Therapeutisch eingesetzte Nukleinsäuren eröffnen neue Möglichkeiten in der Lipidtherapie. Bei der 71st Annual Scientific Session des American College of Cardiology (ACC22) berichteten Forschende von der erfolgreichen Cholesterinsenkung mit einem Antisense-Oligonukleotid bei mit Statinen vorbehandelten Patienten [1]. Und auch der Bezwingung des „letzten großen Hindernisses in der Lipidtherapie“ – dem Lipoprotein(a) – ist die Forschung per Gen-Silencing mit einem RNA-Wirkstoff einen großen Schritt nähergekommen.
Das experimentelle Antisense-Oligonukleotid Vupanorsen ist eine aus wenigen Nukleotiden bestehende synthetischen Nukleinsäure, die über komplementäre Basenpassung an andere Nukleinsäuren binden und diese so blockieren kann.
Antisense-Oligonukleotid senkt Cholesterin zusätzlich zur Statintherapie
„Bei mit Statinen vorbehandelten Patienten gelang es mit Vupanorsen das Non-HDL-Cholesterin und die Triglyzeride signifikant zu reduzieren, und das mit allen untersuchten Dosierungen“, berichtete Studienleiter Dr. Brian Bergmark vom Brigham and Women’s Hospital in Boston [2]. Darüber hinaus hätten bestimmte Dosierungen auch noch andere Lipidwerte gesenkt, wobei der Effekt auf Apolipoprotein B (ApoB) moderat gewesen sei. Ob diese Reduktionen ausreichten, um zu einer klinisch bedeutsamen Reduktion des kardiovaskulären Risikos beizutragen, müsse noch geklärt werden.
Die Konzentration an Angiopoietin-like protein 3 (ANGPTL3), dem Zielprotein der Substanz, senkte Vupanorsen um bis zu 95%. ANGPTL3 wird in der Leber gebildet und inhibiert die Lipoprotein-Lipase, die an der Metabolisierung von Triglyzeriden und Cholesterin beteiligt ist. Vupanorsen bindet an die ANGPTL3-mRNA und verhindert so die Proteinsynthese.
Inhibition der Lipasesynthese
„Von Loss-of-Function-Mutationen in ANGPTL3 wissen wir, dass diese mit niedrigeren Spiegeln an Plasmalipiden assoziiert sind“, sagte Bergmark beim Kongress. „2021 ist bereits ein ANGPTL3-Antikörper – Evinacumab – zur Behandlung der homozygoten familiären Hypercholesterinämie zugelassen worden.“
An der randomisierten TRANSLATE-TIMI-70-Studie nahmen 286 Patienten an 55 Zentren in den USA, Kanada und Polen teil. Zur Baseline hatten sie einen Non-HDL-Cholesterinspiegel ≥ 100 mg/dl, Triglyzeride von 150-500 mg/dl und nahmen bereits ein Statin ein.
Von dem subkutan zu injizierenden Antisense-Oligonukleoidid Vupanorsen wurden 7 Dosierungen gegen Placebo verglichen; sie reichten von 80 mg einmal im Monat bis 160 mg alle 2 Wochen.
Signifikante Reduktion des Non-HDL-Cholesterins
„Nach 24 Wochen hatte sich bei allen mit Vupanorsen behandelten Patienten das Non-HDL-Cholesterin signifikant reduziert“ so Bergmark. Die um Placebo adjustierte Differenz reichte von 22-27,7%. Signifikante Subgruppenunterschiede habe es nur zwischen Männern und Frauen gegeben (-21,1 vs. -33,6%; p=0,04).
Zusätzlich sanken bei den mit Vupanorsen behandelten Patienten die Triglyzeride um 41,3-56,8%, das LDL-Cholesterin um bis zu 16,2% und ApoB um bis zu 15,1%. Die Konzentrationen von ANGPTL3 waren unter Vupanorsen um 69,9-95,2% reduziert.
Was die Häufigkeit von Nebenwirkungen anging ähnelten sich die Vupanorsen-Gruppen (52-86%) und die Placebogruppe (71%). „Bei keinem der Patienten verschlechterte sich die Nierenfunktion und der Thrombozytenabfall blieb unter 100.000 mm3“, berichtete Bergmark.
Mehr Nebenwirkungen bei höheren Dosierungen
Aber unter den höheren Vupanorsen-Dosierungen sei es vermehrt zu Reaktionen an der Injektionsstelle und zu Erhöhungen der Leberenzyme Alanin-Aminotransferase (ALT) und Aspartat-Aminotransferase (AST) gekommen. Das Antisense-Oligonukleotid war außerdem mit einem dosisabhängigen Anstieg des Fettanteils in der Leber assoziiert. Dieses Ergebnis war so nicht zu erwarten gewesen, da Laborstudien in Tiermodellen eher darauf hingedeutet hatten, dass der Wirkstoff den Fettgehalt der Leber sogar senken könnte.
„Unabhängig von der Zukunft dieses Wirkstoffs haben wir Erkenntnisse gewonnen, die für künftige Studien sehr relevant sein könnten“, schloss Bergmark. „Es gibt zahlreiche andere Substanzen, die diesen oder benachbarte metabolische Signalweg anvisieren, es wird interessant sein zu sehen, wie sie abschneiden werden.“
Keine zugelassenen Therapieoptionen für erhöhtes Lipoprotein(a)
Für die Senkung von Nicht-HDL-Cholesterin, LDL-Cholesterin oder Triglyzeride gibt es mittlerweile verschiedene Therapieoptionen. Dennoch bleibt bei vielen Patienten ein kardiovaskuläres Restrisiko, weshalb neuartige Therapiestrategien immer willkommen sind.
Ganz anders ist es um das Lipoprotein(a) bestellt: „Lipoprotein(a) ist ein wichtiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen und Aortenstenose, aber es gibt keine zugelassenen Therapieoptionen“, berichtete Dr. Steven Nissen von der Cleveland Clinic. Der US-Kardiologe ist Studienleiter der APOLLO-Studie, die ein erster Schritt sein könnte, diese Lücke zu füllen [3].
APOLLO: Gen-Silencing mit RNA-Wirkstoff in Phase I erfolgreich
Beim ACC-Kongress in Washington D.C. wurden neue Phase-I-Daten präsentiert, dass der auf einer small interfering RNA (siRNA) basierende experimentelle Wirkstoff SLN360 in der Lage ist, erhöhtes Lipoprotein(a) im Blut um bis zu 98% zu senken.
Weltweit haben etwa 1 von 5 Menschen hohe Lipoprotein(a)-Werte. Die Behandlung mit siRNA könnte für sie eine mögliche Strategie sein, um Herzerkrankungen vorzubeugen. Anomal hohe Lipoprotein(a)-Werte seien mit einem hohen Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Aortenstenose assoziiert und gälten speziell bei jüngeren Menschen als Hauptursache für schwere Herzerkrankungen“, erklärte der US-Kardiologe Dr. Steven Nissen von der Cleveland Clinic beim ACC22.
Drastische Senkung von Lipoprotein(a) bei Höchstdosierung
Er leitete die Phase-I-Studie APOLLO, in der es gelang, den Lipoprotein(a)-Spiegel unter höheren Dosierungen von SLN360 um bis zu 98% abzusenken. Selbst nach 5 Monaten waren die Lipoprotein(a)-Werte der Studienteilnehmer noch 71-81% niedriger als zu Studienbeginn.
„Wir dachten uns schon, dass es funktionieren würde, aber vom Ausmaß und der Beständigkeit des Effekts waren wir doch überrascht“, sagte Nissen von der Cleveland Clinic. „Diese Ergebnisse sprechen für eine Weiterentwicklung dieser Therapiestrategie.“
Genblockade in der Leber
SLN360 ist eine auf siRNA basierte Gene-Silencing-Therapie, es blockiert in der Leber das Gen für Apolipoprotein(a), einem Schlüsselbaustein von Lipoprotein(a). In der APOLLO-Studie wurde die Verträglichkeit und Wirksamkeit des von dem Londoner Unternehmen Silence Therapeutics entwickelten Wirkstoffs untersucht.
Die Studienteilnehmenden waren frei von kardiovaskulären Vorerkrankungen, hatten aber Lipoprotein(a)-Spiegel ≥ 150 nmol/l. Der Wirkstoff wurde in den Dosierungen 30 mg, 100 mg, 300 mg oder 600 mg einmalig subkutan verabreicht, die Probanden dann 150 Tage nachbeobachtet.
Lipoprotein(a)-Senkung ist lang anhaltend
Das Gen-Silencing mit dem RNA-Wirkstoff reduzierte den Lipoprotein(a)-Spiegel dosisabhängig um bis zu 98%. Bei den Teilnehmenden mit den höchsten Dosierungen von 300 und 600 mg blieben Reduktionen über 70% bzw. über 80% für 5 Monate erhalten. Die höchsten Dosierungen reduzierten auch das LDL-Cholesterin und ApoB um 20-30%.
Schwere Nebenwirkungen seien nicht aufgetreten, so Nissen. Aber es seien – bei höheren Dosierungen – leichte Reaktionen an der Injektionsstelle aufgetreten.
Beurteilung der Sicherheit noch nicht möglich
Nissen weist aber darauf hin, dass es sich bei APOLLO um eine kleine Studie mit nur 32 Teilnehmenden im Durchschnittsalter von 50 Jahren gehandelt habe. Bei einer Studie dieser Größe und Dauer lasse sich die Sicherheit nicht vollständig erfassen.
„Lipoprotein(a) ist das letzte große Hindernis in der Lipidtherapie“, sagte er. „Bisher gab es keine Therapie, die diesen Patienten geholfen hat. Jetzt befinden sich gleich mehrere Therapien in der Entwicklung, die offenbar in der Lage sind, Lipoprotein(a) zu senken. Es bleibt zu hoffen, dass sich in den laufenden Studien auch zeigen wird, dass die RNA-Wirkstoffe auch die klinischen Folgen der erhöhten Lipoprotein(a)-Spiegel reduzieren.“
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Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Neuartige Ansätze in der Lipidtherapie: Antisense-Nukleotide und Gen-Silencing reduzieren Cholesterin und Lipoprotein(a) - Medscape - 4. Apr 2022.
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