Wenn Kinder ständig ohne erkennbaren Grund Bauchweh haben: Kognitive Verhaltenstherapie oder Hypnotherapie helfen am besten

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

21. April 2022

Funktionelle Bauchschmerzen im Kindes- und Jugendalter sind für die Patienten extrem belastend und für die behandelnden Ärzte eine therapeutische Herausforderung. Eine in JAMA Pediatrics erschienene Metanalyse von 33 randomisiert-kontrollierten Studien zeigt, dass eine kognitive Verhaltenstherapie oder auch eine Hypotherapie den größten Therapieerfolg versprechen [1].

„Wenn Kinder oder Jugendliche über chronische Bauchschmerzen klagen und im Rahmen einer ausführlichen Diagnostik keine somatische Ursache zu finden ist, spricht man von funktionellen Bauchschmerzen“, sagt PD Dr. Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) in Berlin, im Gespräch mit Medscape.

Normale Körpersignale werden als Schmerz wahrgenommen

Wodurch funktionelle Bauchschmerzen verursacht werden, ist noch nicht vollständig geklärt. Man geht aber von einer Störung der Kommunikation zwischen Magen-Darm-Trakt und Gehirn aus. „Bei diesen Patienten besteht eine Signalwahrnehmungsstörung, normale Körpersignale, etwa ein leichtes Bauchgrummeln, werden bei ihnen sehr viel schneller der Kategorie Schmerz zugeordnet als bei anderen Menschen“, erklärt Rodeck. „Die Metaanalyse liefert eine Bestätigung dafür, dass funktionelle Bauchschmerzen tatsächlich im biopsychosozialen Bereich angesiedelt sind.“

 
Normale Körpersignale, etwa ein leichtes Bauchgrummeln, werden bei ihnen sehr viel schneller der Kategorie Schmerz zugeordnet als bei anderen Menschen. PD Dr. Burkhard Rodeck
 

In der Standardtherapie funktioneller Bauchschmerzen besteht aber auch die Möglichkeit, medikamentös vorzugehen: „Studien zeigen, dass pflanzliche Präparate wie z.B. Pfefferminzölkapseln eine gewisse Wirksamkeit haben, da sie die Stärke der aus dem Magen-Darm-Trakt an das Gehirn gesendeten Signale dämpfen, so dass diese nicht so schnell als Schmerz wahrgenommen werden. Auch Probiotika können unter Umständen helfen“, ergänzt der Kinder- und Jugendmediziner.

„Bleibt dies erfolglos, muss man den Kindern eine psychologisch/psychotherpeutische Maßnahme anbieten, üblicherweise eine kognitive Verhaltenstherapie.“

Verschiedene psychosoziale Therapieansätze im Vergleich

Die Metaanalyse wurde von einem Forschungsteam der University of Central Lancashire in Preston durchgeführt. Sie umfasst insgesamt 2.657 Kinder und Jugendliche im Alter von 7 bis 17 Jahren, davon mehr als 2 Drittel Mädchen.

In den Studien wurden verschiedene psychosoziale Therapieansätze für funktionelle Bauchschmerzen wie kognitive Verhaltenstherapie, Erziehungshilfe, (auf das Verdauungssystem ausgerichtete) Hypnotherapie, geführte Fantasiereise mit Entspannung, Yoga oder (viszerale) Osteopathie untersucht und verglichen – teils gegeneinander und teils gegen keine Intervention.

Erstautor Dr. Morris Gordon und seine Kollegen berichten, dass die kognitive Verhaltenstherapie mit einer um das 2,37-Fache höheren Wahrscheinlichkeit zu einem Therapieerfolg geführt habe als keine Intervention. Um die funktionellen Bauchschmerzen bei einem Kind oder Jugendlichen erfolgreich zu behandeln, mussten 5 Kinder eine kognitive Verhaltenstherapie erhalten.

Seltener und weniger starke Bauchschmerzen

Die mit einer kognitiven Verhaltenstherapie behandelten Kinder und Jugendlichen hatten außerdem seltener und weniger starke Bauchschmerzen als Kinder und Jugendliche, die keine Intervention erhielten. Therapieabbrüche aufgrund von Nebenwirkungen unterschieden sich nicht zwischen den Gruppen.

Auch eine Hypnotherapie könnte im Vergleich zu keiner Intervention mit verbessertem Outcome assoziiert sein, ergänzen Gordon und seine Kollegen. Die Wahrscheinlichkeit für einen Therapieerfolg war mit einer Hypnotherapie um das 2,86-Fache erhöht, auch hier betrug die Number-needed-to-treat 5.

Allgemein eher geringgradige Evidenz für Effektivität

Die anderen untersuchten Therapieansätze schnitten in den Studien nicht besser ab als keine Intervention. Die Autoren weisen aber darauf hin, dass auch die Evidenz für die Effektivität von kognitiver Verhaltenstherapie und Hypnotherapie moderat beziehungsweise schwach gewesen sei – vor allem aufgrund eines hohen Bias-Risikos.

 
Man hat Hinweise, dass kognitive Verhaltenstherapie und möglicherweise auch Hypnotherapie helfen können, aber dies muss nicht für jeden Patienten gelten. PD Dr. Burkhard Rodeck
 

„Die Therapie funktioneller Bauschmerzen ist nicht vergleichbar mit der Therapie zum Beispiel einer Scharlacherkrankung, bei der Penicillin gegeben wird in dem Wissen, dass sie dadurch garantiert geheilt wird. Man hat Hinweise, dass kognitive Verhaltenstherapie und möglicherweise auch Hypnotherapie helfen können, aber dies muss nicht für jeden Patienten gelten“, schlussfolgert Rodeck daraus.

Erste Maßnahmen auch schon beim Kinderarzt möglich

Die Autoren um Gordon wiederum schlagen vor, kognitive Verhaltenstherapie und Hypnotherapie zur Behandlung funktioneller Bauchschmerzen im Kindes- und Jugendalter in Betracht zu ziehen. Sie fügen aber hinzu, dass weitere randomisiert-kontrollierte Studien nötig seien, um die Evidenzqualität und damit die Verlässlichkeit dieser Resultate zu verbessern.

Für die Behandlung müssen Kinder und Jugendliche mit funktionellen Bauchschmerzen nicht direkt zum Psychologen geschickt werden. Erste verhaltenstherapeutische Maßnahmen können auch direkt beim Kinder- oder Jugendarzt erfolgen. „Manche Patienten kommen mit dem aus, was wir an verhaltenstherapeutischen Ansätzen auch als Kinder- und Jugendärzte anbieten, andere benötigen eine professionelle Begleitung mit psychologischer Expertise“, berichtet Rodeck. Sollte eine ambulante Behandlung nicht zum Erfolg führen, gebe es auch noch die Option einer stationären Therapie in speziellen psychosomatischen Kliniken bzw. Stationen.

Aufklärung kann schon sehr entlasten

Für viele Patienten sei es bereits sehr entlastend, über die Zusammenhänge und Mechanismen, die bei funktionellen Bauchschmerzen eine Rolle spielen, aufgeklärt zu werden, sagte Rodeck. Zu dieser Aufklärung gehöre auch, Coping-Strategien zu vermitteln, die im Falle akuter Beschwerden eingesetzt werden können.

„Wenn Patienten funktionelle Bauchschmerzen haben, für die keine organische Ursache gefunden wird, führt das zu Frustration, Traurigkeit und Verzweiflung. Verschlimmert wird das Problem, wenn der Eindruck entsteht, vom Arzt oder der Ärztin nicht ernst genommen zu werden“, sagt der DGKJ-Generalsekretär. Diese negativen Erfahrungen könnten dazu führen, dass sich die Schmerzwahrnehmungsstörung noch verschlimmere. Das Ziel verhaltenstherapeutischer Maßnahmen sei deshalb, diesen Teufelskreis zu unterbrechen und herunterzuregulieren.

 
Für diese Patienten muss man sich Zeit nehmen … Sie haben definitiv Bauchschmerzen, sie bilden sich nichts ein. PD Dr. Burkhard Rodeck
 

„Patienten mit funktionellen Bauchschmerzen hilft man nicht mit immer weiteren Untersuchungen. Für diese Patienten muss man sich Zeit nehmen, um zu reden und Möglichkeiten aufzuzeigen. Sie haben definitiv Bauchschmerzen, sie bilden sich nichts ein. Man muss sie ernst nehmen“, betont er.

 

Kommentar

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