Die Kombination eines SSRI (selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) mit einem präsynaptischen Alpha-2-Autorezeptor-Antagonisten verbessert die Behandlungsergebnisse bei Depressionen im Vergleich zur Monotherapie deutlich. Das ist das Ergebnis der Metaanalyse eines deutschen Forscherteams, die in JAMA Psychiatry veröffentlicht worden ist [1]. Demnach sollten Kliniker diesen Ansatz als mögliche Erstlinientherapie bei schweren depressiven Episoden sowie bei Non-Respondern in Betracht ziehen.
Wenn ein Patient mit akuter Depression auf eine Monotherapie nicht anspricht, besteht der nächste Schritt oftmals in der Kombination von Antidepressiva. In einer früheren Metaanalyse berichteten der Erstautor Dr. Jonathan Henssler, Universität Köln und Charité Berlin, und sein Team über die Vorteile einer Kombination aus Monoamin-Wiederaufnahmehemmern plus präsynaptischen Alpha-2-Antagonisten. Zu Ersteren gehören selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), Serotonin-Norepinephrin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) und auch trizyklische Antidepressiva); Beispiele für Alpha-2-Antagonisten sind Mianserin, Mirtazapin oder Trazodon.

Dr. Christopher Baethge
Frühere Studien ergaben kein deutliches Bild. In einer randomisierten kontrollierten Studie (RCT) gab es Anzeichen einer deutlichen Überlegenheit kombinierter Antidepressiva. Ein anderer Bericht aus Japan lies nur eine bescheidene Wirkung erkennen, sagte Dr. Christopher Baethge, Hauptautor der aktuellen Metaanalyse und Psychiater an der Universität Köln, in einem Interview. Eine andere aktuelle Studie zeigte eine bessere Wirksamkeit bei der Monotherapie. „Wir sind der Ansicht, dass diese Vielfalt an Studien eine Neubewertung nahelegt. Vor allem wollten wir herausfinden, ob bestimmte Kombinationen wirksam sind und andere nicht“, so Baethge.
Kombinationsbehandlungen liefern bessere Ergebnisse
Die Forschenden bedienten sich der Datenbanken Embase, PsycINFO und des Cochrane Central Register of Controlled Trials. Sie wählten dann RCTs aus, in denen eine Antidepressiva-Kombination mit einer Monotherapie bei erwachsenen, akut depressiven Patienten verglichen wurde. Die Metaanalyse schloss Studien über bipolare Störungen oder Erhaltungstherapien aus. Auch Studien mit Komorbiditäten und anderen gleichzeitig vorliegenden psychiatrischen Störungen wurden nicht berücksichtigt.
Es wurden auch separate Untersuchungen zu Kombinationen mit präsynaptischen Alpha-2-Autorezeptor-Antagonisten oder Bupropion durchgeführt.
Die Wirksamkeit der Behandlung war der primäre Endpunkt. Er wurde anhand der standardisierten Mittelwertdifferenzen (SMD) zwischen Antidepressiva-Kombination und Monotherapie bestimmt. Weitere Ergebnisse waren der Anteil an Patienten, die nach einer der beiden Behandlungen in Remission waren oder die medikamentöse Behandlung abbrachen.
Von den 39 Studien und 6.751 Patienten, die in die Analyse einbezogen wurden, lieferten 38 Studien Daten zum primären Endpunkt.
Kombinationsbehandlungen erbrachten im Vergleich zur Monotherapie bessere Ergebnisse (SMD 0,31; 95% Konfidenzintervall [KI] 0,19–0,44). In 82% der Studien wurde eine höhere Wirksamkeit des Kombinationsansatzes festgestellt. Dieses Ergebnis hatte auch Bestand, wenn die Analyse auf Studien mit einem geringen Bias-Risiko, auf die Anwendung als First-Line-Therapie und auf Non-Responder begrenzt wurde.
Mögliche Vorteile von präsynaptischen Alpha-2-Antagonisten
In der separaten Analyse schnitten Kombinationen mit Alpha-2-Antagonisten als First-Line-Therapie und bei Non-Respondern besser ab als eine Monotherapie. Bupropion-Kombinationen führten im Vergleich dazu zu keinen besseren Ergebnissen als eine Monotherapie.
Möglicherweise, so Baethge, wirken die Alpha-2-Antagonisten in Kombinationen „durch ihre sedierende Wirkung der Unruhe und Agitiertheit entgegen, unter der viele Patienten bei der Einnahme von Monoamin-Wiederaufnahmehemmern leiden, entgegen. Auf ähnliche Weise könnten sie auch bei sexuellen Funktionsstörungen helfen, die unter Wiederaufnahmehemmern auftreten.“
Alpha-2-Antagonisten könnten auch die monoaminerge Neurotransmission fördern, „indem sie die Rückkopplungshemmung unterbrechen, die ausgelöst wird, wenn Wiederaufnahmehemmer die Neurotransmitterkonzentrationen im synaptischen Spalt erhöhen“, fügte er hinzu.
Ob Bupropion-Kombinationen Patienten mit therapieresistenten Depressionen wirklich helfen, ist laut Baethge noch nicht eindeutig geklärt. „Durch weitere Studien würden wir wahrscheinlich ein klareres Bild erhalten. Bislang wissen wir aber nur, dass wir nicht genügend Evidenzen haben, um Bupropion-Kombinationen für diese Patientengruppe zu empfehlen.“
Eine Kombinationstherapie führte nicht zu häufigeren Behandlungsabbrüchen oder unerwünschten Ereignissen als eine Monotherapie. „Sie könnte daher eine sichere Alternative zu den anderen Ansätzen der zweiten Stufe bei therapieresistenten Depressionen sein, wie z.B. der Ergänzung einer Monotherapie um Lithium oder atypische Psychopharmaka“, so die Schlussfolgerung der Forschenden.
Publikations-Bias?
Einschränkend wirke bei dieser Studie der Umstand, dass sich die zahlreichen in einer Metaanalyse zusammengefassten klinischen Studien häufig verschiedener Designs, Definitionen von Ansprech- und Kontrollgruppen sowie unterschiedlicher Bewertungsskalen bedienten, meint Dr. Henry A. Nasrallah, Psychiater, Neurologe und Neurowissenschaftler an der Universität von Cincinnati, der nicht an der Studie beteiligt war.

Dr. Henry A. Nasrallah
Es wurde auch ein gewisser Publikations-Bias festgestellt, doch seien die Ergebnisse bei den sekundären Outcomes und den Subgruppen- und Sensitivitätsanalysen schlüssig gewesen.
Hilfe bei der Wahl effektiver Therapien
Es besteht die Hoffnung, dass diese Ergebnisse dabei helfen, vielversprechendere Kombinationen zu wählen, wie z.B. Alpha-2-Antagonisten mit SSRIs oder SNRIs, statt Kombinationen, die sich als weniger hilfreich erwiesen oder keine randomisierten kontrollierten Studien durchlaufen haben, so Baethge.
Die Ergebnisse zur Verträglichkeit könnten manche Behandelnden dazu ermutigen, diese Kombinationen in Betracht zu ziehen, vor allem wenn sie bislang weniger evidenzbasierte Ansätze wie einem Medikamentenwechsel oder einer Dosiserhöhung den Vorzug gegeben haben, sagte Baethge.
Polypharmazie gelte gemeinhin als zu vermeiden oder sei mit mehr Nebenwirkungen verbunden, sagte Nasrallah. „Die Kombination eines Wiederaufnahmehemmers mit einem Alpha-2-Antagonisten wie Mirtazapin kann jedoch die Verträglichkeit im Vergleich zu einer Monotherapie mit einem Antidepressivum verbessern, da ihre Wirkmechanismen die Nebenwirkungen ausgleichen und gleichzeitig die Wirksamkeit erhöhen“, sagte er.
„Schließlich ist die Sedierung zwar eine Nebenwirkung sowohl von Mirtazapin als auch von Trazodon, aber bei Einschlafproblemen kann dieser Umstand hilfreich sein, was bei schweren depressiven Episoden häufig der Fall ist“, fügte Nasrallah hinzu.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Mit Kombitherapie können Depressionen besser behandelt werden – Metaanalyse hilft bei der Wahl der Antidepressiva - Medscape - 19. Apr 2022.
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