Akutes Koronarsyndrom: Bei Senioren die antithrombotische Therapie anpassen, um Blutungsrisiken zu minimieren

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

22. April 2022

Die antithrombotische Therapie beim akuten Koronarsyndrom (ACS) muss an das Alter der Patienten angepasst werden. Modernere, potentere Plättchenhemmer bieten Patienten über 75 Jahren nicht die gleichen Vorteile wie Jüngeren. Und die oft eingeschränkte Nierenfunktion im Alter erhöhe die Gefahr von Überdosierungen und damit Blutungen. Davor warnte der Kardiologe Prof. Dr. Uwe Zeymer bei der 88. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Mannheim.

„Ältere ACS-Patienten haben das höchste Sterberisiko, aber auch das höchste Risiko, Komplikationen zu erleiden“, sagte der leitende Oberarzt an der Klinik für Kardiologie, Pneumologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin am Klinikum der Stadt Ludwigshafen. Trotzdem gebe es nur wenige Daten aus randomisiert-kontrollierten Studien zur medikamentösen antithrombotischen Therapie bei Senioren, da sehr alte Patienten darin häufig nicht vertreten seien.

 
Ältere ACS-Patienten haben das höchste Sterberisiko, aber auch das höchste Risiko, Komplikationen zu erleiden. Prof. Dr. Uwe Zeymer
 

Eingeschränkte Nierenfunktion erhöht Blutungsrisiko

Zum Hintergrund: Die Sekundärprävention nach einem ACS wird von einem grundlegenden Problem bestimmt. Antithrombotischen Therapien sollen erneute ischämische Ereignisse verhindern, erhöhen aber das Risiko für Blutungskomplikationen – die ebenso wie ischämische Ereignisse zum Tod führen können. Bei älteren Patienten ist dieses Problem durch renale Probleme verschärft. „Eine eingeschränkte Nierenfunktion hat bei antithrombotischer Therapie Auswirkungen auf das Risiko von Blutungskomplikationen“, sagte Zeymer.

Die meist jüngeren Studienteilnehmer randomisiert-kontrollierter Studien haben üblicherweise eine bessere Nierenfunktion, als man sie bei älteren Menschen findet. Im klinischen Alltag wird deshalb bei älteren ACS-Patienten häufig zu hoch dosiert. „Wir passen nicht auf, wir gleichen das nicht an die Nierenfunktion an, und deshalb haben wir bei älteren ACS-Patienten ein stark erhöhtes Risiko, zu hoch zu dosieren und Blutungskomplikationen zu begünstigen“, erklärt Zeymer. 

 
Eine eingeschränkte Nierenfunktion hat bei antithrombotischer Therapie Auswirkungen auf das Risiko von Blutungskomplikationen. Prof. Dr. Uwe Zeymer
 

Doch es sei schwierig, den optimalen Ausgleich zwischen Ischämiekontrolle und Blutungsprävention zu finden, räumt der Experte ein. Risiko-Scores, die in großen Kohorten relativ gut funktionieren, erlauben beim individuellen Patienten keine zuverlässige Vorhersage des Risikos für Ischämie und Blutungen. Dafür überlappen die Prädiktoren für Ischämie und Blutungen zu stark. Zeymer: „Man weiß nie sicher, ob das Risiko für Ischämie oder das Risiko für Blutungen höher ist.“

„Aspirin für alle“

Die Therapieempfehlungen für ACS -Patienten über 75 Jahren, die sich aus den bis dato verfügbaren Studiendaten ableiten ließen, umfassten vorrangig „Aspirin für alle“, sagte Zeymer. Trotz limitierter Datenlage scheine es vernünftig zu sein, mit einer Ladedosis von 250-500 mg zu starten und dann mit einer Erhaltungsdosis von 100 mg/Tag weiterzumachen. „Es gibt eine Reihe von Studien, die gezeigt haben, dass nach dem Absetzen von Aspirin das Ereignisrisiko erhöht ist, es ergibt also durchaus Sinn, Aspirin lebenslang zu geben.“

Schon schwieriger werde es bei der dualen Plättchenhemmung, so Zeymer. Der Vorteil der potenteren Thrombozytenaggregationshemmer wie Ticagrelor und Prasugrel gegenüber Clopidogrel, der sich bei jüngeren Patienten gezeigt habe, werde nämlich mit steigendem Alter immer geringer. 

In Vergleichsstudien, etwa TRITON TIMI-38, gab es hinsichtlich der primären Endpunkte aus kardiovaskulärem Tod und Herzinfarkt keine Unterschiede zwischen Clopidogrel und dem wirksameren Plättchenhemmer Prasugrel, dafür aber Hinweise auf vermehrte Blutungskomplikationen – selbst bei reduzierter Prasugrel-Dosierung.

Duale Plättchenhemmung ohne potentere Plättchenhemmer

„Für die duale Plättchenhemmung, die wir bei ACS brauchen, empfiehlt sich bei Älteren eine Kombination aus Aspirin und Clopidogrel oder Ticagrelor“, sagte Zeymer. „GP-IIb/IIIb-Rezeptor-Antagonisten sollten bei älteren ACS-Patienten gemieden werden.“ In der Early-ACS-Studie hatte der sehr effektive Thrombozytenaktivierungshemmer Eptifibatid bei Patienten über 75 Jahren keinen Vorteil.

Therapie bei ACS ohne persistierende ST-Strecken-Hebung

Bei ACS-Patienten ohne persistierende ST-Strecken-Hebung (NSTE-ACS) empfehlen sich Zeymer zufolge der Faktor-Xa-Inhibitor Fondaparinux oder unfraktioniertes Heparin (UFH). „Beim NSTE-ACS ist Enoxaparin in aller Regel besser als unfraktioniertes Heparin“, sagte der Experte. Aber in der Synergy-Studie habe sich gezeigt, dass dies nicht für ältere Patienten gelte. Bei ihnen war unter Enoxaparin nach 30 Tagen die Sterberate etwas höher; sie hatten mehr Blutungskomplikationen als unter UFH.

„Hier handelt es sich wahrscheinlich wieder um ein Problem der Nierenfunktion, die mit dem Alter schlechter wird“, vermutet Zeymer. „Es wird überdosiert, es kommt zu Blutungskomplikationen, und diese tragen dann wieder zur Sterblichkeit bei.“

Der Kardiologe rät bei älteren Patienten mit NSTE-ACS primär zu Fondaparinux. In der OASIS-5-Studie erwies es sich hinsichtlich Tod und Myokardinfarkt nach 9 Tagen als ebenso wirksam wie eine volle Dosis Enoxaparin, war aber mit weniger Blutungen assoziiert. Dies galt speziell für Patienten mit einer GFR < 60 ml/min. Allerdings, warnte Zeymer, bei Patienten mit einer GFR < 30 ml/min sei Fondaparinux kontraindiziert.

Nach PCI ist Bivalirudin am sichersten

Bei Patienten, die sich einer primären Katheterintervention (PCI) unterziehen, sollte Bivalirudin eingesetzt werden. In der Activity-Studie schnitt es hinsichtlich Blutungskomplikationen besser ab als Heparin plus GP-IIb/IIIa-Rezeptor-Anatgonist, ohne einen Nachteil bei den ischämischen Ereignissen zu haben.

In der Activity-Studie zeigte sich noch einmal sehr deutlich, wie wichtig es ist, bei älteren Patienten Blutungen zu vermeiden. Zwar waren Blutungen in allen Altersklassen mit einer signifikant höheren 1-Jahres-Sterblichkeit assoziiert. Aber bei den über 75-Jährigen war der Unterschied zwischen Patienten mit und ohne Blutungen mit Sterblichkeitsraten von 23% versus 7,9% massiv ausgeprägt. „Wenn ein Patient über 75 blutet, ist die Sterblichkeit extrem hoch“, so Zeymer. „Im Vergleich zu Heparin ist die antithrombotische Therapie mit Bivalirudin sicherer und das wirkt sich auf die Prognose des Patienten aus.“

 
Wenn ein Patient über 75 blutet, ist die Sterblichkeit extrem hoch. Prof. Dr. Uwe Zeymer
 

Bei Vorhofflimmern muss ASS weg

Mit zunehmendem Alter steigt auch die Zahl der ACS-Patienten, die zusätzlich an einem Vorhofflimmern leiden. „Das sind etwa 10-15% unserer Patienten“, so Zeymer. Da ACS-Patienten über 75 Jahren bereits aufgrund ihres Alters und ihrer Erkrankung einen CHADS-Vasc-Score von mindestens 3 haben, haben sie auch alle eine Indikation für eine orale Antikoagulation.

Sie benötigen somit eine Kombination aus oraler Antikoagulation und Plättchenhemmung, was wiederum das Blutungsrisiko erhöht. „Deshalb ist bei diesen Patienten sehr zu empfehlen, das Aspirin wegzulassen, um die Blutungskomplikationen zu reduzieren“, sagte Zeymer. Erhalten die Patienten eine PCI, sollten sie anschließend nur mit einem NOAK und einem Plättchenhemmer wie Clopidogrel behandelt werden. Ohne PCI sei die alleinige Therapie mit einem NOAK ausreichend.

Zeymer betonte noch einmal, dass das oberste Ziel der antithrombotischen Therapie bei älteren ACS-Patient sein müsse, Überdosierungen und damit Blutungen zu vermeiden. „Wir brauchen mehr dezidierte Studien in dieser wachsenden Patientengruppe“, sagte er. „Vielleicht kommen wir mit anderen Dosierungen der potenteren Substanzen noch zu ganz anderen Erkenntnissen.“

 

Kommentar

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