Die Behandlung von Kleinkindern mit Antibiotika könnte mit einem geringeren Infektionsschutz durch Impfungen assoziiert sein. Zu dieser Schlussfolgerung kommen US-amerikanische Forschende, die die impfinduzierte Antikörperantwort von 560 Kindern im Alter von 6 bis 24 Lebensmonaten untersucht und mit erfolgten Antibiotika-Behandlungen in Zusammenhang gesetzt haben.
„Den meisten Kindern werden in den ersten beiden Lebensjahren, in denen sie Impfungen erhalten und sich dadurch eine Immunität entwickelt, oft auch Antibiotika verordnet“, schreiben Dr. Timothy Chapman vom Center for Infectious Diseases and Immunology am Rochester General Hospital Research Institute, Rochester, und seine Kollegen in Pediatrics[1].
Antikörperantworten unterhalb des Schutzniveaus
„Die bei den Kindern mit Antibiotika-Gaben zwischen dem 9. und 24. Lebensmonat gemessenen Antikörpertiter liegen unter den Konzentrationen, die generell für einen Immunschutz als relevant angesehen werden. Damit hätten sie ein erhöhtes Risiko, an Infektionen zu erkranken, die durch die Erreger, gegen die geimpft wurde, ausgelöst werden“, kommentiert Prof. Dr. Ulrich Schaible, Direktor des Programmbereichs Infektionen am Forschungszentrum Borstel – Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften.
In ihrer Publikation erklären Chapman und seine Koautoren, dass die prospektiv aufgenommene Kohorte von Kindern zunächst auf akute Atemwegsinfektionen, einschließlich akuter Otitis media, untersucht wurden. Retrospektiv seien dann Blutproben ausgewertet worden, die im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen im Alter von 6, 9, 12, 15, 18 und 24 Monaten sowie bei Auftreten einer akuten Otitis media entnommen wurden.
Analyse der typischen Kinderimpfungen
Analysierte wurden die Antikörperantworten gegen 10 Antigene aus 4 Impfstoffen, die Kindern in diesem Alter gegeben werden:
die Impfung gegen Diphtherie-Tetanus-Keuchhusten (DTaP),
das inaktivierte Polio-Vakzin (IPV),
die Impfung gegen Haemophilus influenzae Typ b (Hib) und
das Pneumokokken-Konjugatvakzin (PCV).
Diese Messwerte glichen die Forschenden mit Daten aus den Krankenakten der Kinder ab und befragten außerdem die Eltern zu Krankheiten und Antibiotika-Verordnungen.
Es zeigte sich, dass von den insgesamt 560 untersuchten Kindern 342 innerhalb der ersten 24 Lebensmonate Antibiotika erhalten hatten. Die am häufigsten verschriebenen Antibiotika waren:
Amoxicillin,
Cefdinir,
Amoxicillin/Clavulansäure und
Ceftriaxon.
218 Kinder waren nicht mit Antibiotika behandelt worden und dienten als Kontrollgruppe.
Mit jeder Antibiotika-Gabe sinken die Antikörper
Die Forschungsgruppe konnte beobachten, dass die Antikörpertiter bei Kindern, die mit Antibiotika behandelt worden waren, im Schnitt geringer waren als bei Kindern ohne Antibiotika-Behandlung. Besonders häufig lagen die Antikörpertiter unter dem Schutzniveau, wenn die Kinder im Alter zwischen 9 und 12 Lebensmonaten eine Antibiotika-Behandlung erhalten hatten. Dies galt insbesondere für die Antikörperantworten auf die DTaP-Antigene DT, TT und PT sowie auf den PCV-Serotyp 14.
Auch wiederholte Antibiotika-Anwendungen wirkten sich verstärkend negativ auf die Antikörperwerte aus. Mit jeder Antibiotika-Behandlung sanken die Antikörpertiter:
auf DTaP-Antigene um 5,8%,
auf Hib-Antigene um 6,8%,
auf IPV-Antigene um 11,3% und
auf PCV-Antigene um 10,4%.
Reduzierte Immunantwort auch nach Auffrischungsimpfungen
„Um herauszufinden, ob eine Auffrischungsimpfung diese Assoziation verändert, führten wir eine weitere Analyse durch, die Antibiotika-Verschreibungen bis zu einem Alter von 15 Monaten umfasste“, berichten Chapman und seine Kollegen.
Auch bei den Auffrischungsimpfungen war zu beobachten, dass die Antikörperantworten bei den Kindern mit Antibiotika-Behandlung reduziert ausfiel: Die entsprechenden Antikörpertiter nach Auffrischungsimpfung waren:
für DTaP reduziert um 18,1%,
für Hib um 21,3%,
für IPV um 18,9% und
für PCV um 12,2%.
Das Darmmikrobiom könnte verantwortlich sein
Dass die Einnahme von Antibiotika die Wirkung von Schutzimpfungen verringern könnte, ist bereits beschrieben worden, wird in dieser Studie allerdings erstmalig bei Kleinkindern gezeigt. Es wird vermutet, dass Effekte auf das Darmmikrobiom eine Rolle spielen.
„Antibiotika-Gaben bei kleinen Kindern können das Mikrobiom insofern verändern, dass die Diversität der vorhanden Bakterienarten zurückgeht – sogar für längere Zeit, vor allem nach langer Antibiotika-Gabe“, erklärt Schaible. Dies führe zu einer Dysbiose, von der in Modellstudien in Mäusen gezeigt wurde, dass sie zu einer höheren Empfänglichkeit für Infektionen führen kann, aber auch zu höheren Entzündungswerten, die das Immunsystem negativ beeinflussen können.
Gewisse Unterschiede zwischen Antibiotika
Interessant ist Schaible zufolge, dass Amoxicillin alleine keinen Effekt hatte, anders als Amoxicillin in Kombination mit Clavulansäure. „Unter allen gemessenen Impfantigenen war Amoxicillin im Vergleich zu keiner Antibiotikagabe nicht signifikant mit Antikörpertitern unter dem Schutzniveau assoziiert“, heißt es in dem Paper.
Der Anteil an Kindern mit einem entsprechend niedrigen Schutzniveau lag bei 16,4 % mit Amoxicillin versus 13,5% ohne Antibiotikagabe (p=0,22).
Bei einer Behandlung mit Amoxicillin/Clavulansäure war dagegen ein Anteil von 19,8% ohne ausreichende Antikörperantwort (0R 1,58; p<0,001 versus keine Antibiotika-Gabe).
„Clavulansäure ist ein Inhibitor der Beta-Laktamase, die Beta-Laktam-Antibiotika wie Amoxicillin, Ceftriaxone und Cefdinir spaltet“, erklärt Schaible.
Es sind kürzere Behandlungsschemata erforderlich
Allerdings hatte die Kombination aus Amoxicillin und Clavulansäure nach 5 Tagen einen geringeren Effekt auf die Antikörperproduktion als nach einer Gabe für 10 Tage. „Kürzer Antibiotika zu geben, scheint besser zu sein“, leitet Schaible daraus ab.
„Es müssten kürzere Behandlungsschemata entwickelt werden, die auch schon in der kurzen Zeit wirksam sein können, ebenso wie Point-of-care-Diagnostika, die zeitnah die Antibiotikawirksamkeit anzeigen können, sodass die Gabe verkürzt werden kann“, so Schaible.
Der Effekt von Probiotika sollte getestet werden
Eine weitere Möglichkeit, die Wirkung der Antibiotika auf das Immunsystem auszugleichen, könnten Probiotika sein: „Durch die Gabe von Probiotika – also Bakterien, welche für die Darmflora förderlich sind oder sein könnten – wird versucht, die Erholung der Darmflora positiv zu beeinflussen“, sagte Dr. Claudius Meyer, Leiter der Arbeitsgruppe Pädiatrische Immunologie am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsmedizin Mainz. „In der vorliegenden Studie war die Gabe von Probiotika kein Thema, könnte aber eine unterstützende Maßnahme für eine erfolgreiche Immunantwort sein.“
Antibiotika-Einsatz auf das Nötigste beschränken
Die vorgelegte Studie zeige die problematischen Nebenwirkungen von Antibiotika auf, so der Mainzer Immunologe. „Nicht nur die Resistenzentwicklung bei Antibiotika-Gabe, sondern auch die physiologischen Effekte müssen uns zu einem sorgfältigen, auf das Nötigste beschränkten Einsatz von Antibiotika im Kindesalter auffordern.“
Auch für Schaible ist ein möglicher schützender Effekt von Probiotika eine Hypothese, die getestet werden sollte. Allerdings, ergänzt er, „könnte eine Konsequenz der Studie auch sein, Impfungen während der Antibiotika-Gabe auszusetzen und nach Therapieende nachzuholen.“
Möglicherweise sind weitere Impfungen erforderlich
Meyer erinnert zudem daran, dass „Antikörper nur ein Teil der immunologischen Antwort auf einen Impfstoff sind“. Es sei davon auszugehen, dass auch die T-Zell-vermittelte Immunität induziert wird und einen gewissen Schutz vor Infektionen biete.
Es ist außerdem denkbar, dass ein verminderter Immunschutz durch eine weitere Impfung ausgeglichen werden könnte. Das lasse sich auf Grundlage dieser Studie allerdings noch nicht sagen, betonte Meyer. „Möglicherweise wäre eine Nachkontrolle zum 3. oder 5. Lebensjahr hilfreich, um den Bedarf nach einem Booster zu erkennen. In einigen Ländern werden einige der betrachteten Impfstoffe ohnehin im Laufe der Kindheit aufgefrischt. Ob dann nach einer Auffrischimpfung die Kinder mit Antibiotika-Gabe noch von der Kontrollgruppe zu unterscheiden wären, kann nur eine Nachfolgestudie mit den gleichen Kindern zeigen.“
Credits:
Lead Image: Olga Simonova/Dreamstime.com
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Diesen Artikel so zitieren: Schlechter Impfschutz bei Kleinkindern nach Antibiotika-Gabe beobachtet – sollte man dann nachimpfen? - Medscape - 2. Mai 2022.
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