich den Patienten bereits?
Handelt es sich um Verlaufsuntersuchungen, soll ein Befund besprochen oder nur ein Termin vereinbart werden?
Schöbel betonte, dass die digitalen Kompetenzen nicht nur auf der ärztlichen Seite, sondern auch auf der Patientenseite gestärkt werden müssten. Er warb ausdrücklich dafür, speziell ältere Patienten einzubinden und ihre Selbstwirksamkeit zu stärken: „Einen Videochat mit dem Enkel – das bewältigen auch viele unserer hochbetagten Patienten.“
Patientenkontakt auf Augenhöhe wird immer wichtiger
Aus Videokonferenzen wisse man, dass die Beratungsanlässe kürzer sind und dass man Dinge viel fokussierter besprechen könne. „Man braucht dazu aber eine gute Struktur des Gesprächs, der Patient muss darüber aufgeklärt sein, und beide Seiten sollten sich der Grenzen der digitalen Kommunikation bewusst sein“, so Schöbel.
Das heißt: Für bestimmte Untersuchungen muss der Patient in die Praxis kommen. Manchmal kann das auch notwendig sein, um Patienten unnötige Ängste zu nehmen: „Wir werden es zunehmend mit informierten Patienten zu tun bekommen. Die stellen sich womöglich auf eine schwierige Diagnose ein, weil sie irgendwelche Symptome gegoogelt haben. Da ist dann unsere menschliche Komponente wieder gefordert: Wir müssen aufklären“, sagte Schöbel.
Auch digitale Anwendungen wie eine Smart Watch, deren Daten zur weiteren Diagnostik nützlich sind, können zusätzlichen Gesprächsbedarf auslösen. Die Tracker – vorausgesetzt, sie sind als Medizinprodukt zertifiziert – sind wichtig für die Früherkennung. Bald kann damit der nächtliche Sauerstoffabfall gemessen werden, der auf eine Schlafapnoe hinweise. „Das kann uns dabei helfen, die große Dunkelziffer dieser Patienten besser zu erfassen als bisher“, so Schöbel.
Erste Smart-Watch-Sprechstunde
Am Universitätsklinikum Essen haben Schöbel und seine Kollegen jetzt die erste Smart-Watch-Sprechstunde im Bereich der Schlafmedizin in Deutschland gegründet. „Wir haben gesehen, dass viele Patienten mit ihren Trackern kommen und sagen: Ich habe ein Schlafproblem.“
Frage man dann nach Ein- oder Durchschlafstörungen, Tagesmüdigkeit und Ähnlichem, antworteten die Patienten, dass die Watch anzeige, dass sie zu wenig Tiefschlaf bekämen. Zu wenig Tiefschlaf aber erhöhe das Risiko für Depressionen und frühzeitigen Tod. „Durch Geräte wie die Smart Watch werden zum Teil auch Ängste geweckt, die man in einem einfachen Patientengespräch auch wieder entkräften kann“, erklärte Schöbel.
„Patientenversorgung funktioniert deutlich besser, wenn das auf Augenhöhe geschieht, wenn wir ein partnerschaftliches Verhältnis haben – und dies funktioniert nur, wenn der Patient sach- und fachgerecht informiert wird“, betonte Schöbel.
Der Patient müsse mit an Bord sein, denn auch digitale Therapeutika und digitale Gesundheitsanwendungen könnten nur von Patienten angewendet werden, „die auch verstehen, was sie machen und warum sie das machen“.
Digitalisierung könnte Ressourcen fürs Gespräch frei machen
Digitalisierung kann womöglich auch Ressourcen für die Arzt-Patienten-Interaktion frei machen: „Zeit, die wir zuvor nicht hatten, weil wir vielleicht nebenbei in den PC geschaut und die Akte befüllt haben, ohne dem Patienten in die Augen zu schauen“, so Schöbel.
Die Konsultationszeiten sind extrem kurz. „Vielleicht können hier digitale Tools helfen, die Konsultation wieder auf eine menschlichere Ebene zurückzuführen, den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen“, sagte Schöbel. Dazu benötige es eine integrierte Versorgung.
Laut Gesundheitsökonom Reinhard Busse finden in Deutschland täglich 3 Millionen Arztkontakte in der ambulanten Versorgung statt – die meisten davon seien überflüssig. Möglicherweise ließe sich mit einer kontinuierlichen digitalen Überwachung einiges vorab klären, meinte Schöbel. So könnten Potenziale und Gelder für die Patientenversorgung frei werden.
Noch ist es aber nicht so, dass sich der Patient demnächst mit einem Tablet ins digitale Wartezimmer einloggt, dort erst mal den Symptom-Checker durchgeht und die Daten aus Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) an den Arzt überspielt. Schöbel rät, mit der Einrichtung der Videosprechstunde zu beginnen, zu prüfen, ob das für die Praxis und die Patienten geeignet sei, „und auch, ob die Patienten offen für dieses Angebot sind“.
Gesucht: Facharzt für digitale Medizin
„Die Digitalisierung in der Medizin hat das Potenzial, die medizinische Versorgung zu revolutionieren“, sagte Prof. Dr. Georg Ertl, Generalsekretär der DGIM. Eine erfolgreiche Umsetzung kann aus seiner Sicht nur gelingen, wenn Ärzte am digitalen Wandel auf allen Ebenen aktiv beteiligt sind. Zur Bewältigung dieser Herausforderung braucht es Ertls Einschätzung nach eine Facharztweiterbildung für digitale Medizin.
Deutschland hinkt in der Digitalisierung seit Jahren hinterher. „Fallen wir noch weiter zurück, dann verlieren wir den Anschluss an eine zeitgemäße, an der Wissenschaftlichkeit und an den Erfordernissen der guten Patientenversorgung orientierten modernen Medizin“, mahnte Ertl.
Die fachlichen Voraussetzungen dazu sind anspruchsvoll: Dazu gehören nicht nur Videosprechstunden, das Ausstellen von eRezepten oder die Nutzung von DiGA-Daten. Auch die IT-Sicherheit in Klinik und Praxis, das Implementieren von Krankenhausinformationssystemen oder das Programmieren bzw. Verstehen von Algorithmen, die Patientendaten auswerten und Therapievorschläge machen, gehören dazu.
Mit der Verständigung zwischen Technik und Medizin aber hapert es, berichtete Ertl von seinen Erfahrungen als Ärztlicher Direktor: „Es war extrem schwierig, die Kommunikation zwischen unserem Informatiker und den Medizinern herzustellen. Wir brauchen deshalb Ärzte, die das machen und die das können“, sagte Ertl, der Teil der Kommission Digitale Transformation in der Inneren Medizin (DTIM) ist.
Für den digitalen Wandel werden Ärzte mit vertieften Informatikkenntnissen gebraucht, ein „Learning by Doing“ reiche in Anbetracht der komplexen Herausforderungen nicht aus.
Kommunikatoren zwischen Medizin und Informatik fehlen
In den Kliniken und Praxen fehlten Kommunikatoren zwischen Medizin und Informatik. „Medizininformatik muss deshalb Teil des Medizinstudiums werden, das muss ein Fach sein wie die Chemie und die Biochemie“, so Ertl. Beide sind – wie auch die Physik – wichtige Hilfswissenschaften der Medizin, im Medizinstudium fest verankert und haben die fachärztliche Weiterbildungsordnung für Radiologie, Nuklearmedizin oder Labormedizin entscheidend geprägt.
Aus der Medizin sind die Errungenschaften der Informatik nicht mehr wegzudenken, stellte Ertl klar. Big Data, künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen (machine learning) sind die neuen Methoden, mit denen der Arzt umgehen, die er für seine Patienten nutzen muss. Die Zukunft der personalisierten Medizin hänge davon ebenso ab, wie die Entwicklung diagnostischer und telemedizinischer Verfahren und die Möglichkeit, das Smartphone zum Gesundheitsmonitoring noch stärker als bislang einzubinden.
Bis dato ist die Medizininformatik eine spezielle Ausbildung für Informatiker. Die aber tun sich schwer damit, die Bedürfnisse des Arztes abzubilden: Elektronische Patientenakten und Krankenhausinformationssysteme, die nicht von Ärzten (mit-)entwickelt wurden, treffen auf eine geringere Akzeptanz in der Ärzteschaft.
Ein erster Weg innerhalb der Medizin sei deshalb die Zusatz-Weiterbildung Medizinische Informatik, allerdings finde die Weiterbildung überwiegend in Kursen und Seminaren statt, so Ertl. Eine Übersicht findet man bei der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS).
Es fehlt an Weiterbildungsstätten für die Zusatz-Weiterbildung, eine Aufgabe, die am ehesten noch Universitätskliniken mit ihrem Zugang zur Medizininformatik leisten könnten, so Ertl. Die Medizin steht vor einem Kulturwandel: „Viele Arbeits-Konzepte aus Industrie, Wirtschaft und dem IT-Sektor werden mehr und mehr auch das Gesundheitswesen prägen“, sagte Ertl. In Zukunft wird deshalb womöglich ein Facharzt für digitale Medizin gebraucht.
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Diesen Artikel so zitieren: Haben Sie schon eine Smart-Watch-Sprechstunde? Internisten erklären, wie Kommunikation mit Patienten hybrid funktionieren kann - Medscape - 4. Mai 2022.
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