Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) hat unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) erstmalig eine S2k-Leitlinie zur Diagnose und Behandlung von Frauen mit Harninkontinenz veröffentlicht. Darin werden wesentliche Formen der Harninkontinenz, sprich Belastungsinkontinenz und überaktive Blase/Dranginkontinenz zusammengefasst, für die es bislang 2 getrennten Leitlinien gab [1].
Dunkelziffer macht Angaben zur Prävalenz schwierig
Zum Hintergrund: Die Harninkontinenz zählt zu den häufigsten Krankheitsbildern in der Gynäkologie. Jede 3. Frau in Deutschland berichtet über Inkontinenzbeschwerden, wobei Häufigkeit und Ausmaß im Alter deutlich zunehmen. Laut Leitlinie liegt die Inzidenz bei 41- 60-Jährigen bei 11,3% und steigt bei den über 60-Jährigen auf 27,1%. Die Dunkelziffer sei aber nicht unerheblich, schreiben die Autoren.
Anamnese effektiv trotz fehlender Evidenz
Bei der Diagnostik der Harninkontinenz weisen die Autoren trotz fehlender Evidenz auf die Bedeutung einer gezielten und ausführlichen Anamnese hin. Dadurch sei in bis zu 80% der Fälle eine Kategorisierung in Belastungs-, Drang- oder Mischharninkontinenz möglich. Wenig evident, aber ebenfalls sehr wichtig sei laut Leitlinie die klinische Inspektion mit abdomineller Palpation, vaginaler und rektaler Untersuchung sowie urogenitaler Untersuchung.
Je nach Form der Harninkontinenz wählen Ärzte dann die entsprechende Behandlung. Einen besonderen Fokus legt die Leitlinie dabei auf die konservative Therapie. Bei Patientinnen mit Harninkontinenz, bei denen Begleiterkrankungen, etwa eine Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus oder eine Depression vorlägen, sollte immer eine angemessene Behandlung dieser Erkrankung erfolgen, lautet eine „starke Empfehlung“ der Leitlinie. Damit lasse sich möglicherweise auch der Schweregrad der Harninkontinenz bessern, schreiben die Autoren.
Den Lebensstil anpassen
Auch eine gesunde Lebensweise könne laut Leitlinie möglicherweise die Harninkontinenz verbessern. So sollen Übergewichtige oder adipöse Patientinnen motiviert werden, ihr Gewicht zu reduzieren. Epidemiologischen Studien zufolge sei Übergewicht ein wesentlicher Risikofaktor der Harninkontinenz, so die Autoren.
Auch zu einer Reduzierung der Koffeinaufnahme raten die Leitlinien. Dies soll den imperativen Harndrang und die Miktionshäufigkeit verringern, nicht aber die Belastungsinkontinenz.
In puncto Lebensstil sei vor allem die körperliche Aktivität bedeutsam. Demnach sollte Frauen mit Belastungsinkontinenz und Mischharninkontinenz (inklusive älterer Patientinnen und Frauen nach der Geburt) Beckenbodentraining angeboten werden, lautet eine weitere Empfehlung. Es sei sinnvoll, die Beckenbodenkraft zu kontrollieren und das Training über mindestens 3 Monate lang durchzuführen.
„Diese Leitlinie bietet ein breites diagnostisches und therapeutisches Instrumentarium, dessen Anwendung sich am Leidensdruck und an der Therapiemotivation der Patientin orientiert“, betonte PD Dr. Gert Naumann, einer der Leitlinienkoordinatoren. Er ist Chefarzt an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Helios Klinikums Erfurt. Naumann ergänzt: „Eine fachgerechte Diagnostik und eine gut fundierte Beratung kann jeder betroffenen Frau die Chance auf eine individualisierte Behandlung eröffnen.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de.
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Diesen Artikel so zitieren: Was tun bei Belastungsinkontinenz und bei überaktiver Blase? Die S2k-Leitlinie zur Harninkontinenz gibt Empfehlungen - Medscape - 9. Mai 2022.
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