Eine Behandlung schon bei Werten zwischen 140 und 160 mmHg schützt Schwangere vor Präeklampsie, ohne dem Kind zu schaden

Dr. Angela Speth

Interessenkonflikte

5. April 2022

Eine schwangere Frau mit leichter Hypertonie – gleich behandeln oder abwarten, bis die Werte über 160 mmHg steigen? Im New England Journal of Medicine und zeitgleich beim Jahreskongress des American College of Cardiology (ACC.22) präsentieren Forscher eine Antwort auf diese bisher umstrittene Frage: ein Ja zur Blutdrucksenkung [1,2]. Denn in ihrer Studie verringerte eine Therapie Schwangerschaftskomplikationen, ohne das Wachstum des Fötus zu behindern.

„Ein besonders bemerkenswertes und bislang nicht beobachtetes Ergebnis dieser Studie: Speziell Präeklampsien kamen in der Gruppe mit Antihypertensiva wesentlich seltener vor als in der Vergleichsgruppe ohne Behandlung“, schreiben die Kommentatoren im Editorial, Dr. Michael F. Greene und Dr. Winfred W. Williams vom Massachusetts General Hospital in Boston [3]. „Sollte sich dieser Zusammenhang bestätigen, wäre das ein zwingender Grund, die Empfehlungen zur leichten Hypertonie während einer Schwangerschaft zu ändern.“

Nach US-Daten haben mehr als 2% der Schwangeren eine Hypertonie. Die Folgen: für die Mutter ein erhöhtes Risiko für Präeklampsie, für das Kind Plazenta-Ablösung, Frühgeburt, ein vermindertes Geburtsgewicht oder perinataler Tod.

 
Speziell Präeklampsien kamen in der Gruppe mit Antihypertensiva wesentlich seltener vor als in der Vergleichsgruppe ohne Behandlung. Dr. Michael F. Greene und Dr. Winfred W. Williams
 

Die Häufigkeit von Bluthochdruck während der Schwangerschaft steigt seit 5 Jahrzehnten unaufhaltsam an, parallel zu eng assoziierten Faktoren: Alter der Mutter über 35 Jahre und Übergewicht. In den USA trafen diese Kriterien auf gut die Hälfte der Frauen zu, die 2019 ein Kind zur Welt brachten, wie Greene und Williams berichten. Ein weiteres Risikomerkmal ist dunkle Hautfarbe: Bei diesen Frauen ist Bluthochdruck mehr als doppelt so häufig wie bei weißen Frauen.

Bei schwerer Hypertonie wird für Schwangere eindeutig eine Behandlung empfohlen. Allerdings ist bei den meisten Schwangeren mit erhöhtem Blutdruck die Störung nur leicht ausgeprägt, das heißt die Werte liegen zwischen 140 und 160 mmHg.

2.400 Schwangere in Studie aufgenommen

„Wir wissen seit langem, dass es – außerhalb der Schwangerschaft – wichtig ist, selbst mäßigen Bluthochdruck zu behandeln, vor allem, um kardiovaskulären Ereignissen und Todesfällen vorzubeugen. Aber es gab eine gewisse Kontroverse und Unsicherheit darüber, ob dies auch während der Schwangerschaft gilt. Grund waren vor allem Bedenken, dass die Entwicklung des Fötus beeinträchtigt wird“, erläutert der Studienleiter Dr. Alan T. N. Tita von der Universität Alabama in Birmingham in einer ACC-Mitteilung.

Denn die Therapie könnte auch den Blutfluss durch die Plazenta drosseln. Zwar sind die Schwangeren nach bisherigen Erkenntnissen vor einem Anstieg über 160/110 mmHg geschützt, aber sonst profitieren weder Mutter noch Kind. So ist zu erklären, dass die Empfehlungen internationaler Organisationen variieren.

Um einen Konsens zu schaffen, haben Tita und seine Kollegen die Behandlung bei 2.400 Schwangeren – fast die Hälfte mit dunkler Haut – an 61 Orten in den USA untersucht.

Die Teilnehmerinnen ihres Projekts Chronic Hypertenion and Pregnancy (CHAP) hatten systolisch Werte zwischen 140 und 160 mmHg und diastolisch zwischen 90 und 105 mmHg. Bei gut der Hälfte handelte es sich um eine Neudiagnose, bei den übrigen war der Hochdruck bekannt und teils behandelt, teils aber nicht. Alle trugen einen einzelnen Fötus vor der 23. Schwangerschaftswoche, der mittlere Body-Mass-Index lag bei 38 zu Studienbeginn, 16% hatten Diabetes.

Randomisiert erhielt die Hälfte der Frauen ein Mittel zur Einstellung eines Blutdrucks unter 140/90 mmHg, bei den übrigen wurde eine Behandlung mit demselben Ziel nur dann eingeleitet, wenn die Werte über 160/105 mmHg stiegen. Fast 2 Drittel nahmen Labetalol, nahezu alle übrigen Nifedipin mit verlängerter Wirkstofffreisetzung.

Ergebnisse sprechen für medikamentöse Blutdrucksenkung

Die Ergebnisse fielen zugunsten der medikamentösen Absenkung aus:

  • Der mittlere Blutdruck war niedriger als in der Kontrollgruppe: 130/79 mmHg zu 133/82 mmHg.

  • Primäre Ereignisse traten seltener auf als ohne Therapie, nämlich bei 30% zu 37%. Dieser Parameter umfasste eine Kombination aus schwerer Präeklampsie, medizinisch indizierter Frühgeburt vor der 35. Schwangerschaftswoche (wegen Erkrankungen von Mutter oder Kind, nicht wegen spontaner Wehen oder Blasensprung), Plazenta-Ablösung, Tod von Fötus oder Neugeborenem. Um ein solches Unglück zu verhindern, müssten 15 Patientinnen behandelt werden, rechnen die Autoren vor.

  • Auch schwere Komplikationen befanden sich in der Minderzahl: bei den Müttern 2,1% zu 2,8% (etwa Tod, Schlaganfall oder Herzversagen) – beim Neugeborenen 2% zu 2,6% (etwa bronchopulmonale Dysplasie, Retinopathie, Enterokolitis oder Blutungen).

  • Vor allem bei der Komponente Präeklampsie schnitt die Behandlung mit 24% zu 31% besser ab, ebenso bei Frühgeburten mit 28% zu 31%.

  • Bei einer kleineren Zahl von Frauen verschlechterte sich die leichte zur schweren Hypertonie, nämlich bei 36% im Vergleich zu 44%.

  • Die Kinder wogen bei der Geburt nicht wesentlich weniger: 11% lagen unterhalb der 10. Perzentile im Vergleich zu 10% in der Kontrollgruppe. Auch beim Plazentagewicht fand sich kein Nachteil.

„Das ist ein weiterer Beweis für die Sicherheit der Behandlung. Es ist sehr beruhigend, dass jegliche Anzeichen für ein vermindertes fötales Wachstum fehlen“, betonen Greene und Williams.

Ergebnisse der Subgruppenanalyse

Eine Behandlung kommt allen Schwangeren zugute, wie eine Subgruppen-Analyse zeigte. Es machte keinen Unterschied, ob die Teilnehmerinnen bereits vor der Studie Antihypertensiva erhalten hatten oder nicht, ob sie an Diabetes erkrankt waren oder nicht, welcher ethnischen Gruppe sie angehörten, wie weit die Schwangerschaft fortgeschritten war oder wie hoch ihr Körpergewicht lag.

 
Es ist sehr beruhigend, dass jegliche Anzeichen für ein vermindertes fötales Wachstum fehlen. Dr. Michael F. Greene und Dr. Winfred W. Williams
 

Ein aufschlussreiches Detail: Die Hälfte der Teilnehmerinnen brachte ihr Kind per Sectio zur Welt, jedoch ist diese Rate nach Angaben der Forscher bei Frauen mit chronischem Bluthochdruck zu erwarten. „Die hohe Inzidenz von Kaiserschnitt-Entbindungen zieht die Aufmerksamkeit auf sich, war jedoch in beiden Gruppen gleich“, bemerken Greene und Williams.

Studienfortführung geplant

Fazit der Forscher um Tita: „Unsere Ergebnisse sprechen dafür, bei schwangeren Frauen mit chronischer Hypertonie einen Blutdruck unter 140/90 mmHg anzustreben. Das gilt auch für die Fortführung ihrer bereits etablierten Therapie.“

 
Unsere Ergebnisse sprechen dafür, bei schwangeren Frauen mit chronischer Hypertonie einen Blutdruck unter 140/90 mmHg anzustreben. Dr. Alan T. N. Tita und Kollegen
 

Der ACC-Mitteilung zufolge hat das National Heart, Lung, and Blood Institute dem CHAP-Konsortium kürzlich einen Zuschuss bewilligt, um diese Frauen bis zu 10 Jahre lang weiter zu beobachten. Ziel ist zu beurteilen, wie sich die Behandlung von Bluthochdruck während der Schwangerschaft langfristig auf die kardiovaskuläre Gesundheit auswirkt. Auch eine Studie zur Beobachtung der CHAP-Kinder wurde vorgeschlagen.
 

Kommentar

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