Anders als erhofft, war die neue Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) zu Ostern noch nicht in trocknen Tüchern. Nach Angaben des Verbandes der Privaten Krankenversicherungen (PKV) seien die Preisverhandlungen zu einigen Komplexleistungen und einigen Einzelziffern noch nicht abgeschlossen. Nun ist der 126. Ärztetag Ende Mai 2022 das nächste Datum, vor dem das fertige Konvolut dem Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) präsentiert werden soll. Das bestätigte die Bundesärztekammer (BÄK).
Für den Fall, dass Lauterbach die neue GOÄ nicht per Verordnung ins Werk setzen würde, kündigte BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt auf dem digitalen Fachärztetag des Spitzenverbandes der Fachärzte (SpiFa) Mitte April einen „Plan B“ an, „der die Kampagnenfähigkeit der Ärzteschaft auf die Probe stellen würde“.
Er werde Lauterbach zunächst aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die neue GOÄ ansprechen, erklärte Reinhardt. „Es ist jetzt Zeit, die neue GOÄ muss jetzt angegangen werden!“, forderte der Ärztepräsident.
Sein letztes Gespräch mit dem Minister habe allerdings ergeben, dass Lauterbach dem Thema „derzeit keine Priorität“ einräume. Von Reformen des Krankenversicherungssystems nehme er zudem offenbar Abstand. Gemeint sind Lauterbachs Überlegungen zur Bürgerversicherung, mit denen er im Wahlkampf angetreten war. Vor diesem Hintergrund sei noch nicht ganz klar, ob er die GOÄ-Reform überhaupt angehen wolle, so Reinhardt.
Aber für ihn ist eine neue GOÄ auch dann sinnvoll, wenn es zukünftig eine Bürgerversicherung geben sollte. Denn es dauere mindestens 16 Jahre, bis eine Bürgerversicherung eingeführt wäre, so Reinhardt. „Für diese Zeit brauchen wir unbedingt die neue GOÄ. Wir können auf keinen Fall die derzeitige, veraltete GOÄ weiterführen!“
„Abwarten“ ist die Devise beim BMG
Das Bundesgesundheitsministerium (BGM) indessen schweigt sich derzeit zum Thema aus. „Die Bundesärztekammer hat angekündigt, vor dem nächsten Ärztetag im Mai einen Vorschlag für eine umfangreiche GOÄ-Novelle vorzulegen“, so das BMG auf Anfrage. „Dies bleibt zunächst abzuwarten.“
Energisch verteidigte Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des SpiFa, die neue GOÄ. „Wir brauchen die neue GOÄ auf jeden Fall, egal, ob eine Bürgerversicherung kommt oder nicht“, so Heinrich. Schließlich würden zum Beispiel auch ausländische Patienten in deutschen Praxen versorgt werden wollen. Dies sei nur mit einer modernen, angepassten GOÄ möglich.
Die Gebührenordnung sei ein Zeichen des freien Berufes, den die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte ausüben, betonte Heinrich. „Das heißt, wer an der GOÄ sägt, sägt am Arztberuf!“ Die Gebührenordnung sei der einzige Katalog, der die Leistungsfähigkeit der Ärzte adäquat abbilde, selbst dann, wenn die privaten Krankenversicherer die Leistung nicht erstatteten.
Der EBM ist nur ein „abgespeckter Rabatt-Leistungskatalog“
Anders der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM). Er sei ein „abgespeckter Rabatt-Leistungskatalog, den die Ärzteschaft den Kassen zugestanden haben, damit sie Zugang zu den Kassenpatienten erhalten“, so Heinrich. Aber eine Gebührenordnung, die das Leistungsvermögen der Ärzte abbildet, sei der EBM nicht. Er könne sich keinen Grund vorstellen, dass die neue GOÄ nicht kommt, so Heinrich.
Das sieht auch BÄK-Präsident Reinhardt so. Der EBM sei viel zu kompliziert und arbeite mit viel zu viel Pauschalisierungen, um mit der GOÄ verglichen werden zu können, sagte der Ärztepräsident.
Allerdings bekommen die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte eine Menge zu pauken, ist der neue Leistungskatalog erst da. Das betonte Dr. Michael Klinger, Vize des Verbandes der privatärztlichen Verrechnungsstellen e.V. (PVS). Der neue Leistungskatalog ist deutlich größer als der alte, und durch die neue Systematik müssen die Ärzte viele Ziffern neu lernen.
So verzichte die Neufassung auf die Steigerungen und arbeite stattdessen mit vielen Zuschlägen. „Da gibt es kaum noch Spielraum“, sagte Klinger, „aber dafür sind alle Ziffern betriebswirtschaftlich kalkuliert. Das heißt: Unterm Strich gibt es adäquates Geld für die Arbeit.“
Plan B der Ärzteschaft
Doch was ist zu tun, wenn Lauterbach und sein Haus keine Verordnung für die neue GOÄ auf den Weg bringen? Ärztepräsident Reinhardt brachte in der Diskussionsrunde auf dem Fachärztetag seinen „Plan B“ ins Spiel, der die Kampagnenfähigkeit der Ärzteschaft auf die Probe stellen würde.
Falsch wäre es, wenn sie zum Beispiel geschlossen die Steigerungssätze erhöhen würde. Denn Steigerungen ergeben sich immer nur aus den Behandlungssituationen. Nun die Steigerungssätze pauschal zu erhöhen, wäre „illegitim und nicht klug“, so Reinhardt.
„Wir müssten hinter verschlossenen Türen darüber beraten, ob wir stattdessen den Weg der freien Honorarvereinbarung gehen, einen Weg, den die alte und die neue GOÄ erlauben“, erklärte der Präsident. „Das wäre aber die Ultima Ratio, weil auf diesem Wege die Patienten für das in die Verantwortung gestellt würden, was die Politik versäumt hat.“
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Diesen Artikel so zitieren: Neue GOÄ ist immer noch nicht in Sicht – Ärztevertretet schmieden derweil einen Plan B, falls Politiker sie weiter vertrösten - Medscape - 27. Apr 2022.
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