Im Februar 2020 entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG): Das Gesetz zur geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aus dem Jahr 2015 ist nicht verfassungsgemäß. Es war formuliert worden, um einem Wildwuchs bei den Sterbehilfe-Angeboten entgegenzutreten.
Dagegen hat es viel Widerspruch gegeben. Auch Ärzte waren es, die dann vor das höchste deutsche Gericht gezogen sind, um eine andere Regelung zu erwirken. Mit der Entscheidung des BVerfG ist sie nun da: Das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und in Anspruch zu nehmen.
Aber wie ein entsprechendes Gesetz konkret aussehen soll, ist unklar. Denn das Verfahren stockt. Seit dem Beschluss der BVerfG ist die Suizidassistenz in Deutschland damit derzeit zwar ungeregelt und straffrei. Aber Ärzte, vor allem Palliativmediziner, begeben sich dennoch in eine Grauzone, wenn sie ihren Patienten bei der Selbsttötung assistieren wollen. Offen ist die Frage, welche Rolle Ärztinnen und Ärzte unter einer neuen Gesetzeslage spielen sollen oder dürfen. Wer darf assistieren, wenn es die Ärzte nicht tun (wollen)? Und welche Suizidwilligen kommen für eine ärztliche Assistenz überhaupt in Frage?
Der diesjährige Schmerz- und Palliativtag der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin hat diese Thematik in einer Podiumsdiskussion aufgegriffen [1].
Option Suizidassistenz wird medizinische Betreuung der Sterbenden verändern
„Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat Deutschland die liberalste Lösung beim assistierten Suizid“, erklärte Prof. Dr. Claudia Bausewein, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Sie würde als Ärztin niemanden, der Beratung braucht, abweisen. Aber Patienten mit dem Wunsch nach Suizidbeihilfe zu assistieren, sieht sie allerdings kritisch. Palliativmedizin könne viel, auch wenn sie Grenzen habe, betonte sie. Was sei mit den Palliativpatienten, deren Not gelindert werden konnte? „Bleibt da noch ein Suizidwunsch?“, fragte Bausewein.
Ganz ausschließen mochte sie es für sich persönlich zwar nicht, in Ausnahmefällen aus einer Gewissensentscheidung heraus zu assistieren. Aber die Suizidassistenz sei keine ärztliche Aufgabe, betonte sie. „Sollen wir Ärztinnen und Ärzte wirklich die Schmerzpille in der einen Kitteltasche haben und in der anderen das tödliche Mittel? Wenn ich als Ärztin die Option Suizidassistenz habe, dann wird die Betreuung meiner Patienten anders aussehen.“
Dr. Thomas Sitte, Vorsitzender der Deutschen Palliativstiftung, sagte: „Ich kämpfe dafür, dass Ärzte assistieren dürfen. Aber es ist keine ärztliche Aufgabe.“
Er habe als Arzt immer wieder Angst vor seiner eigenen Macht, räumte Dr. Dietmar Weixler ein, Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft. Die Österreichische Regelung, bei der die Ärzte nur ihrem Gewissen verpflichtet sind, sei auch eine Last. „Ich will kein Einzelkämpfer im Hinterzimmer sein“, sagte Weixler.
Situation in Österreich
In Österreich stimmte der Nationalrat im vergangenen Dezember einer Neuregelung beim ärztlich assistierten Suizid zu und stellt ihn gesetzlich nicht mehr unter Strafe. Die Regelung sieht vor, dass dauerhaft schwerkranke oder unheilbar kranke Erwachsene Sterbehilfe in Anspruch nehmen können, wenn sie zuvor von 2 Ärzten aufgeklärt wurden. Nach 12 Wochen – bei Patienten im Endstadium einer Erkrankung nach 2 Wochen – darf der Suizid dann geschehen.
Die aktuelle Gesetzeslage in Österreich sei für Suizidwillige aber nicht umsetzbar, sagte Dr. Christina Grebe, Vizepräsidentin des Dachverbandes Hospiz Österreich. Sie forderte unterdessen einen gesellschaftspolitischen Diskurs zum Freitod. „Wir haben hier ein gesellschaftspolitisches Thema, das nicht in einen gesetzlichen Rahmen gepresst werden sollte“, so Grebe.
„Wenn nicht die Ärzte beim Suizid assistieren dürfen, wer dann?“
Wenn es nicht die Ärzte sind, die beim Suizid assistieren, „dann überlassen sie das Feld den Sterbehilfevereinen. Und das ist im Zweifel gruselig“, sagte dagegen der Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns aus Witten. Es hatte die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht mit angestrengt. Man dürfe die Palliativmedizin nicht überschätzen und quasi als Allheilmittel betrachten. „Wir müssen erkennen, dass es Patienten gibt, denen wir derzeit kein Angebot machen können“, resümierte Thöns. Das müsse sich ändern.
Die Ärzte seien auch deshalb gefragt, weil sie sich mit der Medikation auskennen. „Oder sollte lieber ein Sterbehelfer die Aufgabe übernehmen?“, fragte Thöns, „immer mit dem Risiko, dass der Sterbeprozess sehr lange dauert oder dass der Sterbewillige schwerbehindert wieder erwacht? Wer soll es sonst machen, wenn nicht die Ärzte?“ Für Schwerkranke brauche es keine gesetzlichen Regelungen, aber für Gesunde, die sterben wollen. „Da sehe ich viel Diskussionsbedarf.“
Dass indessen keine Ärztin und kein Arzt zur Suizidassistenz gezwungen werden kann – da waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig. Ärztinnen und Ärzte sind ihrem Gewissen verpflichtet. Aber wer von ihnen soll es dann machen? Umfragen hätten ergeben, dass die meisten sterbewilligen Patienten nicht von ihrem behandelnden Arzt im Sterben begleitet werden wollen, erklärte der Präsident der deutschen Schmerzliga, Dr. Michael A. Überall. „Rund zwei Drittel wollen einen anderen Arzt!“ Woher sollen die aber kommen? Werde sich dann ein auf Suizidassistenz spezialisierte Gruppe herausbilden?, fragte sich die Runde.
Überall mahnte, die Bundesregierung solle die Tür nicht wieder schließen, die das BVerfG weit geöffnet hat. Die Frage der Suizidassistenz müsse direkt mit den Patienten geklärt werden „und nicht aufgrund eigener Ideologien“, betonte Überall. „Was Lebensqualität ist und was als würdiges Leben und Sterben empfunden wird, müssen wir den Patienten überlassen.“
Die Betroffenen niemals allein lassen
Offen auch die Frage, welche Menschen mit der Suizidassistenz durch Ärzte rechnen dürften. Niemand aus der Diskussionsrunde würde einen Patienten wegschicken, der Beratung sucht. Aber sollte man den Kreis der Sterbewilligen, die mit der Hilfe eines Arztes aus dem Leben scheiden wollen, aber auf Palliativpatienten begrenzen?
Überall erwähnte auch die vielen Schmerzpatienten, die zwar keine Palliativpatienten sind, aber dennoch sehr leiden „und jeden Tag mit ihrem Leben vor dem Abgrund stehen. Sie dürfen wir nicht vergessen. Welche Kriterien werden für sie aufgestellt?“
Norbert Schürmann, Vizepräsident der deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin und Tagungspräsident des Kongresses, betonte, Patienten, deren Symptome nicht mehr gelindert werden können, „müssen das Recht erhalten, zu gehen“. Aber wie sei zum Beispiel mit Diabetikern zu verfahren, die wegen starker Fußschmerzen sterben wollen? Da würden im Zweifel Grenzen überschritten, meinte Schürmann.
Einig waren sich alle Diskutanten indessen in einem: Menschen mit Suizidwünschen niemals alleine lassen!
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Diesen Artikel so zitieren: Diskussionen über assistierten Suizid: Welche Ärzte sollten helfen dürfen? Und welchen Patienten sollten man erlauben, zu sterben? - Medscape - 30. Mär 2022.
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