Schaden überwiegt Nutzen: Seit 10 Jahren klärt der IGeL-Monitor über Extraleistungen auf – nur 2 von 55 „tendenziell positiv“

Redaktion

Interessenkonflikte

13. April 2022

10 Jahre IGeL-Monitor – und die Bilanz des Wissenschaftsteam zu den derzeit 55 geprüften Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) ist nicht überzeugend: Bei den meisten überwiegt der potenzielle Schaden den möglichen Nutzen, oder sie schneiden mit dem Ergebnis „unklar“ ab. Nur 2 IGeL wurden mit „tendenziell positiv“ bewertet: Akupunktur zur Migräneprophylaxe und Lichttherapie bei saisonal depressiver Störung („Winterdepression“).

„Der IGeL-Monitor ist für viele Versicherte ein wichtiges Informationsangebot, damit sie eine wissensbasierte Entscheidung für oder gegen eine Selbstzahlerleistung treffen können“, sagt Dr. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Bund, der das Internetportal IGeL-Monitor betreibt. 

Nach wie vor werden aber auch IGeL verkauft, die eindeutig negativ zu bewerten sind. 

Dazu gehört die Ultraschalluntersuchung zur Früherkennung von Eierstockkrebs. Bei dieser Leistung kann es zu vielen falsch positiven Ergebnissen und damit zu unnötigen weiteren Untersuchungen und Eingriffen kommen. „Dies widerspricht den einfachsten Regeln der Patientensicherheit. Diese IGeL sollte gar nicht mehr angeboten werden“, so Gronemeyer. Von dieser Leistung raten internationale medizinische Fachgesellschaften seit Jahren ab.

Erstmals bewertet: Früherkennung auf Vitamin-B12-Mangel und -Ergänzung 

Viele Praxen bieten sogenannte „Vitamin-Checks“ und „Vitamin-Kuren“ an ─ oftmals als Früherkennung von Vitamin-B12-Mangel mit anschließender Gabe dieses Vitamins. 

Das Wissenschaftsteam des IGeL-Monitors hat bei einer systematischen wissenschaftlichen Recherche keine Studien gefunden, die darauf hinweisen, dass diese Leistung die Gesundheit der Betroffenen verbessert. Mögliche Schäden sind zwar eher unwahrscheinlich; in sehr seltenen Fällen können bei der Vitamingabe mittels Injektion oder Infusion aber allergische Reaktionen auftreten. Daher erhielt diese Leistung die Bewertung „unklar“.

Eine wichtige Aufgabe des IGeL-Monitors ist es, ältere Bewertungen regelmäßig zu überprüfen. „Die Nutzerinnen und Nutzer müssen sich darauf verlassen können, dass unsere Informationen den aktuellen Stand des Wissens wiedergeben. Wir beobachten bei der Aktualisierung, dass sich in vielen Fällen die Evidenz meist wenig verändert und das Ergebnis daher gleich bleibt“, stellt Dr. Michaela Eikermann fest, Leiterin des Bereichs Evidenzbasierte Medizin beim Medizinischen Dienst Bund. 

 
Wir beobachten bei der Aktualisierung, dass sich in vielen Fällen die Evidenz meist wenig verändert und das Ergebnis daher gleich bleibt. Dr. Michaela Eikermann
 

Bewertungen des IGeL-Monitors im Einklang mit medizinischen Leitlinien

Das Wissenschaftsteam des IGeL-Monitors wertet bei der Analyse des Nutzen- und Schadenpotenzials nicht nur wissenschaftliche Studien aus, sondern gleicht seine Ergebnisse auch mit internationalen Leitlinien ab. 

„Der IGeL-Monitor konnte bei 22 Bewertungen entsprechende Leitlinien finden und hat die Empfehlungen mit der Bewertung verglichen. Mehr als 3 Viertel der Bewertungen stimmten mit den Leitlinien-Empfehlungen überein. Es trifft daher nicht zu, dass unsere Bewertungen dazu in Widerspruch stehen“, fasst Eikermann zusammen. 

 
Mehr als 3 Viertel der Bewertungen [des IGeL-Monitors] stimmten mit den Leitlinien-Empfehlungen überein. Dr. Michaela Eikermann
 

Fragwürdiger Umgang mit IGeL in den Praxen

Immer wieder berichten Patientinnen und Patienten, dass sie in fachärztlichen Praxen für Regeluntersuchungen Wochen und Monate auf einen Termin warten müssen. Gleichzeitig bekommen sie aber von denselben Praxen einen sofort verfügbaren Termin für Selbstzahlerleistungen angeboten. Das legt die Vermutung nahe, dass das Angebot von IGeL unmittelbare Auswirkungen auf das Versorgungsangebot hat. 

Mit Sorge ist zudem zu beobachten, dass Versicherte sich unzureichend informiert oder zeitlich unter Druck gesetzt fühlen. Diese Erfahrungen bestätigte bereits der IGeL-Report 2020: Knapp die Hälfte der Befragten berichteten, dass die IGeL positiver als die Kassenleistungen dargestellt wurden. Und fast jeder Fünfte gab an, bei der Entscheidung für oder gegen eine Selbstzahlerleistung zeitlich unter Druck gesetzt worden zu sein.

Das Internetportal IGeL-Monitor wird vom Medizinischen Dienst Bund (MDB) betrieben. Der MDB wurde zum 1. Januar 2022 als Rechtsnachfolger des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS) errichtet. Der MDS hat den IGeLMonitor initiiert und 2012 ins Leben gerufen. 

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de

 

Kommentar

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