So sehr geht Schichtarbeit auf den Geist: Erste Metaanalyse bestätigt alarmierende Auswirkungen auf Gedächtnis und Reaktionen

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

29. März 2022

Schichtarbeit steht mit einem schlechteren Arbeitsgedächtnis und einer langsameren geistigen Verarbeitungsgeschwindigkeit in Verbindung. Dies ergab eine Metaanalyse gepoolter Daten, die in Occupational & Environmental Medicine veröffentlicht wurde [1].

Schichtarbeit kann daher das Risiko von Verletzungen und Fehlern am Arbeitsplatz erhöhen. Deshalb sollten Schutzmaßnahmen wie etwa regelmäßige Pausen und Vigilanzkontrollen gefördert werden, schlagen die Autoren um Thomas Vlasak vor, Sigmund Freud Privatuniversität Linz, Österreich.

Insgesamt wurden 18 Studien berücksichtigt, die zwischen 2005 und 2020 veröffentlicht wurden. Sie umfassten 18.800 Teilnehmer (Durchschnittsalter 35 Jahre) und deckten 6 verschiedene, durch formale Tests gemessene Ergebnisse ab:

  • Impulskontrolle und situative Reaktion (kognitive Kontrolle),

  • Arbeitsgeschwindigkeit,

  • Arbeitsgedächtnis,

  • Wachsamkeit (psychomotorische Vigilanz),

  • die Fähigkeit, unwichtige visuelle Hinweise herauszufiltern (visuelle Aufmerksamkeit) und

  • die Fähigkeit, unbewusst zwischen Aufgaben zu wechseln (Aufgabenwechsel).

Deutlich schlechtere Leistungen in 5 von 6 Kategorien

Die Ergebnisse der unterschiedlichen Studien zeigten, dass Schichtarbeiter bei 5 der 6 untersuchten Outcomes deutlich schlechtere Leistungen erbrachten als andere Arbeitnehmer.

Ein großer signifikanter Effekt wurde für die Impulskontrolle und die situationsbedingte Reaktion festgestellt, während der Effekt für die Arbeitsgeschwindigkeit, das Arbeitsgedächtnis, die Wachsamkeit und die Fähigkeit, unwichtige visuelle Anhaltspunkte herauszufiltern, signifikant, aber gering war. Lediglich für den Aufgabenwechsel wurde kein negativer Effekt ermittelt.

Die Ergebnisse zeigten eine signifikant schlechtere Leistung von Schichtarbeitern im Vergleich zu Nicht-Schichtarbeitern in den folgenden kognitiven Funktionen mit einer Verringerung der Gedächtnisspanne (95%-Konfidenzintervall):

  • Arbeitsgeschwindigkeit um 0,16 (0,02 bis 0,30),

  • Arbeitsgedächtnis um 0,28 (0,51 bis 0,50),

  • psychomotorische Vigilanz um 0,21 (0,05 bis 0,37),

  • kognitive Kontrolle um 0,86 (0,45 bis 1,27) und

  • visuelle Aufmerksamkeit um 0,19 (0,11 bis 0,26).

Erste große Metaanalyse zu Auswirkungen von Schichtarbeit

Arbeit außerhalb des normalen Tag-Nacht-Zyklus stört den zirkadianen Rhythmus und die Expression der Hormone, die ihn steuern – Kortisol und Melatonin –, was wiederum den Schlaf-Wach-Zyklus unterbricht. Das führt zu Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettleibigkeit, Diabetes, Stimmungsstörungen und Drogenmissbrauch.

Die möglichen Auswirkungen auf höhere Hirnfunktionen, wie die geistige Verarbeitungsgeschwindigkeit und das Arbeitsgedächtnis, waren bisher jedoch unklar. Deshalb durchsuchten die Forscher um Vlasak 6 speziell psychologische und allgemein medizinische Datenbanken nach Studien, die sich mit den Auswirkungen von Schichtarbeit auf die kognitive Leistung von berufstätigen Erwachsenen befassten.

Laut der Autoren handelt es sich um die erste gepoolte Datenanalyse, die sich mit den Auswirkungen von Schichtarbeit auf verschiedene Aspekte der Gehirnfunktion bei berufstätigen Erwachsenen befasst.

In 5 der Studien wurden Arbeitnehmer in festen Schichten und in 11 Studien Arbeitnehmer in Wechselschichten jeweils mit Arbeitnehmern verglichen, die zu normalen Bürozeiten arbeiteten. 2 Studien enthielten keine Angaben zur Art der Schicht.

Die Hälfte der Studien bezog sich auf Beschäftigte des Gesundheitswesens, die andere Hälfte auf andere Berufsgruppen wie Polizeibeamte, IT-Mitarbeiter usw..

Die Kombination der zahlreichen Daten ist nicht unproblematisch

Allerdings räumen die Forscher gewisse Einschränkungen bei ihren Ergebnissen ein. Da sich die Arbeitsplätze in Bezug auf die Anforderungen und die Arbeitsbelastung unterschieden, könnten die Ergebnisse die Auswirkungen von Schichtarbeit in bestimmten Berufsgruppen über- oder unterschätzen.

Weil es sich dabei um Querschnittsstudien handelte, sei es nicht wirklich möglich, den Schluss zu ziehen, dass Schichtarbeit die Leistung höherer Hirnfunktionen beeinträchtigt, fügen sie hinzu.

Dazu kommt die große Vielfalt der Tests, die zur Bewertung der kognitiven Leistung verwendet wurden, und die unterschiedlichen Definitionen von Schichtarbeit in den einbezogenen Studien.

 
Sobald ein konsistenteres Korpus an qualitativ hochwertiger Literatur zur Verfügung steht, empfehlen wir dringend die Replikation der Analysen. Prof. Dr. Alfred Barth
 

„Sobald ein konsistenteres Korpus an qualitativ hochwertiger Literatur zur Verfügung steht, empfehlen wir dringend die Replikation der Analysen, um praktische Interventionen zur Überwindung neurologischer Verhaltensstörungen zu entwickeln“, sagt Prof. Dr. Alfred Barth, Mitautor der Studie, ebenfalls Privatuniversität Linz.
 

Kommentar

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