Prävention im Unterleib: Schon die Entfernung der Eileiter senkt Risiko für Eierstockkrebs – Daten von 58.000 Frauen

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

29. März 2022

Die vorbeugende Entfernung beider Eileiter kann das Risiko für Eierstockkrebs in späteren Jahren deutlich reduzieren. Zu diesem Ergebnis kommt eine retrospektive Kohortenstudie mit rund 58.000 kanadischen Probandinnen, die in der Open-Access-Zeitschrift JAMA Network Open veröffentlicht ist [1].

Wie die Forscher um Dr. Gillian Hanley, Assistenzprofessorin in der Abteilung für Gynäkologische Onkologie am Vancouver General Hospital, berichten, traten bei Frauen, die sich einer vorbeugenden Salpingektomie im Rahmen einer ohnehin geplanten Unterleibsoperation unterzogen hatten, deutlich weniger Fälle eines Ovarialkarzinoms auf als bei Patientinnen, die nur eine Hysterektomie oder eine Tubenligatur erhalten hatten.

Vor allem für Frauen mit einer BRCA-Mutation ist die Studie bedeutsam

„Dies ist ein wichtiger Artikel, der weitere Hinweise dafür liefert, dass die Entfernung der Eileiter zu einer Risikoreduktion für die Entstehung des Eierstockkrebses führt“, kommentiert Prof. Dr. Rita Schmutzler, Direktorin des Zentrums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs am Universitätsklinikum Köln, gegenüber Medscape. „Zudem untermauert er die Vermutung, dass zumindest ein Teil der Eierstockkrebserkrankungen ihren Ursprung in den Eileitern nimmt.“

In der Praxis sei es ja bereits so, dass man Frauen aktiv zu einer Salpingektomie rate, wenn sie beispielsweise eine Indikation zur Hysterektomie habe und daher eine OP ohnehin erforderlich sei.

 
Der Nachweis eines Zusammenhangs zwischen Eileiterentfernung und reduzierter Eierstockkrebsinzidenz ist besonders wichtig für Frauen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Eierstockkrebs. Prof. Dr. Rita Schmutzler
 

„Der Nachweis eines Zusammenhangs zwischen Eileiterentfernung und reduzierter Eierstockkrebsinzidenz ist ganz besonders wichtig für Frauen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Eierstockkrebs“, sagt Schmutzler. Zu ihnen würden zum Beispiel die Trägerinnen einer BRCA1/2-Mutation gehören, deren lebenslanges Risiko für Eierstockkrebs bei rund 20 bis 40% liege und damit mindestens 20-mal höher sei als das Risiko der Allgemeinbevölkerung.

Für Eierstockkrebs gibt es keine Methoden der Früherkennung

„Hierbei ist auch zu beachten, dass es für Eierstockkrebs weiterhin keine wirksamen Früherkennungsmöglichkeiten gibt, sodass die Eierstockentfernung für diese Frauen derzeit die einzige präventive Möglichkeit darstellt – die im Übrigen auch schon jetzt, mit dem Wissen um eine mögliche Eileiterbeteiligung bei der Entstehung des Eierstockkrebs, die Entfernung der Eileiter umfasst“, sagt Schmutzler.

 
Sollten sich die Hinweise auf eine Wirksamkeit der alleinigen Eileiterentfernung zur Reduktion des Eierstockkrebsrisikos bestätigen, wäre dies eine hervorragende Alternative für Hochrisikopersonen. Prof. Dr. Rita Schmutzler
 

„Sollten sich die Hinweise auf eine Wirksamkeit der alleinigen Eileiterentfernung zur Reduktion des Eierstockkrebsrisikos bestätigen, wäre dies eine hervorragende Alternative für Hochrisikopersonen, da diesen eine frühzeitige Menopause mit den damit einhergehenden Nebenwirkungen erspart bleiben würde“, ist Schmutzler überzeugt.

Denn vielfach gehe das erhöhte Krebsrisiko mit einem jüngeren Erkrankungsalter einher, sodass man Frauen mit einer BRCA1/2-Mutation derzeit zu einer Entfernung der Eierstöcke und Eileiter bereits zwischen dem 35. und 40. Lebensjahr rate, erläutert die Medizinerin.

Das Alter und die Dauer der Nachbeobachtung wurden berücksichtigt

Ihre kanadische Kollegin Hanley und deren Team analysierten für ihre Studie die Daten aller Frauen in British Columbia, die sich zwischen 2008 und 2017 einer opportunistischen Salpingektomie (OS) unterzogen hatten, also einer Entfernung beider Eileiter während einer Hysterektomie oder anstelle einer Tubenligatur. Die Eierstöcke der 25.889 Patientinnen, deren mittleres Alter 40,2 Jahre betrug, blieben unangetastet.

Als Vergleich dienten den Forschern um Hanley alle 32.080 Frauen, denen man im gleichen Zeitraum in British Columbia ausschließlich die Gebärmutter entfernt oder aber beide Eileiter zu Sterilisationszwecken durchtrennt hatte.

Ausgeschlossen wurden lediglich Patientinnen, die 6 Monate vor oder nach ihrer Operation die Diagnose eines gynäkologischen Karzinoms erhalten hatten.

Anhand der aufgetretenen Fälle von Eierstockkrebs in der Kontrollgruppe berechneten Hanley und ihre Kollegen zunächst die zu erwartenden Fälle in der OS-Gruppe. Dabei berücksichtigten sie unter anderem das Alter der Frauen und die Dauer der Nachbeobachtung.

Das Risiko für Brust- und Darmkrebs ließ sich nicht beeinflussen

Demnach hätten statistisch betrachtet bei den Frauen in der OS-Gruppe 5,27 seröse und 8,68 epitheliale Ovarialkarzinome auftreten müssen. Tatsächlich fanden die Forscher keine serösen und maximal 5 – die genaue Zahl wird zum Schutz der Privatsphäre der Frauen nicht angegeben – epitheliale Krebserkrankungen.

In der Kontrollgruppe kam es zu 15 serösen und 21 epithelialen Eierstockkrebsarten, von denen folglich 6 nicht serös waren.

Bei Brust- und Darmkrebs hingegen unterschieden sich die erwarteten und beobachteten Fälle in der OS-Gruppe nicht signifikant voneinander. Es gab 22,1 erwartete und 23 beobachtete Fälle von Brustkrebs sowie 9,35 erwartete und 8 beobachte Fälle von Darmkrebs.

 
Unsere Ergebnisse sprechen dafür, Patientinnen mit durchschnittlichem Risiko für Eierstockkrebs diese Option anzubieten. Dr. Gillian Hanley und Kollegen
 

„In der Studie wurde festgestellt, dass die Zahl der beobachteten Eierstockkrebsfälle bei Patientinnen, die sich einer prophylaktischen OS zum Zeitpunkt der Hysterektomie oder anstelle einer Eileiterdurchtrennung unterzogen, deutlich geringer war als erwartet“, heißt es im Fazit der Forscher.

Die meisten gynäkologischen Fachgesellschaften auf der ganzen Welt würden empfehlen, eine OS in Betracht zu ziehen. „Unsere Ergebnisse sprechen dafür, Patientinnen mit durchschnittlichem Risiko für Eierstockkrebs diese Option anzubieten“, schreiben Hanley und ihr Team. Diese Daten könnten auch bei der Entscheidungsfindung der Patientinnen in Bezug auf Verhütungsmöglichkeiten nach der Geburt eines Kindes hilfreich sein.

Niedrige Fallzahlen haben die statistische Analyse erschwert

„Eine retrospektive Beobachtung birgt im Vergleich zu prospektiven randomisierten Studien natürlich immer die Gefahr, dass Verzerrungen auftreten, die Einfluss auf das Ergebnis nehmen“, sagt Schmutzler. „Die Autoren beschreiben zwar eine Vielzahl der bekannten Faktoren – wie die Einnahme der Pille und weitere reproduktive Faktoren – und legen auch schlüssig dar, dass diese in den beiden Gruppen nicht unterschiedlich verteilt sind.“ Dies sei jedoch kein harter Beleg, dass solche modifizierenden Faktoren damit ausgeschlossen seien. Zudem lasse sich mit den trotz der beeindruckend großen Kohorte nur kleinen Fallzahlen keine robuste statistische Auswertung durchführen.

 
Die Nachteile einer solchen retrospektiven Studie liegen auf der Hand – dennoch zeigt sie, dass sich durch die opportunistische beidseitige Entfernung der Eileiter eine relevante Risikoreduktion erzielen lassen kann. PD Dr. Beyhan Ataseven
 

„Ich kann mich den Aussagen meiner Kollegin nur anschließen“, kommentiert PD Dr. Beyhan Ataseven, Leitende Oberärztin und Koordinatorin des Gynäkologischen Krebszentrums der Klinik für Gynäkologie & Gynäkologische Onkologie der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte, gegenüber Medscape. „Die Nachteile einer solchen retrospektiven Studie liegen auf der Hand – dennoch zeigt sie, dass sich durch die opportunistische beidseitige Entfernung der Eileiter eine relevante Risikoreduktion erzielen lassen kann.“

Eine große internationale prospektive Studie läuft bereits

„Zusammenfassend unterstreichen die Ergebnisse nachdrücklich die Notwendigkeit, diesen Präventionsansatz weiter zu verfolgen“, betont Schmutzler. Hierzu laufe derzeit auf internationaler Ebene eine große prospektive Studie namens TUBA-WISP-II, die Trägerinnen der BRCA1/2-Mutationen eine risikoreduzierende Eileiterentfernung anbiete, die zeitlich einer endgültigen Eierstockentfernung vorgeschaltet sei.

„Eine solche Studie ist selbstredend unter hohen Sicherheitsaspekten zu konzipieren, da die Kontrollgruppe keinem so schwerwiegenden Risiko wie einer Krebserkrankung ohne erkennbaren Nutzen ausgesetzt werden darf“, sagt Schmutzler. „Aus diesem Grund wird in der Interventionsgruppe der Zeitpunkt der Eierstockentfernung nach der Eileiterentfernung lediglich um wenige Jahre postponiert – bis zu einem Alter, in welchem die Krebsinzidenz noch immer sehr gering ist, und wenn die Ratsuchenden nach vorheriger Aufklärung und Abwägung aller Vor- und Nachteile dieses Vorgehen präferieren.“

In Deutschland bemüht man sich bisher vergeblich um die Teilnahme

Die Studiengruppe AGO-Ovar, der Ataseven angehört, bemüht sich daher gemeinsam mit dem Deutschen Konsortium Familiärer Brust- und Eierstockkrebs – einem Zusammenschluss von 17 universitären Zentren, dessen Koordinatorin Schmutzler ist – seit einiger Zeit um eine Beteiligung an der TUBA/WISP-II-Studie. Leider würden die Förderrichtlinien der Drittmittelgeldgeber in Deutschland weiterhin Antragstellungen für solche groß angelegten Präventionsstudien auf internationaler Ebene erschwerden, bedauern Ataseven und Schmutzler.

Für die TUBA/WISP-II-Studie sollen jeweils 1.500 Frauen zwischen 25 und 40 Jahren mit einer BRCA1-Mutation und 1.500 Frauen zwischen 25 und 45 Jahren mit einer BRCA2-Mutation aufgenommen werden. Aus ethischen Gründen wird nicht randomisiert.

Stattdessen entscheidet jede Probandin selbst, ob sie eine einzeitige beidseitige Entfernung der Eileiter und der Eierstöcke haben möchte oder zunächst eine Entfernung der Eileiter und erst später die Entfernung der Eierstöcke bevorzugt, um deren Hormonproduktion möglichst lange aufrechtzuerhalten. „Der zweite Schritt sollte dann bei BRCA1-Trägerinnen zwischen 35 und 45 Jahren, bei BRCA2-Trägerinnen zwischen 40 und 50 Jahren erfolgen“, erläutert Ataseven.

Mit der Studie, für die bislang 900 Probandinnen rekrutiert worden sind, soll überprüft werden, ob eine in 2 Etappen vorgenommene Operation ausreichend sicher für die Betroffenen ist.

Die Studie ist international geplant, aktuell bisher aber nur in den Niederlanden aktiv. „Die übrigen Länder kämpfen noch mit einer suffizienten Finanzierung dieses Projekts“, sagt Ataseven. „Umso wichtiger wäre es für uns, Unterstützung der hiesigen Drittmittelgeldgeber zu erhalten.“

 

Kommentar

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