Sprudelnde Gefahr: Der Natriumgehalt in Paracetamol-Brausetabletten kann das kardiovaskuläre Risiko erhöhen

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

28. März 2022

Die Einnahme von Paracetamol-Brausetabletten kann die tägliche Natriumaufnahme schnell über die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Höchstmenge katapultieren und das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Tod signifikant erhöhen. Dies gilt einer im European Heart Journal erschienen Studie zufolge unabhängig von einem vorbestehenden Bluthochdruck [1].

Speziell Bluthochdruck-Patienten, aber auch gesunden Menschen wird geraten, auf ihren Salz- bzw. Natriumkonsum zu achten. Die Assoziation zwischen der Natriumaufnahme über die Nahrung und dem Blutdruck sowie dem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen ist zwar bekannt. Doch viele Medikamente, etwa Analgetika oder H2-Blocker, werden heute als Brausetabletten angeboten, denen Natrium zur Verbesserung der Löslichkeit zugesetzt wird.

WHO-Limit schnell überschritten

Eine typische Paracetamol-Brausetablette (500 mg) enthält zwischen 0,39 und 0,44 Gramm Natrium. Bei der maximalen Tagesdosis von 2 Tabletten alle 6 Stunden ergibt dies eine tägliche Aufnahme von 3,1 bis 3,5 g Natrium. Das ist mehr als die 2 g Natrium, die die WHO als maximale Tagesaufnahme empfiehlt.

 
Das in Arzneimitteln enthaltene Natrium ist ein weitgehend unterschätzter Faktor.  Prof. Dr. Felix Mahfoud
 

„Aber das in Arzneimitteln enthaltene Natrium ist ein weitgehend unterschätzter Faktor, sagt Prof. Dr. Felix Mahfoud, Leitender Oberarzt an der Klinik für Innere Medizin III – Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin des Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg/Saar. „Die meisten Patienten, aber auch viele Ärzte haben diesen Zusammenhang nicht auf dem Schirm, obwohl auch schon in der Vergangenheit Studien auf die Bedeutung von Natrium in Arzneimitteln hingewiesen haben.“

Frühere Evidenz weitgehend unbeachtet

Bereits 2013 zeigte eine britische Studie mit mehr als 1,3 Millionen Menschen eine Assoziation zwischen natriumhaltigen Arzneimitteln und einer Risikoerhöhung für kardiovaskuläre Endpunkte. Das Herzinfarktrisiko war um 94% erhöht, das Schlaganfallrisiko um 22% und das Risiko für kardiovaskulären Tod um 70%, wenn die Teilnehmenden von ihren Ärzten Brausetabletten verschrieben bekommen hatten.

Das Risiko für eine Hypertonie erhöhte sich bei denjenigen, die natriumhaltige Arzneimittel einnahmen, um mehr als das 7-fache. Dass die durch Natrium bedingte Blutdruckerhöhung der Knackpunkt für das Herz-Kreislauf-Risiko ist, zeigt auch die gerade erschienene PATH-BP-Studie: In dieser doppelblinden, placebokontrollierten Studie erhielten 110 Menschen randomisiert 2 Wochen lang 4 g Paracetamol am Tag oder ein Placebo. In der Paracetamol-Gruppe stieg der systolische Blutdruck im Vergleich zum Placebo um 4,7 mmHg an.

Risikoerhöhung für kardiovaskuläre Erkrankungen und Tod

In der aktuellen Studie werteten die Epidemiologen um Dr. Chao Zeng vom Department of Orthopaedics am Xiangya Hospital der Central South University, Changsha, die Daten des Health Improvement Network aus, das Zugriff auf die Krankenakten von 14 Millionen britischer Hausarztpraxen hat.

Insgesamt 4.532 Patienten mit bekanntem Bluthochdruck wurden Paracetamol-Brausetabletten verschrieben. Von ihnen entwickelten innerhalb eines Jahres 5,6% einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall oder eine Herzinsuffizienz.

Im Vergleich dazu betrug die kardiovaskuläre Erkrankungsrate bei den 146.866 Patienten, denen die Ärzte ein nicht-natriumhaltiges Paracetamol verschrieben hatten, nur 4,6%. Mit einer adjustierten Hazard Ratio von 1,59 war das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen bei Einnahme von Paracetamol als Brausetablette um 59% erhöht.

Risikoerhöhung auch bei normotensiven Patienten

In einer weiteren Analyse untersuchten Zeng und seine Kollegen 5351 normotensive Patienten, die natriumhaltige Paracetamol-Brausetabletten erhalten hatten. Die Vergleichsgruppe bestand aus 141.948 ebenfalls normotensiven Patienten, die andere Paracetamol-Präparate eingenommen hatten. Auch bei diesen Patienten war die Einnahme der Brausetabletten mit einem erhöhten 1-Jahres-Risiko für kardiovaskuläre Ereignissen assoziiert: 4,4% versus 3,7%. Die mit den Brausetabletten assoziierte Risikoerhöhung betrug 45%.

Die Auswertung der Daten hinsichtlich einzelner kardiovaskulärer Erkrankungen sowie der Gesamtmortalität habe vergleichbare Ergebnisse geliefert, schreiben die Autoren. Bei den Patienten mit Bluthochdruck waren die Brausetabletten mit einer Erhöhung der Mortalität von 6,1 auf 7,6% innerhalb eines Jahres assoziiert. Bei den normotensiven Patienten hatten diejenigen, die nicht-natriumhaltiges Paracetamol einnahmen, eine Mortalität von 5,9%. Patienten, die Brausetabletten verschrieben bekommen hatten, hatten dagegen eine Mortalität von 7,3%.

Dosis-Wirkungs-Beziehung

Außerdem entdeckten die Forschenden eine Dosis-Wirkungs-Beziehung. Die hypertensiven Patienten, die 1 Rezept für Paracetamol-Brausetabletten erhalten hatten, erkrankten 26 % häufiger. Bei 2 bis 4 Verordnungen stieg das Erkrankungsrisiko um 33%. Und bei 5 oder mehr Rezepten war das Risiko um 45 % höher als bei nicht-natriumhaltigem Paracetamol.

Und auch hier waren wieder vergleichbare Ergebnisse für die Mortalität sowie für Patienten ohne Bluthochdruck zu beobachten.

Datenbankanalysen haben ihre Limitationen

„Wie es bei großen Datenbankanalysen üblich ist, weist auch die Studie von Zeng und seinen Kollegen Limitationen auf“, sagt Mahfoud. Die Datenbank enthielt zum einen keine Informationen zur Natriumaufnahme über die Nahrung. Auch, ob die Patienten zusätzlich frei verkäufliches Paracetamol nahmen, ist nicht bekannt.

„Die Autoren beschränkten ihre Analyse deshalb auf Über-60-Jährige, die das Medikament vom britischen Gesundheitssystem NHS kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen, aber ausschließen lässt es sich natürlich trotzdem nicht“, so der Kardiologe.

Wenn möglich auf die Verwendung verzichten

Da es sich um eine epidemiologische Untersuchung handelt, lässt sich daraus keine Kausalität ableiten. „Die beobachtete Dosis-Wirkungs-Beziehung deutet zwar darauf hin, dass das in den Paracetamol-Brausetabletten enthaltene Natrium für den Unterschied zwischen den Gruppen verantwortlich sein könnte, ist aber kein zweifelsfreier Beleg“, erklärt Mahfoud.

 
Ärzte und Patienten sollten sich des mit Paracetamol-Brausetabletten einhergehenden Risikos bewusst sein und die unnötige Einnahme vermeiden.  Prof. Dr. Felix Mahfoud
 

Er betont aber auch, dass es nicht wirklich viele Gründe dafür gebe, Paracetamol in Form von Brausetabletten zu verschreiben. Insbesondere, da es viele Alternativen gebe. Paracetamol ist auf dem deutschen Markt auch in Form von Zäpfchen, Tabletten, Kapseln, Hartkapseln, Sirup, Saft, Granulat sowie als Infusionslösung verfügbar.

„Natrium ist ganz offensichtlich ein Problem und auch bei Patienten ohne Bluthochdruck mit einer Blutdruckerhöhung assoziiert und nach dieser Publikation auch mit einer schlechteren Prognose“, ergänzt er. „Ärzte und Patienten sollten sich des mit Paracetamol-Brausetabletten einhergehenden Risikos bewusst sein und die unnötige Einnahme vermeiden, speziell wenn das Arzneimittel länger eingenommen wird.“

Aufforderung zum raschen Handeln

In einem Editorial kritisiert Dr. Aletta Schutte [2]: „Die Last der Evidenz macht die andauernde Untätigkeit hinsichtlich natriumhaltiger Arzneimittel unhaltbar. Die Einnahme von Brausetabletten ist in der Bevölkerung weit verbreitet und die enormen Mengen an Natrium, die die nichtsahnenden Konsumenten auf diese Weise aufnehmen, erfordern sofortiges Handeln.“

 
Die Last der Evidenz macht die andauernde Untätigkeit hinsichtlich natriumhaltiger Arzneimittel unhaltbar.  Dr. Aletta Schutte
 

Besonders bedenklich sei, so die Professorin für Kardiale, Vaskuläre und Metabolische Medizin an der University of New South Wales, Sydney, dass bis zu 94% der Anwender von Brausetabletten diese als frei verkäufliche Präparate erwerben. Deshalb müssten die Konsumenten rasch vor diesen Risiken geschützt werden: „Die plausibelste und effektivste Strategie ist ein Warnhinweis auf der Vorderseite der Arzneimittelpackungen, aber auch Informations- und Aufklärungsprogramme könnten in Betracht gezogen werden.“
 

Kommentar

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