Nur 57% aller öffentlich finanzierten Krankenhäuser mit einer gynäkologischen Abteilung nehmen Schwangerschaftsabbrüche vor. Das ist das Ergebnis einer Recherche des Verbundes „CORRECTIV.Lokal“.
In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche laut § 219 immer noch eine Straftat. Eine Bestrafung kann nur abgewendet werden, wenn eine Abtreibung entweder nach einer Vergewaltigung vorgenommen wird (kriminologische Indikation), wenn das Leben der Schwangeren gefährdet ist (medizinische Indikation) oder wenn die Schwangere sich zuvor bei einer staatlich anerkannten Institution hat beraten lassen (Beratungsindikation).
Viele Kliniken verweigern Abbruch bei Beratungsindikation
Der Befragung der kommunalen Krankenhäusern zufolge nehmen die Häuser ausgerechnet bei der mit 96% häufigsten Indikation, der Beratungsindikation, am seltensten Abbrüche vor: nur 38% der befragten Kliniken – also etwa 2 von 5 Häuser. 19% der befragten Häuser gab an, dass sie nur dann Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, wenn eine kriminologische oder medizinische Indikation vorliegt.
In Bayern werden Schwangerschaftsabbrüche in 36 kommunalen Häusern gar nicht und in 26 kommunalen Häusern nur nach medizinischer Indikation vorgenommen. In Baden-Württemberg sind es 9 beziehungsweise 15 und in Nordrhein-Westfalen 4 beziehungsweise 9 kommunale Krankenhäuser.
Der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) äußert sich sehr zurückhaltend: „Es gibt bei uns keinen Beschluss zur Sache“, sagt DÄB-Vorstand und Hausärztin Dr. Christiane Groß zu Medscape
Tanja Altunjan vom Deutschen Juristinnenbund kommentiert: „Es gibt keine Pflicht für medizinische Anbieter, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten. Allerdings verpflichtet das Schwangerschaftskonfliktgesetz in §13 die Länder, ein ausreichendes Angebot sicherzustellen. Weil dies nicht geschieht, wird an diesem Punkt aus meiner Sicht Recht gebrochen.“
Allerdings: Was als „ausreichend“ gilt, ist juristisch nur vage bestimmbar. Man müsse schon in internationalem Recht suchen, also z.B. bei den menschenrechtlichen Verpflichtungen, meint Altunjan. Leider ergebe dies auch keine klareren Kriterien. So könne niemand einen Schwangerschaftsabbruch einklagen, sagt Altunjan.
Deshalb kritisiere auch der UN-Frauenrechtsausschuss Deutschland regelmäßig dafür, dass man hierzulande den Verpflichtungen nicht nachkomme. „Aber daraus folgen natürlich keine politischen Schritte“, so Altunjan zu Medscape.
Die Folge: Schwangere, die z.B. in Regensburg wohnen, müssen nach Berechnungen von CORRECTIV für einen Schwangerschaftsabbruch mehr als 100 Kilometer fahren – nach München, Ansbach oder Marktradwitz im Fichtelgebirge. Die Studie zeigt auf, dass der Handlungsbedarf da ist, meint Altunjan. „Man kann nur immer wieder Druck machen, dass die Länder aktiv werden.“
Versorgung muss sichergestellt werden
Indessen ist der Bedarf an Schwangerschaftsabbrüchen offenbar groß. Laut Statistischem Bundesamt werden in Deutschland derzeit jährlich rund 100.000 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen. Im Jahr 2019 wurden die Eingriffe in fast 80% ambulant ausgeführt. Nur rund 20.000 Schwangere gingen für den Eingriff ins Krankenhaus.
Da die konfessionell gebundenen Krankenhäuser Schwangerschaftsabbrüche fast alle verweigern und die anderen Krankenhäuser in freier und privater Trägerschaft keinen Sicherstellungsauftrag haben „nehmen die öffentlichen Krankenhäuser eine Schlüsselrolle ein“, so die Recherchegemeinschaft CORRECTIV.
Prof. Dr. Anton J. Scharl, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) erklärt zwar, die DGGG sei eine Fachgesellschaft und kein Organ der Selbstverwaltung. Aber Scharl sieht auch unter anderem die Länder in der Pflicht: „Eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen, obliegt den entsprechenden Institutionen und Organen, z.B. der Krankenhausplanung der Länder und den Kassenärztlichen Vereinigungen. Es gibt gesetzliche Regelungen für den Schwangerschaftsabbruch. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass eine entsprechende Versorgung sichergestellt werden muss, wenn diese Regelungen zutreffen bzw. eingehalten werden.“
Dr. Alicia Baier, Ärztin und Vorstand des Arbeitskreises Frauengesundheit (AFK), forderte aufgrund der CORRECTIV-Zahlen, dass die kommunalen Krankenhäuser ihren Versorgungsauftrag erfüllen sollen, „gerade in Regionen, wo niedergelassene Gynäkologinnen und Gynäkologen nicht ausreichen“, so Baier zu Medscape. Zudem könnten manche Abbrüche z.B. aufgrund bestimmter Begleiterkrankungen nur im Krankenhaus vorgenommen werden. „Und schließlich geht es auch um die Lehre. Schwangerschaftsabbrüche müssen erlernt werden, auch dazu brauchen wir Krankenhäuser, die diesen Eingriff vornehmen“, sagt Baier.
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Diesen Artikel so zitieren: Rechtsbruch? Viele kommunale Kliniken verweigern Schwangerschaftsabbruch bei Beratungsindikation - Medscape - 16. Mär 2022.
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