Kombination aus Vareniclin und Nikotinpflastern lässt Raucher, die zudem viel trinken, anscheinend leichter aufhören

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

7. April 2022

Eine kombinierte Behandlung mit Vareniclin und Nikotinpflastern verhilft mehr Rauchern, die zugleich starke Trinker sind, zur Tabakabstinenz, als Nikotinpflaster es in Verbindung mit einem Placebo tun. Zu diesem Schluss kommt eine randomisierte und doppelblinde Studie mit 122 Probanden, die US-Forscher um Prof. Dr. Andrea King vom Department of Psychiatry and Behavioral Neuroscience der University of Chicago in JAMA Network Open vorgestellt haben [1].

„Raucher, die stark trinken, sind in der Regel weniger erfolgreich bei der Tabakentwöhnung als Nichttrinker“, schreiben King und ihr Team. Die Kombination aus Vareniclin und einer Nikotinersatztherapie sei bislang nur bei nicht stark trinkenden Rauchern untersucht worden.

 
Raucher, die stark trinken, sind in der Regel weniger erfolgreich bei der Tabakentwöhnung als Nichttrinker. Prof. Dr. Andrea King und Kollegen
 

Mit ihrer eigenen Studie wollten die Wissenschaftler nun ermitteln, inwieweit der kombinierte Behandlungsansatz auch Rauchern, die regelmäßig größere Mengen Alkohol konsumieren, zur dauerhaften Tabakabstinenz verhelfen kann.

Fast die Hälfte der Probanden schaffte den Rauchstopp

Ob sich das zentrale Ergebnis der Studie – dass fast die Hälfte der Teilnehmer, die eine Kombinationstherapie aus Vareniclin und Nikotinersatz erhalten hatten, es schaffte, mit dem Rauchen aufzuhören – auf den klinischen Alltag hierzulande übertragen lässt, hält der deutsche Suchtmediziner Prof. Dr. Norbert Wodarz jedoch zumindest für fraglich.

„Es scheint sich hier um eine sehr selektionierte Probandengruppe mit einer hohen intrinsischen Motivation zu handeln“, sagt der Chefarzt des Zentrums für Suchtmedizin der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie & Psychotherapie der Universität Regensburg am Bezirksklinikum Regensburg im Gespräch mit Medscape.

Das zeige sich zum einen an der ungewöhnlich hohen Durchhalterate der Studienteilnehmer, zum anderen an der sehr langen Rekrutierungsphase. „Die Probanden dieser Studie haben vermutlich nur wenig Ähnlichkeit mit den klassischen Patienten, die zu uns kommen“, sagt Wodarz. „Denn meist sehen wir hier Raucher, die eigentlich gar keine Lust haben, ihren Tabakkonsum einzuschränken oder gar ganz mit dem Rauchen aufzuhören.“

Trotz alledem sei es natürlich gut, wenn Studien wie die von King und ihrem Team vorgenommen würden, betont Wodarz.

Im Schnitt rauchten die Teilnehmer knapp 12 Zigaretten am Tag

Die US-Forscher hatten für ihre Studie zwischen März 2018 und Februar 2020 an 2 ambulanten Standorten in Chicago insgesamt 122 Probanden mit einem durchschnittlichen Alter von 44 Jahren rekrutiert. 67 von ihnen (54,9%) waren Männer.

Die Teilnehmer rauchten zwischen 5 und 30 Zigaretten am Tag, im Schnitt waren es knapp 12, und tranken nach Angaben der Forscher stark. Das hieß: Männer nahmen mehr als 14 und Frauen mehr als 7 standardisierte alkoholische Getränke in der Woche zu sich und hatten im Monat mindestens 1 Tag mit starkem Alkoholkonsum, definiert als mindestens 5 Getränke bei Männern und 4 oder mehr Getränke bei Frauen. Ein Standardgetränk entspricht zum Beispiel 0,3 Liter Bier, 0,1 Liter Wein oder 0,03 Liter Schnaps.

Alle Probanden hatten zudem den Wunsch, mit dem Rauchen aufzuhören.

„Starke Trinker sind hierzulande allerdings etwas anderes“, kommentiert Wodarz die Aufnahmekriterien von King und ihren Kollegen. Mit den genannten Alkoholmengen gelte man hierzulande eher als Gesellschaftstrinker. „Zudem gibt es bislang keine Belege, dass Nikotinpflaster bei einer täglichen Zigarettenmenge von weniger als 15 überhaupt einen Effekt haben“, sagt der Suchtmediziner. Bei diesen Rauchern seien die Entzugserscheinungen gar nicht so stark, weshalb sie in der Regel deutlich mehr von einer Verhaltenstherapie profitieren würden.

Fast 9 von 10 Probanden hielten bis zum Ende der Studie durch

Der einen Hälfte der US-Probanden wurde 12 Wochen lang 2-mal täglich 1 mg Vareniclintartrat, der anderen Hälfte 2-mal täglich ein Placebo verabreicht. Alle Teilnehmer erhielten zudem für 10 Wochen Nikotinpflaster in der vom Hersteller empfohlenen Dosierung sowie 2 individuelle Beratungsgespräche zur Raucherentwöhnung in der Woche vor dem Aufhördatum und am Aufhördatum selbst.

Als primären Endpunkt ihrer Studie formulierten die Forscher um King die von den Teilnehmern selbst angegebene kontinuierliche Zigarettenabstinenz in den Wochen 9 bis 12, wobei die Abstinenz in Woche 12 im Labor überprüft wurde.

Sekundäre Endpunkte waren die Häufigkeit des wöchentlichen Alkoholkonsums und des wöchentlichen starken Alkoholkonsums während des Studienzeitraums.

Wie King und ihre Kollegen berichten, hielten 89% der Probanden bis zum Ende der Studie durch.

Die Intention-to-Treat-Analysen ergaben, dass die Raucherentwöhnungsraten in den Wochen 9 bis 12 in der Vareniclin-Gruppe mit 27 Teilnehmern (44,3%) höher war als in der Placebo-Gruppe (17 Teilnehmer, 27,9%). Die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls während der Behandlung war in der Vareniclin-Gruppe im Vergleich zur Placebo-Gruppe um 38% verringert.

Beide Behandlungen wurden den Angaben der Forscher zufolge gut vertragen. Im Vergleich zu den Teilnehmern der Placebo-Gruppe traten in der Vareniclin-Gruppe jedoch mehr Nebenwirkungen auf. 5 Teilnehmer der Vareniclin-Gruppe brachen die Behandlung aufgrund dieser unerwünschten Effekte ab.

Vareniclin kann vereinzelt zu Suizidabsichten führen

„Leider hat Vareniclin bei manchen Patienten wirklich unangenehme Nebenwirkungen“, sagt Wodarz. Zu den häufigsten gehören unter anderem Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Müdigkeit, Schlaflosigkeit, abnorme Träume und Geschmacksstörungen. Vereinzelt können unter dem Mittel zudem offenbar depressive Verstimmungen bis hin zu Suizidabsichten auftreten.

Wodarz verschreibt das Präparat daher, gemäß der aktuellen Leitlinien, in der Regel nur dann, wenn Verhaltens- und Nikotinersatztherapien zuvor nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben – und wenn der Betroffene wirklich aus eigener Motivation heraus mit dem Rauchen aufhören möchte.

 
Es fällt mir schwer zu glauben, dass sich diese Ergebnisse generalisieren lassen. Prof. Dr. Norbert Wodarz
 

„Ob eine Kombination aus Vareniclin und Nikotinersatz wirklich einen Mehrwert hat, war bislang zumindest umstritten“, sagt der Mediziner. Dieser sei in der aktuellen Studie zwar eindrucksvoll gezeigt worden. „Aber es fällt mir schwer zu glauben, dass sich diese Ergebnisse generalisieren lassen.“

Letztendlich sei es eine individuelle Entscheidung des Patienten, ob er, wenn er plane, den Rauchstopp mithilfe von Vareniclin anzugehen, zusätzlich Nikotinpflaster verwenden wolle oder nicht. Wichtig seien in jedem Fall ein Einschleichen des Medikaments und im Anschluss eine zuverlässige Einnahme. „Ansonsten drohen noch stärkere Nebenwirkungen“, sagt Wodarz.

Gerade an der Zuverlässigkeit mangele es aber vielen starken Trinkern, weshalb er bei diesen Patienten eher vorsichtig sei.

Bei allen Teilnehmern reduzierte sich der Alkoholkonsum deutlich

Überrascht zeigten sich die US-Forscherin King und ihre Kollegen von der Beobachtung, dass die Teilnehmer beider Studiengruppen ihren Alkoholkonsum reduzierten. Am Ende der 12 Wochen sei die Zahl der wöchentlichen Trinktage bei den Probanden um 25% zurückgegangen, schreiben sie.

Die Teilnehmer waren nicht direkt aufgefordert gewesen, ihren Alkoholkonsum zu reduzieren, aber sie wurden während der Studie wiederholt dazu befragt. In den beiden Gesprächen wurde Alkohol zudem als ein Auslöser für das Rauchen erwähnt.

„Auch wenn noch weitere Untersuchungen erforderlich sind, um festzustellen, was genau diesen Rauchern geholfen hat, ihren starken Alkoholkonsum zu reduzieren, deuten die Ergebnisse dieser Studie darauf hin, dass die gleichzeitige Behandlung beider Süchte Synergieeffekte haben und insgesamt zu besseren Gesundheitsergebnissen führen könnte als bisher angenommen“, heißt es in einer von der University of Chicago veröffentlichten Mitteilung zu der Studie.

In der Vergangenheit sei Menschen, die mit dem Trinken aufhören oder aufhören wollen, hingegen davon abgeraten worden, gleichzeitig das Rauchen sein zu lassen.

Mehr Alkoholiker sterben an tabak- als an alkoholbedingten Krankheiten

Die Suchtexpertin King sieht diese Empfehlung inzwischen kritisch: „Mehr Alkoholiker sterben an tabak- als an alkoholbedingten Krankheiten“, wird sie in der Mitteilung zitiert. „Daher sollte die Behandlung beider Süchte bereits in der Frühphase der Therapie ein Thema sein.“

 
Mehr Alkoholiker sterben an tabak- als an alkoholbedingten Krankheiten. Prof. Dr. Andrea King
 

Zum Beispiel könne die Raucherentwöhnung auf starke Trinker zugeschnitten werden, indem eine Kombination aus Vareniclin und Nikotinersatz verabreicht werde. Zudem könnten die behandelnden Ärzte ihre Patienten darüber informieren, wie sich deren Trinkgewohnheiten auf die Bemühungen, mit dem Rauchen aufzuhören, auswirken.

 

Kommentar

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