Adipositas und Krebsrisiko: Nach neuer Analyse nur bei 6 Krebsarten kausaler Zusammenhang

Liam Davenport

Interessenkonflikte

22. April 2022

Gesundheitsbehörden auf der ganzen Welt betonen immer wieder den Zusammenhang zwischen Adipositas und malignen Erkrankungen, aber ist das auch richtig?

„Übergewicht und Adipositas erhöhen das Krebsrisiko“, warnen etwa die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den USA: Durch Übergewicht und Adipositas steige bei 13 Krebsarten das Erkrankungsrisiko, die zusammen 40% aller Krebserkrankungen in den USA ausmachten. Dieses Narrativ wird auch von vielen Krebsorganisationen verbreitet – doch tatsächlich fußt es auf Daten aus Beobachtungsstudien, die mit vielen Einschränkungen verbunden sind.

Eine neue Studie, die sich auf eine Mendel-Randomisierung stützt, kommt zu einem etwas anderen Ergebnis und sieht nur bei 6 Krebsarten einen möglichen kausalen Zusammenhang.

Darüber hinaus wurde ein umgekehrter Zusammenhang für das Mammakarzinom festgestellt. Hier scheint eine Adipositas in jungen Jahren mit einem geringeren Brustkrebsrisiko verbunden zu sein, während der Zusammenhang zwischen der Fettleibigkeit und den Karzinomen der Lunge und der Prostata laut den Autoren „kompliziert“ ist.

Die Studie von Zhe Fang von der Harvard T. H. Chan School of Public Health in Boston und ihren Kollegen wurde im Journal of the National Cancer Institute veröffentlicht [1].

Verhältnis zwischen Adipositas und Krebsrisiko komplex

„Die scheinbar einfache Frage, ob übermäßiges Körperfett das Krebsrisiko erhöht, ist doch nicht so einfach“, schreibt Dr. Song Yao, Onkologe am Roswell Park Comprehensive Cancer Center in Buffalo, New York, in einem begleitenden Editorial [2]. „Wie man eine einfache Gesundheitsnachricht formuliert und zugleich die Komplexität und die Feinheiten der Zusammenhänge vermittelt, dürfte eine wichtige zukünftige Herausforderung sein“, fügte er hinzu.

Yao erklärte gegenüber Medscape, dass es „wirklich darauf ankommt, welche Art von Botschaft man vermitteln will“. „Will man über Krebs insgesamt als Krankheit sprechen, wissen wir alle, dass kein klarer Zusammenhang zur Adipositas besteht“, sagte er. „So einfach ist es nicht.“

Für manche Krebsarten hingegen, die in die Studie einbezogen wurden, sei es „sehr klar, dass Fettleibigkeit das Risiko erhöht“, so Yao weiter, „aber für einige andere haben wir entweder noch nicht genügend Daten oder aber die Assoziation ist nicht so konsistent“. Dies gelte insbesondere für das Prostata- und das Lungenkarzinom.

All dies deute darauf hin, dass das Verhältnis zwischen Adipositas und Krebsrisiko komplex sei. „Wir betrachten die Adipositas nicht nur mit Blick auf das Krebsrisiko als schlecht, sondern auch wegen allgemeinerer Krankheiten wie Hypertonie, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, so Yao. Dies spreche aber eher für einen Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit und chronischen Entzündungen, fügte er hinzu.

Es gibt jedoch auch andere Hypothesen, darunter die der Östrogensynthese im Fettgewebe, was den Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit und Brustkrebsrisiko bei älteren Frauen erklären könnte. Bei jüngeren Frauen hingegen schütze die Adipositas scheinbar vor dem Mammakarzinom und „wir wissen wirklich nicht, warum das so ist“, so Yao.

Zusammenhänge mit Mendel-Randomisierung untersucht

In der neuen Studie bediente man sich zur Untersuchung dieser Zusammenhänge der Mendel-Randomisierung. Dabei handelt es sich um ein „neues Instrument, das wir in den letzten 20 Jahren zunehmend genutzt haben. Der Hauptgrund dafür ist, dass es inzwischen so viele GWAS-Daten gibt“, erklärte Yao (GWAS: genomweite Assoziationsstudien).

 
Die scheinbar einfache Frage, ob übermäßiges Körperfett das Krebsrisiko erhöht, ist doch nicht so einfach. Dr. Song Yao
 

Die Randomisierung biete gegenüber anderen Methoden, wie den Beobachtungsstudien, Vorteile. Eine ihrer Stärken sei es, dass sie „nicht von einer Umkehrung der Kausalität beeinflusst“ werde, da sich das genetische Risiko im Laufe der Zeit nicht verändere.

Es greife jedoch zu kurz, sich darauf zu stützen, „dass sich die Gene nicht verändern, denn die Umwelt verändert sich im Laufe des Lebens schon. Dadurch könnten die Auswirkungen genetischer Varianten folgenlos bleiben“. Die Art und Weise, wie die Genetik das Krebsrisiko beeinflusse, könne sich daher im Laufe der Zeit ändern und sei ein „dynamischer Prozess“, so Yao.

Außerdem habe dieser Ansatz seine eigenen Grenzen, da er davon abhänge, wie weit die Variation bei einer bestimmten Messung auf genetische Faktoren zurückgeführt werden könne.

Neue Schlussfolgerungen

Fang und ihr Team untersuchten in ihrem Review Metaanalysen von 2.179 individuellen Bewertungen aus 507 Kohorten- oder Fall-Kontroll-Studien und stießen auf „starke Evidenzen“ für einen Zusammenhang zwischen Adipositas und 11 Krebsarten. Dabei handelt es sich um:

  • das Adenokarzinom der Speiseröhre,

  • das multiple Myelom sowie

  • Karzinome der Magenkardia,

  • des Dickdarms,

  • des Rektums,

  • der Gallenwege,

  • der Bauchspeicheldrüse,

  • Karzinome der Brust,

  • der Gebärmutterschleimhaut,

  • der Eierstöcke und

  • der Nieren.

Sie stellen jedoch fest, dass die Assoziationen „bei manchen Malignomen auf eine Kausalität hindeuten“, dass jedoch das gleichzeitige Auftreten einer Adipositas mit verschiedenen anderen Risikofaktoren für Krebserkrankungen die Studien auch „anfällig für potenzielle Störvariablen“ mache.

Um einige dieser Einschränkungen zu überwinden, bediente sich das Team der Mendel- Randomisierungen, die den Zusammenhang untersuchen zwischen genetischen Varianten, die mit dem Body-Mass-Index (BMI) in Zusammenhang stehen und das Lebenszeitrisiko für einen hohen BMI-Wert anzeigen, und dem Risiko für eine Reihe von Krebsarten.

Diese Mendel-Randomisierungen wurden dann mit den Ergebnissen groß angelegter konventioneller Beobachtungsstudien sowie mit Erkenntnissen aus Berichten der International Agency for Research on Cancer und des World Cancer Research Fund – American Institute of Cancer Research verglichen, die auch experimentelle Studien umfassen.

Für die Forschenden belegen die Mendel-Randomisierungen insgesamt den kausalen Zusammenhang zwischen Adipositas und 6 Krebsarten:

  • Kolorektalkarzinom,

  • Endometriumkarzinom,

  • Ovarialkarzinom,

  • Nierenkrebs,

  • Pankreaskarzinom und

  • Adenokarzinom des Ösophagus.

Darüber hinaus belegen diese Studien einen umgekehrten Zusammenhang zwischen Adipositas im frühen Lebensalter und dem Mammakarzinom.

Ein positiver Zusammenhang zwischen einer Adipositas und einem Gallenblasen- und Magenkarzinom sowie dem multiplen Myelom konnte jedoch nicht bestätigt werden. „Dies könnte auf eine geringe Aussagekraft zurückzuführen sein“, meint das Team, „doch um dies zu klären, sind größere Studien erforderlich“.

Mit Blick auf das Lungenkarzinom ergab die Mendel-Randomisierung eine positive Assoziation mit Adipositas, die die inverse Assoziation stützt, die in Beobachtungsstudien identifiziert wurde, d.h. eine Adipositas könnte das Risiko für ein Lungenkarzinom senken. Die Forschenden vermuten, dass dies einen umgekehrten Kausalzusammenhang widerspiegeln könnte, der mit dem Verlust an fettfreier Körpermasse vor der Diagnose zusammenhänge, sowie mit dem Rauchen als Störvariable.

Für das Prostatakarzinom waren die Evidenzen „widersprüchlich“ und „implizierten eine komplizierte Rolle der Adipositas“, kommentieren Fang und ihr Team. Der Zusammenhang zwischen einer Adipositas und niedrigeren Werten beim prostataspezifischen Antigen könnte ihrer Meinung nach zu einem Bias in der Diagnostik führen, weil so das Vorhandensein eines Prostatakarzinoms maskiert werden könne oder er könnte „biologischen Ursprungs“ sein und mit verminderten Androgenspiegeln zusammenhängen.

Für die 6 Krebsarten, bei denen die Ergebnisse einen kausalen Zusammenhang mit der Adipositas nahelegen, waren die Effektschätzungen aus den Mendel-Randomisierungen stärker als aus konventionellen Studien, wobei das Ausmaß des Risikos vom 1,14-Fachen für Adipositas im frühen Lebensalter und Brustkrebs bis zum 1,37-Fachen für die Adipositas im Erwachsenenalter und das Adenokarzinom des Ösophagus reichten.

Lebensstil anpassen

In einem weiteren Editorial zu der Studie unterstreicht Dr. Graham A. Colditz von der Washington University School of Medicine in St. Louis, Missouri, dass Adipositas im Kindes- und Jugendalter und ihr Anteil am Krebsrisiko weitere Aufmerksamkeit erfordere [3].

 
Um die Früchte der bisherigen Forschung zu ernten, müssen wir wirksame Strategien zur Reduzierung der Adipositas im Kindes- und Jugendalter … umsetzen. Dr. Graham A. Colditz
 

„Um die Früchte der bisherigen Forschung zu ernten, müssen wir wirksame Strategien zur Reduzierung der Adipositas im Kindes- und Jugendalter, zur Verringerung der übermäßigen Gewichtszunahme im Erwachsenenalter und zur dauerhaften Aufrechterhaltung eines gesunden Gewichts umsetzen“, schreibt er.

„Dazu müssen wir unseren Lebensstil anpassen. COVID-19 hat uns gelehrt, dass wir unsere Lebens- und Arbeitsweisen verändern können. Wir sollten die Veränderungen, die wir bereits vorgenommen haben, beibehalten und weitere ins Visier nehmen, um auch unsere kollektive Krebsrate zu senken“, regte er an.

 
Wir sollten die Veränderungen, die wir bereits vorgenommen haben, beibehalten und weitere ins Visier nehmen, um auch unsere kollektive Krebsrate zu senken. Dr. Graham A. Colditz
 

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
 

Kommentar

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