Wohnungslose Menschen in Berlin erkranken im Vergleich zur deutschen Allgemeinbevölkerung wesentlich häufiger an Infektionen wie Hepatitis B, Hepatitis C, HIV und Tuberkulose. Das geht aus den ersten Ergebnissen der Querschnittsstudie POINT hervor, die das Robert Koch-Institut (RKI) in Kooperation mit Fixpunkt und BeSog Berliner Sozialprojekte initiiert hat [1].
Zwischen dem 3. Mai und 4. Juni 2021 erhoben Forscher Daten von insgesamt 223 wohnungslosen Menschen an 3 Standorten in Berlin. Die Teilnehmenden wurden allgemeinmedizinisch untersucht, ihre Blut- und Urinproben wurden analysiert und ein Fragebogen-basiertes Interview zu infektionsrelevantem Verhalten und Lebensumständen wurde geführt.
HBV, HCV, HIV und STI um ein Vielfaches höher als bei der Allgemeinbevölkerung
Während in der Allgemeinbevölkerung von einer HBV-Prävalenz von 0,3% ausgegangen wird, lag die Häufigkeit für eine aktive HBV-Infektion bei den untersuchten Wohnungslosen bei 1,9%. Von den Teilnehmenden hatten außerdem 17% bereits eine HBV-Infektion durchgemacht. Auch die Prävalenz für eine aktive HCV-Infektion mit nachgewiesener HVC-RNA war mit 16% deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung (0,1%). Fast ein Viertel der Teilnehmenden wiesen HCV-Antikörper im Sinne eines früheren oder aktuellen Kontaktes mit dem Virus auf.
Die Rate an HIV unter den Wohnungslosen in Berlin betrug 2,8% gegenüber 0,1% in der Allgemeinbevölkerung. Auch für die latente Tuberkulose (LTBI) lag die in der Pilotstudie ermittelte Prävalenz von 14% über der für Deutschland als TB-Niedriginzidenzland geschätzten LTBI-Prävalenz von 3% bis 5%. Bei 6,4% der getesteten Teilnehmenden wurde außerdem mindestens 1 behandlungswürdige bakterielle sexuell übertragbare Infektion (STI) diagnostiziert.
Haft- und Drogenerfahrungen als Hauptrisikofaktoren
Die Angaben zur Lebensweise bestätigen, dass Wohnungslose ein hohes Risiko für sexuell bzw. durch Blut übertragbare Infektionen aufweisen. Vor allem Haft- und Drogenerfahrungen als Risikofaktoren für HCV spielten hier eine wesentliche Rolle, betonen die Autoren. So gaben von allen Teilnehmenden 72% an, mindestens 1-mal im Leben Drogen konsumiert zu haben. Fast die Hälfte berichtete von intravenösem Drogengebrauch in den zurückliegenden 30 Tagen. Auch über mindestens einen Haftaufenthalt berichteten 71% der befragten Wohnungslosen in Berlin.
Besserer Zugang zu Prävention, Testung und Behandlung
Die Daten zeigen auch, dass ein hoher Bedarf besteht, den Zugang von Wohnungslosen zu Prävention, Testung und Behandlung der untersuchten Infektionserkrankungen zu verbessern. Hier schlagen die Autoren verschiedene Möglichkeiten vor. Sie fordern etwa einen vereinfachten Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung bzw. die unbürokratische Möglichkeit einer Kostenübernahme etwa für HCV- und HIV-Therapien sowie eine enge Vernetzung von Drogen-/Wohnungslosenhilfe mit der klinischen Infektiologie.
Genauso sollen kostenfreie, mehrsprachige Präventions- und Testangebote, wie zum Beispiel Safer-Use- und Safer-Sex-Materialien (z.B. Spritzen- und Kondomabgabe), unbürokratische HBV-Impfungen und anonyme HCV- und HIV-Schnelltestungen mögliche Hürden der Betroffenen abbauen.
Um tatsächlich eine Aussage über die gesundheitliche Situation von Menschen in Wohnungslosigkeit in Deutschland machen zu können, sei eine bundesweite Erhebung notwendig, betonen die Autoren.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de.
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Diesen Artikel so zitieren: RKI: Viele Wohnungslose leiden an Hepatitis, HIV und Tuberkulose – ihnen fehlt oft der Zugang zu Diagnostik und Therapie - Medscape - 22. Apr 2022.
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