Augapfel-Tattoos: Welche schwerwiegenden Folgen bei dieser „Bodymodification“ drohen

Dr. med. Thomas Kron

Interessenkonflikte

29. April 2022

Wer ernsthaft glaubt, Menschen seien vernunftbegabte Wesen und in der Regel tatsächlich vernünftig, kann geradezu täglich Erfahrungen machen, die diesen Glauben als Irrglauben entlarven. Nur ein Hinweis darauf, dass Menschen eine erhebliche Schwäche für Unvernünftiges haben, ist einer der neueren Trends der „Bodymodification“-Szene: und zwar Eyeball tattoos, d.h. episklerale Tätowierungen. 

Rechtsmediziner der Universitäten des Saarlands und der Main-Metropole Frankfurt machen in einem aktuellen Zeitschriften-Beitrag unter anderem auf einige Gefahren dieser extremen Art der Tätowierung hin, die zwar noch sehr selten sei, aber stetig zunehme.

Bei der episkleralen Tätowierung wird, wie die Rechtsmediziner um PD Frank Ramsthaler, Universität des Saarlands, erklären, eine beliebige, überwiegend jedoch schwarze Tattoo-Farbe mit einer feinen Kanüle unter die Bindehaut appliziert, wodurch die Sklera flächenhaft eingefärbt wird.

Eine Möglichkeit, diese Farbe im Auge wieder zu entfernen, gibt es bislang nicht. In den letzten Jahren ist den Autoren zufolge in der medizinischen Fachliteratur eine Zunahme von Fallberichten zu möglichen Komplikationen dieser Prozedur zu beobachten, die von medizinisch ungeschultem Personal und ohne Operationsmikroskop vorgenommen werde. 

Zahlreiche Fallberichte

So wurde laut Ramsthaler und seinen Mitautoren 2015 der Fall eines 43 Jahre alten Mannes   beschrieben, der sich 7 Wochen vor Erstvorstellung bei einem Augenarzt bzw. einer Augenärztin die Skleren habe rot einfärben lassen. Über mindestens 6 Monate habe der Mann persistierende asymptomatische, knotige Bindehautschwellungen gehabt, berichten die Autoren der Fallgeschichte. Bis auf ein Abblassen des Farbstoffes seien keine weiteren Auffälligkeiten verzeichnet worden. 

2017 seien 2 Fallberichte über lokale entzündliche Komplikationen wie Orbitaphlegmone veröffentlicht worden, die auf systemische Antibiotika- bzw. Steroidtherapie günstig reagiert hätten.

Als mögliche Komplikationen beschrieben worden seien außerdem Überempfindlichkeitsreaktionen gegen das injizierte Pigment mit Irritation der Augenoberfläche, Epiphora und Chemosis sowie unkomplizierte subkonjunktivale Blutungen. 

Außer einer unkomplizierten anterioren Uveitis ohne perforierendes Trauma oder Skleralazerationen mit okulärer Hypotonie könnten, wie die Rechtsmediziner weiter berichten, nach Perforation mit intraokulärer Farbstoffinjektion sowohl symptomärmere Entzündungsreaktionen als auch komplizierte Verläufe auftreten. Korneosklerale Perforationen seien hierbei mögliche Ursachen für Skleromalazie, traumatische Kataraktentwicklung, Uveitis und sogar Hornhauteinschmelzungen mit der Notwendigkeit zur perforierenden Hornhauttransplantation. 

Laut einem 2018 erschienen Fallbericht entwickelte eine 21-jährige Patientin nach einer episkleralen Tätowierung ein sekundäres Glaukom, kombiniert mit Uveitis und vorzeitigem Katarakt. Einen ähnlichen Fall   schilderten Augenärzte bei einer 25-jährigen Frau. 

Darüber hinaus gebe es einen Fallbericht über eine perforierende Verletzung mit intraokulärer Pigmentinjektion sowie resultierender Panuveitis und Netzhautablösung nach dem Versuch einer episkleralen Tätowierung bei einem 49-jährigen Mann. 

Als gravierendste Komplikation ist laut Ramsthaler und seinen Kollegen sicherlich die Endophthalmitis nach Perforationsverletzung während der Tätowierung zu nennen. So sei es bei einem 41-jährigen Patienten nach versehentlicher intraokulärer Farbstoffinjektion zur akuten Augeninnendruckentgleisung und trotz operativer Versorgung zur verzögerten fibrinösen Endzündung bei möglicher Endophthalmitis gekommen. Dies habe zur Hornhautdekompensation und späterer Linsenluxation mit Notwendigkeit zu Lensektomie und Sekundärlinsenimplantation geführt. 

In einem weiteren Fall sei eine Endophthalmitis mit begleitender Netzhautablösung, Nekrose sowie sekundärer Uveitis anterior nach operativer Sanierung berichtet worden. Derartige Endophthalmitiden könnten insbesondere bei verzögerter ophthalmochirurgischer Behandlung eine dramatische Schädigung des Auges mit Visusverlust sowie schmerzhafter Phtisis und Notwendigkeit zur Enukleation bedingen, warnen die Rechtsmediziner. 

Solche negative Erfahrungen und gesundheitliche Probleme im Zusammenhang mit Augapfel-Tätowierungen spielten in den sozialen Medien der Fangruppen jedoch keine große Rolle oder würden unrealistisch kleingeredet, auch wenn warnende Einzeleinträge nicht gänzlich fehlten. Kritisch diskutiert würden „in diesen Kommunikationsräumen“ vor allem ästhetische Aspekte.

Häufigkeit von Nebenwirkungen unbekannt

Wie häufig Komplikationen sind, ist unklar: Exakte Zahlen über die Komplikationsrate fehlten - unter anderem deshalb, weil es sich um eine noch seltene Bodymodification handelt.

In einer Publikation vom Januar 2021 hätten die Autoren 14 bekannte Fälle mit medizinischem Behandlungsbedarf weltweit aufgelistet und 2 eigene Fallberichte hinzugefügt, berichten die Forensiker weiter.

Eine seriöse Schätzung der tatsächlichen Komplikationsrate dieser Form der Bodymodification anhand von Fallberichten sei nicht möglich. Zum einen würden in Fallberichten nur besonders ausgeprägte Fälle vorgestellt, zum anderen sei die Grundgesamtheit der Personen mit gefärbten Skleren unbekannt.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf  Univadis.de .

 

Kommentar

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