Long-COVID: Luftnot könnte auf langanhaltende Immunantwort in der Lunge zurückzuführen sein

Rob Hicks

Interessenkonflikte

11. April 2022

Über die Hälfte ehemaliger COVID-19-Patienten berichtet über anhaltende Luftnot. Forschende haben nach ihrer neuen Studie die Vermutung geäußert, dass dies auf eine langanhaltende Immunantwort in den Atemwegen zurückzuführen sein könnte. Damit eröffneten sich Wege zur Lösung des Problems.

Die Studie wurde in der Zeitschrift Immunity veröffentlicht [1]. Die Wissenschaftler des National Heart and Lung Institute (NHL) am Londoner Imperial College untersuchten direkt, welche Immunzellen nach einer COVID-19-Infektion in der Lunge aktiv sind. Dabei stellten die Autoren um Dr. Bavithra Vijayakumar vom NHL fest, dass COVID-19 bei Personen mit einer anhaltenden Lungenerkrankung eine anhaltende Veränderung des Immunsystems in den Atemwegen verursacht.

 
Unsere Studie ergab, dass noch viele Monate nach einer SARS-CoV-2-Infektion abnorme Immunzellen in den Atemwegen von Erkrankten mit anhaltender Atemnot zu finden waren. Dr. James Harker
 

Für ihre Forschung untersuchten sie 38 COVID-19-Patienten, die sich 3 bis 6 Monate nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus einer Bronchoskopie unterzogen, um die anhaltend gestörte Atmung untersuchen zu lassen. Sie verglichen diese Gruppe mit 29 gesunden Freiwilligen, die keine Grunderkrankungen hatten und nicht an COVID-19 erkrankt waren. Sie führten dann Computertomografien (CT) der Lunge und Lungenfunktionsprüfungen durch und entnahmen Flüssigkeitsproben aus den Lungen und Blutproben.

Anhaltende Immunreaktion in der Lunge

Die Autoren fanden 3 bis 6 Monate nach der Infektion keine Unterschiede zwischen den Immunzellen im Blut der COVID-19-Infizierten und der Gesunden. In den Lungen aus der Long-COVID-Gruppe waren jedoch mehr Immunzellen zu finden als in denen der gesunden Kontrollpersonen.

 
Nach diesen Ergebnissen scheint die anhaltende Atemnot bei Long-COVID darauf zurückzugehen, dass die Immunreaktion nicht abgeschaltet werden kann. Prof. Dr. Pallav Shah
 

Dr. James Harker vom NHL und korrespondierender Autor der Studie sagte: „Unsere Studie ergab, dass noch viele Monate nach einer SARS-CoV-2-Infektion abnorme Immunzellen in den Atemwegen von Erkrankten mit anhaltender Atemnot zu finden waren. Wir konnten zudem eine Proteinsignatur in der Lunge identifizieren, die eine anhaltende Schädigung der Atemwege anzeigt.“

Alle Post- oder Long-COVID-19-Patienten wiesen tendenziell mehr Immunzellen auf, die mit dem Absterben von Zellen, Epithelschäden und Gewebereparatur in Verbindung stehen, so die Autoren.

Zudem schienen die verschiedenen Immunzellen in der Lunge offenbar auch unterschiedliche Aufgaben zu haben. So bedeuteten etwa mehr zytotoxische T-Zellen eine Schädigung des Lungengewebes und eine stärker beeinträchtigte Atmungsfunktion, während ein höherer Anteil an B-Zellen mit klareren Lungenanomalien im CT verbunden war, wie z.B. Narbenbildung und sichtbare Veränderungen des Lungengewebes.

 
Bei schweren Infektionen wie bei den Studienteilnehmern treten tendenziell auch vermehrt Entzündungszeichen auf. Dr. Bavithra Vijayakumar
 

Einer der Hauptautoren der Studie, Prof. Dr. Pallav Shah, ebenfalls vom NHL, sagte: „Nach diesen Ergebnissen scheint die anhaltende Atemnot bei Long-COVID darauf zurückzugehen, dass die Immunreaktion nicht abgeschaltet werden kann, was zu Entzündungen und Verletzungen der Atemwege führt.“

Vijayakumar erklärte, die unmittelbare Reaktion auf COVID-19 bedeute einen Anstieg verschiedener Immunzellen im Blut und in der Lunge, die das Virus bekämpfen. „Bei schweren Infektionen wie bei den Studienteilnehmern treten tendenziell auch vermehrt Entzündungszeichen auf“, sagte er weiter. „Nach 3 bis 6 Monaten scheinen sich diese Merkmale im Blut wieder zu normalisieren, während dies in der Lunge länger dauert.“

Mögliche Besserung im Laufe der Zeit

Die Forschenden untersuchten auch, ob sich die Symptome und die Befunde des Lungenimmunsystems im Laufe der Zeit verbesserten. Dazu untersuchten sie 17 Personen aus der Long-COVID-Gruppe ein Jahr nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus erneut.

 
Die Immunantwort im Blut scheint nicht mit der in der Lunge übereinzustimmen. Dr. Bavithra Vijayakumar
 

Dabei stellten sie fest, dass sich bei 14 Teilnehmern die Symptome verbessert hatten und im CT weniger Lungenanomalien zu sehen waren. Die anderen 3 Teilnehmer zeigten weiterhin die Lungenanomalien, allerdings hatte die Zahl der Immunzellen in ihren Atemwegen im Vergleich zu den früheren Untersuchungen abgenommen. Demnach könnten sich diese Immunreaktionen mit der Zeit verbessern, so die Autoren.

Vijayakumar sagte weiter: „Die Immunantwort im Blut scheint also nicht mit der in der Lunge übereinzustimmen. Wir müssen also die Immunsituation in den Atemwegen bewerten lernen, um persistierende Atemwegssymptome nach COVID-19 besser zu verstehen.“

Eine Bremse für das Immunsystem kann helfen

Die Autorinnen und Autoren weisen auf die Grenzen ihrer Studie hin und betonten, dass die Teilnehmer eine schwere COVID-19-Erkrankung mit stationärem Aufenthalt und ständiger Überwachung erlitten hatten, sodass unklar ist, inwieweit die Ergebnisse auf Personen mit minder schwerer Erkrankung übertragbar sind.

Sie wiesen auch darauf hin, dass sie die Lungen der Patienten erst nach der COVID-19-Erkrankung untersuchen konnten, sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die entdeckten Anzeichen bereits vor der Infektion vorhanden waren.

Die Ergebnisse müssten zwar noch durch eine größere Studie bestätigt werden, so die Autoren, doch scheinbar könne die Erholung von einem Long-COVID-Syndrom durch Dämpfung des Immunsystems und der damit verbundenen Beruhigung des Entzündungsgeschehens beschleunigt werden.

Shah sagte: „Als nächstes versuchen wir herauszufinden, ob es Behandlungen gibt, welche die Immunantwort bremsen und damit dazu beitragen, die anhaltende Atemnot zu verringern, unter der einige der Betroffenen leiden.“

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.co.uk übersetzt und adaptiert.
 

Kommentar

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