Magic Mikroglia: Neuer Therapieansatz gegen Alzheimer setzt auf körpereigenes Protein. Aber wie kann man es aktivieren?

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

22. April 2022

Eine neue Veröffentlichung aus dem Dominant Inherited Alzheimer Network (DIAN) zeigt auf, dass das Protein TREM2 zwar schon viele Jahre vor dem Ausbruch der Krankheit verstärkt im Liquor nachweisbar war, diesen allerdings nicht beschleunigte, sondern verzögerte. Die Forscher schließen daraus auf die Möglichkeit, durch eine Aktivierung dieses Proteins den Ausbruch der Krankheit um Jahre verzögern zu können. Die Ergebnisse wurden in Lancet Neurology publiziert [1].

Die Arbeitsgruppe um die Erstautorin Dr. Estrella Morenas-Rodrígues, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in München, hat die Entwicklung früher Alzheimer-Erkrankungen bei über 250 Betroffenen mit einer autosomal dominant vererbten Anlage über 10 Jahre lang verfolgt. Diese sind Angehörige von Patienten mit bekannten genetisch bedingten Alzheimer-Erkrankungen und prägen mit sehr hoher Wahrscheinlich ebenfalls diese Krankheit aus.

„Dieses Netzwerk ist sehr hilfreich zur Erforschung der frühen Entwicklung der Alzheimer-Erkrankung“, bemerkt Prof. Dr. Richard Dodel, Inhaber des Lehrstuhls für Geriatrie der Universität Duisburg-Essen und Demenzexperte der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. „Die freiwilligen Untersuchungen der Betroffenen liefern Ergebnisse, die in der Normalbevölkerung so nicht zu gewinnen sind.“

Teilnehmer wurden bereits über mehr als 10 Jahre nachbeobachtet

In dieser Longitudinalstudie wurden sowohl der Liquor als auch das Gehirn der Teilnehmenden mittels bildgebender Verfahren alle 1 bis 2 Jahre detailliert untersucht und die Ergebnisse zueinander in Beziehung gesetzt.

Dadurch konnten die Forscher ermitteln, dass die Aktivierung des Proteins TREM2 (triggering receptor expressed on myeloid cells) in den Mikroglia-Zellen des Gehirns sofort nach den frühesten β-Amyloid-Aggregationen erfolgt und der weiteren Entwicklung von β-Amyloid-Plaques entgegenwirkt.

 
Dieses Ergebnis ist sehr interessant und überzeugend für diese Gruppe der Patienten mit familiär bedingtem Alzheimer. Prof. Dr. Richard Dodel
 

In der Folge zeigte sich auch ein positiver Effekt von TREM2 in Bezug auf die Tau-Pathologie, die kortikalen Schrumpfungsprozesse und die kognitiven Einschränkungen der Betroffenen.

Die Untersuchungen des Liquors wurde mit Immunoassays für verschiedene bekannte, mit der Alzheimer-Erkrankung assoziierten Proteine durchgeführt. TREM2 ist ein Protein der Mikrogliazellen, das in den Liquor abgegeben wird, wenn es im zentralen Nervensystem zu entzündlichen Prozessen kommt. Mikrogliazellen sind nicht mit den anderen hirnständigen Gliazellen wie Astrozyten oder den Oligodendrozyten zu verwechseln; sie werden auch die Immunzellen des Gehirns genannt.

 
Sehr wichtig wäre es jetzt zu wissen, inwieweit sich diese Ergebnisse auf die Mehrheit der von spontaner Alzheimer-Erkrankung Betroffenen übertragen lassen. Prof. Dr. Richard Dodel
 

„Dieses Ergebnis ist sehr interessant und überzeugend für diese Gruppe der Patienten mit familiär bedingtem Alzheimer“, bemerkt Dodel. „Sehr wichtig wäre es jetzt zu wissen, inwieweit sich diese Ergebnisse auf die Mehrheit der von spontaner Alzheimer-Erkrankung Betroffenen übertragen lassen.“

Parallele Untersuchung des Liquors und der Gehirnanatomie

Die Entwicklung der Hirnstrukturen der Betroffenen wurden mittels regelmäßiger Magnetresonanztomografie (MRT) und Positronen-Emissionstomografie (PET) verfolgt und mit den Ergebnissen der Liquor-Untersuchungen verglichen.

 
Es mehren sich die Hinweise …, dass die Mikroglia zumindest am Anfang der Erkrankung eine Schutzwirkung haben. Prof. Dr. Christian Haass
 

Dabei wurden die positiven Effekte der Zunahme des Mikrogliazellen-Proteins TREM2 deutlich: Untersuchte, bei denen der TREM2-Wert rasch anstieg, entwickelten die für Alzheimer charakteristischen Ablagerungen von Amyloid-Proteinen langsamer, und das auch Hirnvolumen ging langsamer zurück.

„Lange ist man davon ausgegangen, dass die Mikroglia im Zuge von Alzheimer hauptsächlich Schaden anrichten, da sie chronische Entzündungsprozesse befeuern können. Es mehren sich jedoch die Hinweise sowohl aus klinischen Untersuchungen als auch Tiermodellen, dass die Mikroglia zumindest am Anfang der Erkrankung eine Schutzwirkung haben“, erklärt Prof. Dr. Christian Haass, Forschungsgruppenleiter am DZNE in München und Mitautor der Studie.

 
Der schnellere TREM2-Anstieg geht mit einem langsameren kognitiven Abbau in einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit einher. Prof. Dr. Christian Haass
 

„Neben dem Zusammenhang mit einem langsameren pathologischen Prozess war es einer unserer wichtigsten und vielversprechendsten Befunde, dass der schnellere TREM2-Anstieg mit einem langsameren kognitiven Abbau in einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit einhergeht“, betont Haass.

Therapeutische Ansätze bisher noch ohne praktische Umsetzung

Die Autoren erläutern in ihrer Diskussion, dass die Beeinflussung von TREM2 eine vielversprechende Strategie sei, um neue Optionen gegen Alzheimer zu entwickeln. Sie gehen dabei davon aus, dass ihre Befunde von genetisch bedingter Alzheimer-Erkrankung auch für die sporadische Krankheitsvariante gelten, die weitaus häufiger vorkommt.

Den entscheidenden Vorteil für die Praxis sehen sie in der frühen Möglichkeit der Diagnose durch den einfachen Nachweis von TREM2 im Liquor und der therapeutischen Option, die Aktivität von TREM2 aufrechtzuerhalten oder sogar zu steigern.

Diese Ansicht teilt auch Dodel: „Bisher kommen unsere therapeutischen Möglichkeiten gegen Alzheimer zu spät im Krankheitsverlauf. Das Problem könnte aber die Aktivierung des TREM2-Proteins sein, denn die Aktivierung zellulärer Proteine war bisher schwieriger durch medikamentöse Wirkstoffe zu bewerkstelligen als deren Hemmung. Es bleibt also sehr spannend!“

 

Kommentar

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