Gastroenterologen fordern Reformen – das große Ziel heißt: Sektorgleiche Leistungen auch gleich vergüten

Christian Beneker

Interessenkonflikte

6. April 2022

Ambulantisierung – ja. Aber nicht zu jedem Preis. Das erklärten die Teilnehmer einer Online-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) e.V. [1]. „Welche Leistungen können wir ambulant erbringen und welche Leistungen stationär?“, fragte Prof. Dr. Heiner Wedemeyer, Sprecher der DGVS. „Das Thema treibt uns um.“

Konkret geht es unter anderem um die Befürchtung, dass es dem ambulanten Sektor weiter an Honorar und an den Strukturen fehlt, um bisher stationäre Leistungen zukünftig ambulant zu erbringen.

 
Wir müssen über die Vergütung sprechen. Dr. Ulrich Tappe
 

Nicht zuletzt deshalb würden eigentlich typisch ambulante Behandlungen in die stationäre Versorgung verschoben. „Beispielhaft ist hier die Refluxdiagnostik, wobei die Impedanz-pH-Metrie oder die High-Resolution-Manometrie klassische Beispiele einer Leistungserbringung sind, die in den ambulanten Sektor gehören, hier aber durch die entstehenden Sachkosten nicht angeboten werden können“, erklärte Dr. Ulrich Tappe, 1. Vorsitzender des Berufsverbandes Niedergelassener Gastroenterologen Deutschlands e.V., auf der Pressekonferenz. „Wir müssen über die Vergütung sprechen“, so Tappe.

Mit den Honoraren aus dem EBM könnten die Gerätekosten bei weitem nicht refinanziert werden. Umso schwieriger werde die Situation, da zukünftig immer mehr und immer ältere Patienten die Praxen aufsuchen werden, während die Zahl der Ärztinnen und Ärzte abnehme.

Vergütung: „Das Thema treibt uns um“

Prof. Dr. Ulrike Denzer von der Gastroenterologie des Uniklinikums Gießen sprach für den stationären Bereich. Denzer verwies auf das MDK-Reformgesetz, das seit 2020 in Kraft steht. Es sieht vor, dass der Katalog der OP-Leistungen, die Krankenhäuser ambulant erbringen dürfen, erweitert wird. Damit wandern jährlich 1,6 Millionen Endoskopien des oberen Verdauungstraktes und 420.000 des unteres Verdauungstrakte in den ambulanten Sektor.

Das Problem: Schon längst bleibe es hier oft nicht bei einfachen Endoskopien, so Denzer. „Hier ist zu berücksichtigen, dass sich die stationäre GI-Endoskopie in den vergangenen Jahrzehnten neben der reinen Diagnostik zu einer ‚operativen‘ Endoskopie entwickelt hat, die chirurgische Eingriffe ersetzt“, sagte die Ärztin. Hier seien tagesklinische Leistungen gefragt.

Die kosteneffektive Vergütung sei dabei „ein wesentlicher Punkt“. Welche Leistungen wo erbracht werden, könnte eigentlich auch durch den Schweregrad der Erkrankung eines Patienten entschieden werden, hieß es. Allerdings fehlten hier noch die Schweregrad-Definitionen für beide Sektoren, beklagt die DGSV. Um Zeitaufwand, Personalaufwand, Komplexität und Material differenziert und angemessen vergüten zu können, hat die DGVS einen Schweregradkatalog entworfen.

Komplex-ambulante DRG – offenbar nicht für alle eine gute Lösung

Während man in Deutschland seit Jahrzehnten trotz Disease-Management-Programmen oder der spezialfachärztlichen Versorgung vergeblich versucht, die Schwelle zwischen den Sektoren zu schleifen, sind andere Länder da schon viel weiter. Das referierte Prof. Dr. Boris Augurzky, Leiter des Kompetenzbereiches „Gesundheit“ am RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen.

„Andere Länder gingen bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren deutlich konsequenter diesen Weg, so dass Deutschland diesbezüglich immer mehr ins Hintertreffen geraten ist“, erklärte Augurzky. „So gibt es beispielsweise in Norwegen, Dänemark, England, Frankreich und den USA sektorengleiche Leistungsbereiche mit einer einheitlichen Vergütung. In der Konsequenz werden in anderen Ländern zahlreiche Leistungen häufiger ambulant erbracht als in Deutschland.“

Was tun? Immerhin hat die Ampelkoalition in ihrem Vertrag eine „Hybrid-DRG“ als eine Option genannt, also ein Vergütungsmodell für sektorengleiche Leistungen. Vermutlich würden aber ehemals stationäre Leistungen, die dann ambulant erbracht würden, wegen des höheren Schweregrades teurer werden, meinte Augurzky. Eine Vergütung nach EBM würde in der Tat nicht reichen. Deshalb würden weder Krankenhäuer noch niedergelassene Ärzte diese Leistungen erbringen wollen, was einen Versorgungengpass zur Folge haben könnte.

 
In anderen Ländern werden zahlreiche Leistungen häufiger ambulant erbracht als in Deutschland. Prof. Dr. Boris Augurzky
 

Es bräuchte nach Ansicht Augurzkys eine Vergütung, in der die Ärzte frei wählen können, ob die Leistung ambulant oder stationär erbracht wird. Aktuell hat sein Haus eine „komplex-ambulante DRG“ entwickelt. Sie differenziert die Honorierung einheitlich nach 3 Schweregraden, die sich aus Patienteneigenschaft und Länge der Prozeduren ergibt. „Für hohe Sachkosten können sich Zusatzentgelte ergeben“, erklärte Augurzky.

Außerdem empfiehlt der Wirtschaftswissenschaftler eine Konvergenzphase, in der die Unterschiede zwischen der normalen DRG und den Komplex-ambulanten DRG noch teilweise ausgeglichen werden. Es könnte sogar die Differenz um 25% überkompensiert werden, um die Ambulantisierung per „Booster-Phase“ zu beschleunigen.

Die Vorschläge der DGVS dürften indessen nicht allen zusagen. Prof. Dr. Reinhard Busse von der TU Berlin hat per Umfrage für das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI) und das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) ermittelt, dass sowohl die Krankenhäuser als auch die Niedergelassenen zwar grundsätzlich gerne mehr ambulant operieren möchten.

Bei der Bezahlung allerdings gehen die Vorstellungen auseinander:

  • 36% der Kliniken können sich danach eine pauschalierte Vergütung gut vorstellen.

  • Für ein sektorengleiches Honorar, wie von Augurzky vorgeschlagen, können sich nur 11% der Vertragsärztinnen und - ärzte erwärmen.

  • 42% von ihnen würden lieber bei der Einzelleistungsvergütung bleiben, was bei den meisten Krankenhäusern auf Ablehnung trifft.

  • Nur 18% der befragten Krankenhäuser würden einer Einzelleitungsvergütung zustimmen.

 

Kommentar

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